Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

KREIS METTMANN

Foto: Kreis Mettmann

Gedenkveranstaltung am Gedenkzeichen “Heller Schatten” im Neandertal

In Deutschland wird seit 1996 mit dem „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” am 27. Januar an die Verbrechen der NS-Herrschaft erinnert.

Im August 2020 hatte der Kreis Mettmann im Neandertal das Gedenkzeichen „Heller Schatten” der Berliner Künstlerin Franziska Peter eingeweiht. Es soll an 149 Menschen erinnern, die hier während der NS-Zeit verfolgt, ausgebeutet, denunziert und ermordet wurden.

Zum Gedenken an die Opfer erinnerten Landrat Thomas Hendele und Kreisarchivar Joachim Schulz-Hönerlage am Freitag im Neandertal an zwei Ehepaare, die beide aus der Sowjetunion nach Nazi-Deutschland zurückkehrten und den Krieg sowie das Konzentrationslager überlebt haben. „Der heutige Tag und das Gedenkzeichen ‚Heller Schatten‘ sind für uns zugleich Mahnung und Verpflichtung, aber auch Anlass für Hoffnung: indem wir uns im Bewusstsein unserer historischen Verantwortung den drängenden historischen und humanitären Herausforderungen der Gegenwart stellen und die Würde jedes einzelnen Menschen ins Zentrum unseres Handelns stellen“, unterstrich Hendele in seiner Ansprache.

Zur Gedenkveranstaltung waren auch Vertreter der Kreistagsfraktionen, Erkraths Bürgermeister Christoph Schultz und Vertreter der Geschichtsvereine gekommen und legten Blumen am Gedenkzeichen nieder.

Die Dokumentation “VERFOLGT, AUSGEBEUTET, ERMORDET– DAS NEANDERTAL ALS SCHAUPLATZ NATIONALSOZIALISTISCHER VERBRECHEN” kann auf der Homepage des Kreises www.kreis-mettmann.de heruntergeladen werden. Direkt zum PDF


Rede von Kreisarchivar Joachim Schulz-Hönerlage:

Bei der Gedenkfeier im vergangenen Jahr bin ich auf zwei Opfer eingegangen, die 1933 als KPD-Mitglieder von der SA ermordet wurden. (Andreas Milfried und Wilhelm Schmitt) Heute möchte ich eine andere Verfolgtengruppe in den Blick nehmen und zwar die sog. Rückwanderer oder zurückgekehrte Auslandsdeutsche – und zwar zwei Ehepaare, die sich gut sehr gut kannten, beide aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückkehrten und beide den Krieg und KZ-Haft überlebt haben und schließlich in Mettmann geblieben sind. Für einen von ihnen, Karl Vögtel, ist gestern vor seinem Wohnhaus in der Gruitener Straße in Mettmann ein Stolperstein verlegt worden. Auf ihn werde ich gleich ausführlicher
eingehen.

Zunächst einige Informationen zum Rückwandererheim: Es war in der ehemaligen Hellenbrucher Mühle von 1937 bis Sommer 1942 in Betrieb. Das Gebäude steht heute nicht mehr. Es wurde in den 1980er-Jahren abgerissen. Bis zur Auflösung des Heimes wurden dort rund 3.470 Menschen betreut, die jeweils einige Tage, mehrere Wochen oder sogar Monate blieben.

Sie kamen vor allem aus Spanien, Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Zu den Ersten, die hier ankamen, gehörten Deutsche aus der Sowjetunion, die während der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre teils aus politischer Überzeugung, teil aus wirtschaftlicher Not ein Arbeitsverhältnis in der Sowjetunion eingegangen waren. Sie kehrten nach Ablauf der in der Regel auf fünf Jahre abgeschlossenen Arbeitsverträge nach Deutschland zurück oder wurden im Zuge der Säuberungen durch Stalin zwischen 1936 und 1938 erst verhaftet und dann ausgewiesen. In den meisten Fällen handelte es
sich um frühere Mitglieder oder Sympathisanten der KPD, SPD oder der Gewerkschaften. Deshalb standen sie unter besonderer Beobachtung der Gestapo und wurden häufig unmittelbar nach ihrer Einreise oder nach einigen Tagen oder Wochen verhaftet.

Insgesamt sind 20 Personen namentlich bekannt, die während ihres Aufenthaltes im Rückwandererheim entweder von der Gestapo verhört, in Schutzhaft genommen, in Zuchthäuser oder in Konzentrationslager eingeliefert wurden. Vier Menschen sind dort ums Leben gekommen, einige – wie die beiden Familien, über die ich jetzt berichten möchte – haben die jahrelange Schutzhaft überlebt.

Das Ehepaar Karl und Luise Vögtel wanderte 1931 in die Sowjetunion aus. 1933 wurde dort ihre Tochter geboren. Karl Vögtel war als Schlosser seit 1926 Mitglied der KPD. In der SU hat er in einer Munitions- und Lokomotivfabrik gearbeitet und war als Metallarbeiter auch automatisch Mitglied der sowjetischen Gewerkschaft. Im Zuge der großen Säuberungen unter Stalin wurde Vögtel am 31. Juli 1937 u. a. wegen des Verdachts auf Spionage, der Vorbereitung zum bewaffneten Aufstand und der Agitation gegen die SU festgenommen. Hierzu hat er im Gestapo-Verhör ausgesagt: „Am 31. Juli 1937 wurde ich von meiner Wohnung aus von der NKWD festgenommen. […] Mir wurde folgendes zur Last gelegt: Vorbereitung zum bewaffneten Aufstand, Spionage, Diversionsakte [?], Agitation gegen die SU. Die Mitgliedschaft in einer faschistischen Organisation […] Meine Vernehmungen wurden in tagelangen Verhören, welche nur durch kurze Pausen unterbrochen wurden, durchgeführt. Ich bin hierbei nicht mißhandelt worden.
Ich konnte alle Beschuldigungen, bis auf die Agitation, von mir abweisen. Ich hatte nämlich über die Maßnahmen, daß man den Bauern die letzte Kuh wegnehme und die Anleihe auch von den Armen erpresse, geschimpft. […]

Nach mehreren Monaten Haft wurde er im Dezember 1937 ohne seine Frau und Tochter nach Deutschland abgeschoben, nachdem er sich zuvor offensichtlich verpflichten musste, als Spitzel für die Sowjetunion zu arbeiten.
Am 10. Oktober wurde ich […] zu dem Untersuchungsrichter […] gerufen, welcher mir erklärte, daß ich meine Lage dadurch verbessern könne, wenn ich mich verpflichte, nach Rückkehr nach Deutschland für die NKWD zu arbeiten und meine Mitgefangenen zu bespitzeln. […] Die Summe von 150 Rubel sollte ich für geleistete Spitzeldienste erhalten haben. Ich habe diese Quittung unterschrieben. […]
Am 27. November wurde ich wiederum […] zur Vernehmung bestellt, wo mir dann erklärt wurde, daß ich ausgewiesen würde. Am selben Tage ging es mit einem Gefangenentransportwagen mit weiteren 34 Gefangenen nach Kiew. Hier wurden wir im Zentralgefängnis untergebracht, um dann am 16. Dezember 1937 endgültig nach Deutschland abgeschoben zu werden. […] Die Reise ging mittels Transport bis Tschepetowka, der russisch-polnischen Grenzstation. Hier erhielten wir unseren Paß ausgehändigt. Wir kamen zuerst nach Neu-Bentschen, um dann nach Berlin weitergeleitet zu werden. Von dem Transport ging ich als einziger dann zum Rückwandererheim nach Mettmann.

Er kam also zunächst nach Berlin und dann am 31. Januar 1938 nach Mettmann ins Rückwandererheim. Seine Frau und seine Tochter waren zu dem Zeitpunkt noch in der Sowjetunion. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Mettmann, am 11. Februar 1938, verhaftete ihn die Gestapo, verhörte ihn mehrfach und sperrte ihn zunächst im Polizeigefängnis Düsseldorf (Polizeipräsidium, nicht Ulmer Höh in Derendorf) ein. Nach einigen Monaten wurde er dann bis zum Kriegsende als Schutzhäftling ins KZ Buchenwald gebracht. Dort musste er in verschiedenen Arbeitskommandos schwerste körperliche Arbeiten verrichten und wurde dabei mehrfach misshandelt. Ein Mithäftling berichtete über einen Vorfall aus dem Jahr 1938 oder 1939:
„Wir wurden dem Arbeitskommando Kläranlage Berlstedt zugeteilt. Diesem Kommando wurden alle Neuzugänge zugewiesen. Die Kläranlage war eines der schlimmsten Arbeitskommandos im KZ Buchenwald. Beim Transport von Baumstämmen hatte Herr Vögtel das Unglück zu stolpern und er bekam den Baumstamm auf den Brustkorb. Ein SS-Mann sprang hinzu und traktierte ihn mit Fußtritten und schrie: ‚Willst Du wohl aufstehen, Du Schwein!‘ Er ließ erst nach, als dem Vögtel das Blut aus Mund und Nase floss. Nun beauftragte er zwei Häftlinge, den Vögtel ins Lager zu bringen mit der Bemerkung: ‚Schafft den Kadaver ins Lager.‘ Wir Kameraden haben uns darum bemüht, dass er im Revier illegal
aufgenommen und dort fünf Tage behandelt und nachdem etwa 14 Tage [vergangen] im Schonkommando auf dem Holzhof beschäftigt wurde. Nachdem wurde Herr Vögtel wieder dem Kommando Kläranlage zugewiesen.“

Karl Vögtel kehrte am 23. Mai 1945 aus Buchenwald zurück, nachdem er in der illegalen Lagerorganisation der KPD mitgearbeitet und 1945 aktiv an der Selbstbefreiung des Lagers teilgenommen hatte. Seit Juli 1937 – also rund acht Jahre – war er fast durchgehend inhaftiert, hat sich aber seine Überzeugungen nicht nehmen lassen und wirkte später als KPD-Abgeordneter sowohl im Rat der Stadt Mettmann als auch im
Kreistag des Kreises Düsseldorf-Mettmann. Außerdem war er in der Interessenvertretung der Widerstandskämpfer und Verfolgten des Nazi-Regimes aktiv. Er starb 1972.
Seine Frau Luise kam am 23.2.1938 – 12 Tage nach der Festnahme ihres Mannes – mit der sechsjährigen Tochter in Mettmann an. Sie „hat im Rückwandererheim keinen Anlaß zu Klagen gegeben“, wurde aber in ihrem Überprüfungsverfahren als für „geschützte Betriebe“ nicht geeignet eingestuft. Ihren Mann durfte sie einmal im Polizeigefängnis in Düsseldorf besuchen. 1941 wurde sie selbst von der NS-Kreisfrauenschaftsleiterin bei der Gestapo denunziert. Angeblich lege sie „immer kommunistische Reden an den Tag und unterhalte sich mit Frau Selikat nur in russisch!“ Vor der Gestapo erklärte Frau Vögtel, sie pflege die russische Sprache nur, damit sie sie nicht verlerne. Sie sollte fortan unter besonderer Beobachtung stehen.

Das Ehepaar Franz und Emma Sellikat war eng mit den Vögtels befreundet. Ihre Lebensläufe sind seit 1930/31 relativ gleich. Beide gehörten zur Gruppe der Rückkehrer aus der Sowjetunion. Er war seit 1924 Mitglied der KPD und wanderte 1930 auf Arbeitssuche in die Sowjetunion aus. Der sowjetische Geheimdienst NKWD nahm ihn im Mai 1937 fest. Ende 1937 wurde er aus der Sowjetunion abgeschoben und kam zunächst nach Berlin. Er ist anschließend am 30. Januar 1938 nach Mettmann ins Rückwandererheim gekommen – einen Tag vor Vögtel. Die Gestapo Düsseldorf verhaftete auch ihn am 11. Februar 1938 und der Oberreichsanwalt in Berlin strengte gegen ihn ein Strafverfahren wegen Landes- und Hochverrats an – dies vor allem wegen seines Antrags auf Aufnahme in den sowjetrussischen Staatsverband im Jahr 1935. Am September 1938 ordnete das Geheime Staatspolizeiamt Berlin Sellikats Unterbringung im Konzentrationslager Buchenwald an. Sellikat war 1943 in einem Außenkommando des Lagers auf dem Messegelände in Köln eingesetzt und war zusätzlich als Dolmetscher für die dort internierten sowjetischen Kriegsgefangenen tätig. Am 10. Oktober konnte er von dort flüchten und versteckte sich bis zum Kriegsende bei seiner Schwester in Marl. Seine Frau Emma wohnte noch im Oktober 1938 im Rückwandererheim und bezog dann eine kleine Wohnung in Mettmann.

Beide Ehepaare haben die NS-Zeit und den Krieg überlebt und dann in Mettmann ein neues Zuhause gefunden. Die Verlegung des Stolpersteins für Karl Vögtel würdigt stellvertretend das Schicksal dieser Familien.

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