So beschreiben Ewa Łączkowska und Lyralyn Helling vom Freundeskreis für Flüchtlinge die Beziehung zu den Menschen, die zu Ihnen in die Beratung kommen. Zum Weltflüchtlingstag in der letzten Woche haben sie sich deshalb eine ganz besondere Aktion überlegt.
Immer wieder blieben Menschen vor dem Schaufenster des Hand in Hand am Europaplatz stehen und schauten sich die Aushänge an, auf denen Geflüchtete den Menschen hier bei uns vor Ort etwas über sich mitteilten. Jeweils mit einem Foto bebildert entstanden daraus ganz persönliche Botschaften. Neben den Schilderungen der Geflüchteten hatten Ewa und Lyralyn Poster von der Uno Flüchtlingshilfe ins Fenster gehängt, die kurz und knapp einige Daten präsentierten.
Wie viele Menschen weltweit auf der Flucht sind und dass davon 40 Prozent Kinder sind, ist den meisten Menschen hier bei uns gar nicht bewusst. Ergänzt mit den persönlichen Botschaften von Geflüchteten, die hier bei uns leben, weckten die Schaufenster des Hand in Hand, an dem viele auf dem Weg zum einkaufen vorbeikommen, Aufmerksamkeit. „Wir haben die Menschen die täglich zu uns kommen vorab einfach gefragt, ob sie zum Weltflüchtlingstag etwas von sich mitteilen möchten, damit die Menschen hier verstehen, was sie fühlen, was sie erlebt haben“, erzählt uns Lyralyn. Längst nicht jeder sei dafür offen, viele sind vom Erlebten traumatisiert und mögen auch nicht so offen äußern.
Beratung in der Begegnungsstätte Hand in Hand
Ewa und Lyralyn arbeiten Teilzeit für den Freundeskreis für Flüchtlinge und werden von einem Kreis Ehrenamtlicher unterstützt. Der Beratungsbedarf bei Geflüchteten ist groß. Sich in der neuen Heimat zurecht zu finden, amtliche Schreiben, die oft nicht einmal Einheimische wirklich verstehen, zu deuten, ist schwer. „Wir haben Hochachtung davor, wie die Menschen mit Fluchtgeschichte ihr Leben hier anpacken. Mit dem, was sie erlebt haben, bis sie hierher zu uns kamen, ihren Weg in ein ganz neues Leben suchen und finden“, drücken die beiden ihr Empfinden aus. Mehr als die Teilzeitstellen der beiden kann der Freundeskreis nicht finanzieren, auch wenn der Beratungsbedarf riesig ist. Wer den Freundeskreis für Flüchtlinge in Erkrath mit einer Geld- oder auch Zeitspende unterstützen möchte, findet alle Infos auf der Homepage.
Weltflüchtlingstag
„Es wäre viel schöner, wenn es einen solchen Tag gar nicht bräuchte“, sagt Lyralyn. Die Menschen kämen und die meisten würden bleiben, auch wenn sie sich vielleicht oft nach ihrem Herkunftsland sehnen. Die Kinder besuchen hier die Schule, einige haben hier inzwischen ihr Abitur gemacht. Einige haben hier ihre Ausbildung absolviert, sind in guten Jobs und einige verzweifeln gerade an der langen Wartezeit, die vergeht, bis sie einen Termin zur Einbürgerung erhalten.
Auf einmal ganz nah
Mit den Aushängen im Schaufenster des Hand in Hand sind die Geflüchteten auf einmal ganz nah, haben ein Gesicht (Fotos) und eine Geschichte, die sie uns erzählen. Wir haben einige festgehalten:
- Eine Frau: „Aufgrund des Kriegsausbruchs in der Ukraine bin ich mit meiner kleinen Tochter und meiner Mutter aus meiner Heimatstadt geflohen. Meine Karriere als Juristin musste ich aufgeben und möchte mir hier eine neue berufliche Karriere aufbauen.„
- Ein Familienvater: „Ich bin 2016 nach Deutschland gekommen, das ist meine Familie, heute bin ich Uber-Fahrer. Ich bin dankbar in Deutschland eine neue Chance bekommen zu haben. In Erkrath bin ich zu Hause.“
- Ein junger Mann: „In Syrien war ich Jurist. Für meine Familie würde ich alles tun. Heute arbeite ich als Taxifahrer.„
- Ein junger Mann: „Ich war 17 Jahre alt, als ich aus Syrien geflüchtet bin. Heute studiere ich Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Südwestfalen.„
- Eine junge Frau: „Ich bin mit meiner Familie 2015 auf Aserbaidschan geflüchtet. Im Freundeskreis für Flüchtlinge habe ich 2 Jahre lang ehrenamtlich als Beraterin gearbeitet. Jetzt möchte ich Soziale Arbeit studieren.„
- Eine Frau: „Ich war in Syrien Lehrerin und werde demnächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin anfangen. Mein Ehemann ist Künstler und hat in Erkrath mehrere Ausstellungen gemacht. Wir freuen uns, hier zu sein und eine gute Zukunft für unsere Kinder zu sichern.„
- Ein Mann: „Meine beiden älteren Kinder haben ihre Berufsausbildung in Deutschland abgeschlossen. Wir mussten unsere Heimat aufgrund des Krieges 2015 verlassen.“
- Ein Mann: „Meine Frau habe ich in Deutschland kennengelernt. Mit unseren 2 Kindern leben wir in Erkrath. In meinem Herkunftsland war ich politischer Aktivist. In Deutschland genieße ich die Meinungs- und Religionsfreiheit.„
- Eine junge Frau: „Ich bin meinem Mann im letzten Jahr im Zuge der Familienzusammenführung nach Deutschland gefolgt. Ich bin studierte Elektro-Ingenieurin und kann es kaum erwarten hier in Deutschland in meinem Beruf durchzustarten.„
- Ein Mann: „Ich arbeite in Erkrath als Briefzusteller. Ich bin dankbar in Deutschland mit meinen Kindern ein neues Zuhause gefunden zu haben.„
- Ein Mädchen: „Ich war 9 Jahre alt, als ich geflüchtet bin. Heute bin ich 13. Ich lese und schwimme gerne. In der Zukunft möchte ich studieren. Ich bin dankbar in Deutschland leben zu können.„
- Ein Mann: „Ich lebe seit 10 Monaten in Deutschland. In meinem Herkunftsland war ich 4 Jahre und 8 Monate als politisch Verfolgter inhaftiert. Die Zeit in der Haft habe ich dafür genutzt, drei Sprachen zu erlernen. Eine davon war Deutsch. Solange man ein- und ausatmet muss man weitergehen.„
- Eine Frau: „Ich bin Mutter von drei Kindern. Ich lerne jetzt Deutsch. In Zukunft möchte ich als Pflegekraft mit Senioren arbeiten. Ich tanze sehr gerne.„
- Ein Mann: „Mit meiner Frau und unseren fünf Kindern bin ich aus Syrien geflüchtet. Hier in Erkrath gehen unsere Kinder zur Schule und die älteren sind auch bereits berufstätig. Hier fühlen wir uns sicher und hier sind wir zu Hause.„
Buchtipp zum Thema Flucht
„Jeder von uns könnte morgen schon selbst ein Flüchtling sein“, sagt uns Ewa, die wie Lyralyn, viele Fluchtgeschichten kennt. Allen, die sich näher zum Thema Flucht informieren möchten, legt sie das Buch ‚Flucht – Eine Menschheitsgeschichte‘ von Andreas Kossert ans Herz.
Flucht – Eine Menschheitsgeschichte | Andreas Kossert
Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2021, ausgezeichnet mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis 2020 und mit dem Preis für „Das politische Buch“ 2021 der Friedrich-Ebert-Stiftung
Andreas Kossert, renommierter Experte zum Thema Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert und Autor des Bestsellers „Kalte Heimat“, stellt in seinem neuen Buch die Flüchtlingsbewegung des frühen 21. Jahrhunderts in einen großen geschichtlichen Zusammenhang. Immer nah an den Einzelschicksalen und auf bewegende Weise zeigt Kossert, welche existenziellen Erfahrungen von Entwurzelung und Anfeindung mit dem Verlust der Heimat einhergehen – und warum es für Flüchtlinge und Vertriebene zu allen Zeiten so schwer ist, in der Fremde neue Wurzeln zu schlagen. Ob sie aus Ostpreußen, Syrien oder Indien flohen: Flüchtlinge sind Akteure der Weltgeschichte – Andreas Kossert gibt ihnen mit diesem Buch eine Stimme. (Quelle: Siedler Verlag)
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