Buchtipp: Unsre verschwundenen Herzen

von Stephan Frank

Foto: Ingrid / Pixabay

Stephan Frank hat für unsere Leser Celeste Ng Roman ‘Unsre verschwundenen Herzen’ rezensiert.

Celeste Ng (gesprochen: Ing), 1980 in Pittsburgh geboren, ist die Tochter von 1960 von Hongkong in die USA eingewanderten Eltern, die Naturwissenschaftler sind. Sie studierte Englisch in Harvard und erwarb anschließend den „Master of fine arts“ für kreatives Schreiben. Sie lebt mit ihrem Ehemann und Sohn Cambridge. Bislang hat sie im wesentlichen zwei erfolgreiche Romane veröffentlicht, nämlich „Was ich euch nicht erzählte“ und „Kleine Feuer überall“, wobei letzterer erfolgreich als Miniserie verfilmt worden ist.

Bei dem Roman handelt es sich um eine in wohl nicht allzu ferner Zukunft liegenden Dystopie, also einem literarischen Genre wie wir es z. B. von George Orwells „1984“ kennen. Handlungsort sind die Vereinigten Staaten. Hauptfigur ist der zwölfjährige Noah, genannt Bird, der mit seinem Vater, einem vom Regime zum einfachsten Bibliotheksangestellten degradierten Linguistikprofessor, in einem Studentenwohnheim lebt. Die Mutter des Jungen ist eine Schriftstellerin mit asiatischem Migrationshintergrund. Sie hat die Familie – zunächst aus unerfindlichen Gründen – verlassen. Wir erfahren, dass die Vereinigten Staaten vor nicht allzu langer Zeit eine schwere Krise durchgemacht haben. Die nun herrschende autoritäre Regierung hat dafür China und alles Asiatische als Schuldigen ausgemacht. Es herrscht offener Rassismus verbunden mit einer Politik, die das amerikanische Wohl über alles stellt. PACT (Preserving American Culture and Tradition“) lautet das nun alles bestimmende Gesetz, das alles Antiamerikanische und Asiatische erbarmungslos verfolgt, das Denunziantentum fördert und gleichsam nebenbei Kinder aus unamerikanischen, das heißt auch oppositionellen und kritischen Familien entfernt und unbekannten Pflegeeltern an weit entlegenen Orten übergibt. Birds Freundin Sadie ist eines dieser Kinder. Eines Tages macht sich Bird, nachdem er einen Brief seiner Mutter erhalten hat, alleine auf die Suche nach ihr. Er hat erfahren, dass eines ihrer Gedichte mit dem Titel „Unsre verschwundenen Herzen“ mittlerweile von Systemgegnern zur Hymne erkoren wurde. Bird findet auf Umwegen schließlich seine Mutter, die ihm gesteht, dass sie als Asiatin die Familie verlassen hat, nur um Bird und seinen Vater vor den Nachstellungen des Regimes zu schützen. Sie selbst ist inzwischen im Untergrund, im Widerstand tätig.

Das alles mag auf den ersten Blick etwas konstruiert erscheinen. Wichtig ist jedoch die eigentliche Aussage des Textes. In erster Linie sind natürlich die Ereignisse und Verhältnisse unter der Regierung von Donald Trump gemeint: „America first“ war bekanntlich sein Motto. Kinder von an der Grenze zu Mexiko aufgegriffenen Einwanderern wurden von ihren Eltern getrennt. China wurde für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht. Es kam zu Diskrimierungen von allem Asiatischen. Insofern ist Ng’s Roman auch eine allgemeine Warnung vor der ständigen Bedrohung jeglicher Demokratie durch extremistische Kräfte aller Art sowie vor jeglichem Rassismus. Literarisch ist dieses Buch sicherlich kein Höhenflug und nicht vergleichbar mit Ng’s früheren Romanen, aber als Warnung vor den Umtrieben antidemokratischer Kräfte, vor dem allgegenwärtigen Rassismus und Nationalismus in vielen Ländern dieser Welt ist dieser Roman sicherlich Pflichtlektüre, ein Werk, das hoffen lässt, dass Literatur, dass fiktionale Texte die Entwicklung dieser Welt doch ein klein wenig beeinflussen können, indem sie auf Missstände aufmerksam machen.

Auch wenn Celeste Ng ihren Text aus Anlass der Politik Donald Trumps geschrieben hat, muss dieser Roman auch als Warnung an alle demokratischen Staaten verstanden werden, wachsam zu sein und die Demokratie zu verteidigen. Leider gibt es ja auch in Europa in dem einen oder anderen Staat die Bestrebung, die Freiheit der Bürger und deren Selbstbestimmung zu beschränken.

Celeste Ng: Unsre verschwundenen Herzen. München 2022 | ISBN 978-3-423-29035-7

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