Wie sozial wird Erkrath künftig sein?

Die Zuschauerplätze füllten sich schon vor der Sitzung. Auch nach Sitzungsbeginn kamen immer noch weitere Besucher hinzu. Foto: Ria Garcia

Am vergangenen Dienstag stellte sich die Frage, ob die Stadt sich mit ihren Großprojekten übernimmt und wo gespart werden kann. Davon könnten auch viele soziale Projekte betroffen sein.

Schnell hatte sich bei den betroffenen Vereinen und Organisationen herumgesprochen, dass in den Sparvorschlägen auch ihre städtischen Zuschüsse enthalten sind und so waren sie zahlreich zur Sondersitzung zum Haushaltsoptimierungskonzept (HOK) erschienen. Die Streichung hätte an vielen Stellen deutlich größere Folgen als den Wegfall des Zuschusses von der Stadt. Der SKFM wäre, sieht man sich die Liste der möglichen Sparvorschläge an, gleich vielfach betroffen. Aber auch viele andere. Am Dienstag füllten sich deshalb die Besucherplätze in der Stadthalle. Sie hatten Schilder und ein Transparent gemalt, auf denen stand: ‘Erkrath bleib sozial.’

Diese ‘Fußnote’ auf Folie 8 der PwC Präsentation, die bereits mit den Sitzungsunterlagen im Ratsinformationssystem eingesehen werden konnte, brachte alle in Alarmstimmung:

Auf den Folien 24 bis 28 waren all die Zuschüsse aufgeführt.

Präsentation PwC

Fast zwei Stunden lang referierten dann Marc Schmitt, Prokurist bei PriceWater Coopers (PwC) in Frankfurt und sein Kollege zu den bisherigen Analysen. “Verstehe ich das richtig, dass auch wenn die Sparmaßnahmen umgesetzt werden, in den Jahren 2026/2027 das verpflichtende Haushaltssicherungskonzept droht”, fragt Ralf Lenger (FDP) ziemlich zu Anfang. “Ja”, lautete die knappe Antwort von Marc Schmitt. PwC hatte für den gesamten Betrachtungszeitraum (bis 2030) kein positives Jahresergebnis ermittelt. Auslöser sei die Investitionstätigkeit der Stadt. “Ich empfehle die Bauprojekte zu prüfen und die Standards zu senken. Es ist notwendig kostengünstige Alternativen zu prüfen”, riet Schmitt. Auch zu möglichen Steuererhöhungen äußerte er sich klar. Zwar sei es Teil der Beauftragung gewesen, ein Konzept zu entwickeln, dass auf Steuererhöhungen verzichtet, dennoch sagt er klar: “Eine Anhebung von Realsteuern muss aus unserer Sicht diskutiert werden.”

Es folgten viele Betrachtungen zu Einsparmöglichkeiten in unterschiedlichen Verwaltungsbereichen, von der Personalausstattung der Sekretariate in Schulen, über beschlossene Standards im OGS Bereich und Liegenschaften sowie ihre Nutzung bis hin zur Anpassung von Ticketpreisen im Kulturbereich, Gebühren VHS und Musikschule bis zu Empfehlung ein zentrales Fördermittelmanagement einzurichten.

Das ist nur ‘ein Ausschnitt’, alle Maßnahmen sind der Präsentation zu entnehmen. PwC empfielt der Verwaltung eine interne Leistungsverrechnung einzuführen, eine Aufgabenbündelung und eine Fokussierung auf Kerntätigkeiten in der Verwaltung anzustreben. Zum weiteren Ablauf hieß es, dass ab Oktober / November die Beschlussfassung beginnen soll. In den kommenden Wochen werde das Gutachten von PwC noch konkretisiert und vervollständigt.

Anschließende Diskussion

Die Besucher hatten gehofft, dass sie in einer Sitzungsunterbrechung zu Wort kämen um zu erklären, was die Streichung der Zuschüsse auslösen würde. “Mir ist nicht klar, was eine Sitzungsunterbrechung bringen soll. Für mich ist auch so klar, dass die Lage wohl viel schlimmer ist, als gedacht. Es macht aus meiner Sicht wohl keinen Sinn hier und jetzt zu diskutieren”, hatte sich Ralf Lenger (FDP) zu Wort gemeldet. Er schlug eine eigene Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses nur für Bürger vor. Ohne weitere Diskussion wurde der Antrag der BmU (wir berichteten), der die Sitzungsunterbrechung gefordert hatte, abgelehnt. Bernhard Osterwind merkte später an, dass er überrascht über die ‘Nervosität aufgrund seines Antrags’ gewesen sei.

Bürgermeister Christoph Schultz erklärte, dass man jetzt nicht ‘die Rasierklinge’ ansetzen wolle, aber gespart werden müsse. Für das weitere Vorgehen schlug er mindestens eine weitere Sitzung vor, in der dann schon einzelne Maßnahmen beschlossen werden könnten. Wolfgang Jöbges (CDU) äußerte, dass seine Fraktion sich in einer Klausurtagung mit den Unterlagen und Möglichkeiten zur Einsparung befassen wolle. Barbara Geiss-Kuchenbecker dankte PwC für die Ausführungen und brachte die aus ihrer Sicht wichtigste Feststellung auf den Punkt: “Wir können uns kein Gymnasium für 91 Mio. Euro leisten.” Es sei alternativlos die drei Bauprojekte auf den Prüfstand zu stellen. Geiss-Kuchenbecker ging auch auf die Sparvorschläge im Bereich Kinder, Jugend und Soziales und die Kürzung von Zuschüssen ein. Viele hätten schon unter der Pandemie gelitten. Wenn Vereine jetzt aufgrund der Sparmaßnahmen aufgeben müssten, dann würden in Erkrath nicht nur von 1 bis 4 Uhr die Lichter ausgehen. “Dann geht das Licht in Erkrath ganz aus.”

Detlef Ehlert (SPD) merkte an, dass ihn ‘die Struktur der Debatte’ überfordere. “Das ist jetzt für mich nichts Neues, was hier auf dem Tisch liegt. Die Besucher heute sind alle Interessenvertreter. Es ist völlig richtig das sie da sind. Ich habe die Entscheidung vorher auch nicht verstanden”, bezog er sich auf die Tatsache, dass man die Besucher an diesem Tag nicht zu Wort kommen lassen wollte. In Richtung der Fraktion der Grünen stellte er fest, dass die Fraktion aus seiner Sicht ‘keinen Plan B’ hätte. “Man kann es positiv sehen, dass jetzt klar ist, dass es ohne Grundsteuererhöhung nicht geht.” Auch prozentuale Kürzungen müssten auch Sicht von Ehlert diskutiert werden.

Anm. der Red.: Die SPD hatte beim letzten Haushalt eine Anhebung um 100 Prozentpunkte beantragt, weil sie der Meinung war, dass die 50 Prozentpunkte, die die Verwaltung vorgeschlagen hatte, nicht ausreichen würden.

“Ich stimme Detlef Ehlert insofern zu, dass alle Kürzungsvorschläge schon einmal auf dem Tisch lagen. Aber was sind die Folgekosten, wenn wir Zuschüsse wegfallen lassen?”, kommentierte Markus Lenk (Die Linke). “Wenn der Zuschuss für Begegnungsstätten wegfällt, dann geben die auf. Dann fallen aber auch die Mieteinnahmen weg, die die Stadt dort erzielt”, nannte er ein Beispiel. “Ist die Wirtschaftsförderung eigentlich keine freiwillige Leistung? Die finde ich hier in den Vorschlägen nicht”, zeigte er auf, dass die Betrachtung nicht vollständig sei.

Kämmerer Thorsten Schmitz erläuterte, dass die Gesamtsummen der Zuschüsse nur zur Kenntnis gegeben worden seien, damit man sehen könne, wo Kürzungen erfolgen könnten. Es ginge nicht um die komplette Streichung von Zuschüssen. “Wir haben mehr Ausgaben als Einnahmen”, stellte er fest. Das letzte Mal habe die Stadt 2017 einen ausgeglichenen Haushalt erreicht. “Dann kamen die Kosten durch Flüchtlingszuweisungen, zwei Brände, die Flut, die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine und nun in der Folge wieder Geflüchtete”, brachte er die vielen Herausforderungen in Erinnerung, der sich die Stadt gegenüber sah. “Wir dürfen nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.”

“Die Präsentation hat mir vor Augen geführt, wann wir in die Zwangshaushaltssicherung geraten würden. Dann wäre die Stadt nicht mehr handlungsfähig”, kommentierte Jörg Schintze (SPD). Im Konzept fehle ihm eine Folgenabschätzung, wie beispielsweise bei einer Erhöhung der Ticketpreise im Kulturbereich, die auslösen könne, dass weniger Menschen die Veranstaltungen besuchen oder bei der Hundesteuer, bei der eine Erhöhung aus auslösen könne, dass weniger Menschen in Erkrath einen Hund halten. Das gleiche gälte auch für Kürzungen bei Vereinen, die auslösen könne, dass es weniger Vereine gäbe. “Ich bitte um eine Einschätzung seitens der Vereine.” Schintze selbst gab eine Einschätzung zu den aus seiner Sicht notwendigen Entscheidungen: “Wir müssen heilige Kühe schlachten. Das kann auch der Verzicht auf ein Bauprojekt sein.”

Bernhard Osterwind stellte fest, dass das vorliegende Konzept eindeutig zeige “Ohne Steuererhöhung geht es nicht.” Die Diskussion ‘ja oder nein’ sei mit dem vorliegenden Papier erledigt. In Bezug auf die drei großen Bauprojekte, die sich Erkrath aus Sicht von PwC nicht parallel leisten könne, fragte Osterwind: “Wie kriegen wir G9 für das Gymnasium hin?” Das Gymnasium sei ja sanierungsbedürftig, aber die Kosten für den Neubau seien aus dem Ruder gelaufen. “Das ist eine coole Schule, dass sie nicht gebaut wird, tut mir weh”, bekennt der ehemalige Lehrer. “Die Stadt Erkrath kann sich keine gute Schule mehr leisten, an keiner Stelle.”

“Wir müssen nicht nur den Gürtel enger schnallen, wir müssen uns strangulieren”, beschrieb Andreas Kuchenbecker (Grüne) bildlich, was die Präsentation von PwC aussagt. Man müsse der Situation ins Auge sehen. “Der Rat hat sich übernommen. Wir müssen zurückrudern. Wir haben Fehlentscheidungen getroffen. Große Projekte müssen auf den Prüfstand.” Die Streichung von freiwilligen Leistungen sei aus seiner Sicht ‘Kosmetik’ und würde nicht verhindern, dass die Stadt in die zwangsweise Haushaltssicherung rutsche.

‘Leidenschaftliche Worte’ des Bürgermeisters

“In den letzten sieben Jahren habe ich viele Krisen erlebt”, meldete sich Bürgermeister Christoph Schultz zu Wort und bezog sich auf seine bisherige Amtszeit. Die Stadt sei überaltert. Das träfe auch auf die Infrastruktur zu. “Der Stadtrat hat einen Finanzierungsbeschluss gefasst”, plädierte er dafür alle drei großen Bauprojekte beizubehalten. “Vor allem die Feuerwehr- und Rettungswache ist schon in der Ausschreibung. Bei einem Stopp würden wir viel Geld verbrennen.” Beim Gymnasium habe man festgestellt, dass die Sanierung teurer sei, als ein Neubau und wäre deshalb zu dieser Entscheidung gekommen. “Und das kippen wir jetzt?” Den Ausschussmitglieder hielt er vor, dass die Verwaltung einen Sparvorschlag gemacht hatte, der 300 Tsd. Euro eingespart hätte. Diesen hätten die Fraktionen abgelehnt. Er gab zu, dass Kürzungen bei den Vereinen ‘nicht der große Wurf’ beim Sparen seien. “Ich würde mir wünschen, die Situation wäre anders.” Es sei ein Fehler gewesen, dass man in Erkrath nicht viel früher investiert habe. Die derzeitige Situation sah er als Gefahr für die Demokratie.

Anm. der Red.: Ursprünglich ging man von 60 Mio. Euro Kosten für den Neubau des Gymnasiums aus. Diese hatten sich bis Juni 2022 auf 73,5 Mio. Euro erhöht und liegen inzwischen bei 91 Mio. Euro.

“Sie unterschätzen die Bürger”, reagierte Annerose Rohde (Grüne) auf die Worte des Bürgermeisters. Sie erinnerte daran, dass Eltern immer wieder über die Fördervereine der Schulen einspringen und unterstützen. “Da werden Klassenräume in Elterninitiative renoviert und vieles mehr. Ich kenne wirklich nur Leute, die motiviert sind, zu helfen.” Sie führte an, was der Besuch der Musikschule im Jahr kostet und wie sich die Anhebung der Gebühren für die Eltern auswirkt. “Während die Gebührenerhöhung für die Stadt zu den ‘kleinen Dingen’ gehört. Wir müssen aber einen großen Batzen einsparen”, argumentierte sie, warum man den Gymnasiumneubau auf den Prüfstand stellen müsse. “Wenn ich privat ein Haus bauen will und kann es mir nicht leisten, muss ich in meiner Mietwohnung bleiben”, verbildlichte sie die Situation, in der sich die Stadt befindet. “Sollen wir den Kinder irgendwann sagen: Ihr habt jetzt ne tolle Schule, dafür könnt ihr aber vieles andere nicht mehr machen?” Es sei Aufgabe des Rates gemeinsame Lösungen zu finden, umzudenken.

“Wir müssen entweder ein Projekt streichen oder massiv kürzen”, stellte Ralf Lenger fest. Forderungen wie der Passivhaus-Standard hätte die Projekte verteuert, adressierte er an die Grünen. “Wir werden nicht daran vorbeikommen auch freiwillige Leistungen zu kürzen.” Die FPD spreche sich aber weiterhin gegen eine Grundsteuererhöhung aus. Auch eine Anhebung der Gewerbesteuer sei aus ihrer Sicht keine Option. “Wir würden den Ast absägen, auf dem wir sitzen.” An BmU und Grüne adressierte er: “Geben Sie ihre Blockade gegen die Neanderhöhe auf.” In Bezug auf die freiwillige Leistung ‘Wirtschaftsförderung’, äußerte er, dass die Kosten dafür nicht im Verhältnis zu dem stünden, was erreicht wird.

Antrag auf Bürgerbeteiligung

Die Diskussion zog sich noch ein wenig hin, bevor schließlich der Antrag der Fraktion der Grünen auf Bürgerbeteiligung, der in der letzten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses in die Sondersitzung geschoben wurde, zur Abstimmung kam. “Ich halte es für dringend notwendig nicht nur im kleinen Kreis Bürger einzubeziehen. Das ist für den sozialen Frieden wichtig”, vertrat Barbara Geiss-Kuchenbecker noch einmal den Antrag. An Wolfgang Jöbges gerichtet, erklärte sie, dass sie es auch für selbstverständlich halte, dass die Ratsmitglieder bei einer solchen Veranstaltung anwesend seien.

Bernhard Osterwind erklärte, dass man bei den Grünen sei, der entscheidende Unterschied zu deren Antrag sei aber, dass die BmU die Vorschläge vorher in den Ausschüssen beraten wolle, damit den Bürgern nur noch das präsentiert werde, was dort gefiltert wurde. Ralf Lenger sagte, dass er auch für eine solche Veranstaltung sei, aber nicht erst im nächsten Jahr, weil einige Maßnahmen schon in den Haushalt 2023 einfließen sollten. “Wir brauchen aber Zeit ein eigenes Konzept zu entwickeln”, argumentierte Lenger und schlug eine Sondersitzung des Haupt- und Finanzausschuss im November vor.

Wolfgang Jöbges äußerte, dass sich die Fraktionen nun erst einmal beraten müssten. Die Ergebnisse könnten den Bürgern dann im Haupt- und Finanzausschuss vorgetragen werden, um dann weiterzukommen. “Ich erinnere daran, dass wir eine repräsentative Demokratie haben. Die Bürger können sich gerne im Haupt- und Finanzausschuss äußern”, machte er deutlich, dass seine Fraktion gegen eine Veranstaltung speziell für die Bürger sei.

Detlef Ehlert erinnerte daran, dass der Rat beschlossen habe, dass die Diskusssionen zu den Bauprojekten federführend im Bauausschuss diskutiert werden sollten. Er plädierte für eine gemeinsame Sitzung des Haupt- und Finanzausschuss mit dem Bauausschuss. Eine solche Sitzung müsse aufgrund der zu erwartenden Länge dann wohl früher starten. “Dann muss der Bürgermeister sich auch einmal daran erinnern, dass er Chef der Verwaltung ist und ein bisschen weniger reden”, quittierte er die Wortbeiträge von Christoph Schultz in dieser Sitzung. Andreas Kuchenbecker mahnte Transparenz und Partizipation an, die auch in der repräsentativen Demokratie gelten müssen. “Das hebelt nicht die Demokratie aus. Es gibt den Bürgern die Möglichkeit sich zu beteiligen. Hier reicht es, wenn mehrheitlich die Hand gehoben wird. Dann dürfen die Bürger nicht reden”, resümiert er das Geschehen in der Sitzung.

Schließlich fand weder der Antrag der Grünen eine Präsenzveranstaltung für Bürger noch vor der Beratung in den Ausschüssen durchzuführen, noch ein Antrag der BmU, die eine solche für Januar vorsehen wollten, die notwendige Mehrheit. Die erhielt schließlich ein Antrag der CDU über die weitere Beratung im Haupt- und Finanzausschuss im November, an der Bürger teilnehmen können.

Und so werden wohl auch im November wieder viele Besucher die Entscheidungen des Ausschusses verfolgen und hoffen, dass sie dann auch zu Wort kommen. Foto: RG

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