
Am Samstag wurde im und vorm Atelier von Konstanze Schättel in der Hans-Sachs-Straße 9 am Sandheider Markt ein besonderes Jubiläum gefeiert: 10 Jahre Nachrichten-Club von Sonja Maria und Irene Thompson.
Angefangen hat alles mit einem Aufruf zur Suche nach Lernpaten in der örtlichen Presse, den die damaligen Leiterin der Stadtbücherei, Michaele Gincel-Reinhardt formuliert hatte. „Michaele hat den Stein ins Rollen gebracht“, erinnert sich Sonja Maria Thompson. „Rund 100 Menschen meldeten sich damals“, erzählt Gincel-Reinhardt, die natürlich auch zur Jubiläumsfeier gekommen war. Mit dem damaligen Aufruf suchte die Stadtbücherei eigentlich Lernpaten für ein Inklusionsprojekt, mit dem Menschen beim Lesenlernen unterstützt werden sollten. Gedacht war dabei an etwa 10 Ehrenamtler. „So viele Menschen, die nicht richtig Schreiben und Lesen können, gab es ja in Erkrath gar nicht“, weiß Gincel-Reinhardt. Aber es war der Sommer, in dem Erkrath quasi über Nacht eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge herrichten musste.
„Freitags erfuhren wir, dass 150 Geflüchtete ankommen werden. Vier Tage später war das Bürgerhaus voll“, erinnert sich Gincel-Reinhardt. Die 100 Menschen, die sich genau in diesem Zeitraum als Lernpaten gemeldet hatten, waren wie ein Geschenk. „Wir haben damals erst einmal Pritschen mit aufgebaut, bevor wir weiter über die Lernpatenschaften sprechen konnten“, erzählt Sonja Maria Thompson. Alles sei improvisiert gewesen. Neben Pritschen zum Schlafen gab für die Ankommenden einen Hocker. Trennwände fehlten gänzlich. Es musste ja alles sehr schnell gehen. „Auch das Essen war nicht an die Ankommenden angepasst, die sich dann später oft selbst versorgt haben, weil sie unser Essen nicht gewohnt waren“, führt sie weiter aus. Es war aber auch die Zeit, in der sich in der Bevölkerung eine riesige Hilfsbereitschaft zeigte, aus der nicht nur mit dem Nachrichten-Club langfristige Hilfen zur Integration entstanden. Auch der Verein Du-Ich-Wir feierte kürzlich sein 10-Jähriges.
Den Freundeskreis für Flüchtlinge in Erkrath gibt es schon deutlich länger. 1986 fanden sich Menschen mit dem Ziel zusammen Geflüchte bei der Integration zu unterstützen. 2015 waren die Mitglieder mit Dieter Thelen dann auch bei den Helfern am Bürgerhaus und so lernten Sonja Maria und Irene Thomson ihn kennen. Gemeinsam stellten sie damals Pritschen auf und Sonja Maria half später auch in der vom Freundeskreis für Flüchtlinge eingerichteten und betriebenen Kleiderkammer.

Bruni Bierich, Gabi Katzenburg, Petra Schendekehl und Dieter Thelen
vom Freundeskreis Flüchtlinge e.V. (v.l.n.r.). | Foto: Ria Garcia
Unterstützung der Lernpaten
Michaele Gincel-Reinhardt überlegte dann 2015 gemeinsam mit Ursula Moldon, die die VHS leitete, wie man die 100 Lernpaten schulen könnte und welche Arbeits- und Lernmittel ihnen für die Lerneinheiten zur Verfügung gestellt werden können. In einem ersten Schritt ging es erst einmal darum festzustellen, wer von den Lernpaten Englisch spricht und da waren Sonja Maria und Irene Thompson ganz vorn. Viele ankommende Syrer sprachen gut Englisch und darüber gelang dann die erste Ansprache der in Erkrath eingetroffenen Geflüchteten. Auf einer Seite der Stadtbücherei findet man noch heute einem Situationsbericht mit einem Bild auf dem Sonja Maria beim Vermitteln von Sprachkenntnissen zu sehen ist. Mitglieder des Fördervereins sponserten damals Büchereiausweise für Geflüchtete, damit diese Zugang zum Internet, zu Online-Kursen und zu internationaler Presse haben.
„Wir waren sehr dankbar, dass Michaele so viel Unterstützung geboten hat. Ohne sie würde es den Nachrichten-Club gar nicht geben“, sind sich Sonja Maria und Irene Thompson einig. Ohne das Engagement der beiden würde es aber vielleicht auch die ein oder andere gelungene Integration heute nicht geben.
Die Anfänge der Lernpatenschaften
Die Betreuung fand anfangs 1:1 statt. Sonja Maria nutzte für die Lerneinheiten auch die Ausgaben der Tageszeitungen in der Bücherei, um zum einen das Leseverständnis der Lernenden zu verbessern und ihnen zum anderen wissen über Gesellschaft und Politik in unserem Land zu vermitteln. „Wir haben uns dabei auf die lokalen Nachrichten konzentriert“, berichtet sie. So sei auch der Name Nachrichten-Club entstanden.
Während der Öffnungszeiten setzten sich die Lernpaten damals mit Geflüchteten in der Stadtbücherei zum Lernen zusammen und außerhalb der Öffnungszeiten bot die AWO dann Raum zum Lernen an. Auch Silke Dietz war unter den Gästen und Gratulanten zum Jubiläum des Nachrichten-Clubs gekommen. Gern erinnert sie sich mit den Thompsons an ein „Karnevals-Kochen“ zurück.
„Die Menschen, die wir damals begleiteten, haben sich gewünscht uns etwas zurückzugeben und kamen auf die Idee für uns zu kochen“, erzählt Sonja Maria. Das taten sie dann zu Karneval stundenlang in der Küche der AWO. Zum anschließenden Essen waren dann nicht nur Lernpaten, Projektinitiatoren und Silke Dietz zu Gast, auch einige Senioren der Begegnungsstätte nahmen teil.
Als der Freundeskreis für Flüchtlinge in Erkrath 2017 dann die Begegnungsstätte Hand in Hand eröffnete, fragte Dieter Thelen die Thompsons, ob sie nicht dort ihre Lernpatenschaften abhalten wollten. So zogen Irene und Sonja Maria Thompson mit dem Nachrichten-Club jeden Samstagvormittag von 10 bis 12 Uhr in die Begegnungsstätte. Um weiterhin auch Tageszeitungen in die Unterrichtseinheiten einzubeziehen, nutzten sie Remittenden (unverkauft zurückgegangene Exemplare), die Sonja Maria über ihren damaligen Arbeitgeber erhielt.

2019 in der Begegnungsstätte Hand in Hand. Foto/Archiv: tb
Digital statt Analog
Im Unterschied zu den anfänglichen Zeiten gibt es den Nachrichten-Club heute nur noch in digitaler Form. ‚Schuld‘ daran war die Pandemie. „Als der erste Lockdown kam, haben wir überlegt, wie wir den Menschen trotzdem helfen können und haben den Nachrichten-Club kurzerhand digitalisiert“, erzählt Sonja Maria. Die Lernenden nahmen das Angebot dankbar an und im Verlauf zeigten sich sogar Vorteile. „Bis dahin haben wir ja nur Menschen erreicht, die hier in Erkrath vor Ort leben“, so Sonja Maria. Dann aber hat sich die Möglichkeit herum gesprochen. „Dann hatten wir einen Chirurg aus Syrien als Teilnehmer, der in Lünen wohnt“, erzählt sie.
Analog erreichbar sind die Beiden über Infostände und Teilnahme an Festen, wie internationalen Festen, Lichterfest u.ä. „Über den Nachrichten-Club haben wir ganz viele Leute kennengelernt“, freut sich Sonja Maria über das gewachsene Netzwerk.

Foto: Sonja Maria Thompson
Beispiele gelungener Integration
Zu diesem Netzwerk gehört auch Soroush, der in den Anfangszeiten zum Nachrichten-Club stieß, weil er sich auf die B1-Prüfung in Deutsch vorbereiten musste. Inzwischen hat er ein abgeschlossenes Studium der Sozialen Arbeit und ist als Sozialarbeiter im Kommunalen Integrationszentrum beschäftigt. Zusammen mit Sonja Maria Thomson, Dieter Thelen und anderen kandidiert er bei der kommenden Wahl mit der Multinationalen Liste parteiunabhängig für den Integrationsrat. Wie man an diesem Beispiel sieht, sind aus den Geflüchteten von damals inzwischen Menschen geworden, die beruflich wie gesellschaftlich Fuß gefasst haben und die niemand hier missen möchte.
Natürlich waren einige von ihnen, auch Soroush, zum Jubiläum gekommen. Wie Jahesh, der uns erzählt, wie er Sonja Maria und Irene damals kennengelernt hat. Er ist inzwischen 27 Jahre alt und arbeitet als Erzieher in der Jugendhilfe und hilft jungen Menschen zwischen 16 und 21 Jahren bei der ‚Verselbständigung‘. In Wohngruppen werden sie auf ein eigenständiges Leben mit eigener Wohnung vorbereitet. Nebenbei studiert er soziale Arbeit im vierten Semester. „Irene hat uns gefragt, wer Deutsch lernen möchte und ich habe mich sofort gemeldet“, sagt er uns. „Sonja mochte ich erst nicht. Heute weiß ich gar nicht mehr warum“, fügt er lachend hinzu. Er kam aus Afghanistan nach Deutschland.
Auch sein Bruder Jeyhoon kam mit seiner Frau und seinem Schwiegervater zum Jubiläum. Er arbeitet für den Meta-Konzern im Bereich Policies. Seine Frau, die mit ihrer Familie ursprünglich von Afghanistan nach Schweden immigriert war, arbeitet heute als Krankenschwester. Geheiratet haben die beiden im vergangenen Jahr und Sonja Maria und Irene waren natürlich dabei.
Aus Lernpaten sind über die Jahre Freunde geworden, die ein bisschen wie eine zweite Familie sind.

10 Jahre und noch kein Ende
Bis heute gibt es den Nachrichten-Club jeden Samstagvormittag zwischen 10 und 12 Uhr. „Wenn die Teilnehmer wenig Zeit haben, dauert er manchmal auch nur eine Stunde“, so Sonja Maria. Dem Namen treu bleibend fließen immer noch die aktuellen Nachrichten ein. „Neben den lokalen Nachrichten werfen wir aber inzwischen auch immer wieder einen Blick auf die Weltpolitik“, sagt Sonja Maria. Dazu gehören dann auch schon einmal die Erklärungen, was der CSD ist und was es mit dem Regenbogen auf sich hat. Auch das Aktionsbündnis für Demokratie, in dem Sonja Maria mitwirkt, fließt thematisch mit ein.
Meist nehmen zwei bis drei Leute teil. Manchmal sind es aber auch fünf oder sechs. „Dann teilen wir uns auch schon einmal in zwei digitale Meetings auf, damit es klappt.“ Ausfälle gab es bisher nur selten. Vielleicht ein oder zweimal im Jahr, berichtet Sonja Maria. Nicht immer können beide Thomsons an einem Samstagvormittag. Sie versuchen aber, dass einer von beiden auf jeden Fall die Zeit freihalten kann.
Eine kleine Anerkennung fürs ehrenamtliche Engagement gab es zum 10-Jährigen dann auch von Sonja Maria Thompsons Chef (sie arbeitet für die Matrix gGmbH), der dem Nachrichten-Club 100 Euro für seine Arbeit spendete.
Passend zur bunten und vielfältigen Gesellschaft
Der Ort 10 Jahre Nachrichten-Club zu feiern hätte nicht passender sein können. Die Künstlerin Konstanze Schättel hatte Sonja Maria angeboten, wenn sie einmal eine Veranstaltung machen wollten, ihr Atelier am Sandheider Markt zu nutzen. Das Angebot nahmen die Thompsons dankbar an und einen schöneren und bunteren Rahmen hätten sie sich für diesen Anlass kaum wünschen können.
Ein Besuch des Ateliers lohnt sich für alle Kunstinteressierte auch abseits eines solchen Anlasses. Man sollte allerdings ein wenig Zeit mitbringen, denn es gibt allerhand zu entdecken.

Sehr interessanter Artikel und eine tolle Geschichte rund um den Nachrichtenclub. Vielen Dank, alles Gute und weiter so:)