Buchtipp: Tante Martl

von Stephan Frank

Foto: Ingrid / Pixabay

Stephan Frank hat für unsere Leserinnen und Leser Ursula März’ Roman “Tante Martl” rezensiert, der aus seiner Sicht eher eine Biographie ‘besagter Tante’ ist.

Das Werk ist als preisgünstiges Taschenbuch erschienen und in der bislang veröffentlichten Kritik positiv aufgenommen worden. So schreibt die bekannte Kritikerin Christine Westermann: „Ein tolles Buch, ein witziges Buch. Mit einem Ende, das umhaut.“ Der Titel „Tante Martl“ klingt zunächst wenig verlockend, eher etwas betulich, und tatsächlich beschreibt dieser Begriff die besagte Hauptperson treffend, allerdings nicht in einem abwertenden Sinn. In dem Text hat sie gleich zu ihrer Geburt einen besonderen Schicksalsschlag erlitten: „In ihrer ersten Lebenswoche, genau von Montag bis Montag, galt meine Tante auf dem Papier als Person, vielmehr als Säugling, männlichen Geschlechts. Sieben Tage lang war ihr Vater nicht bereit, sich mit der Tatsache abzufinden, dass auch dieses Kind ein Mädchen geworden war. […] Aber irgendwie hat sie dann ihr Schicksal auf außergewöhnliche Weise  gemeistert.“

Das Buch ist zwar, wie bereits erwähnt, als Roman, also als fiktionaler Text im Untertitel ausgewiesen, ist aber eher eine Art Biographie besagter Tante, und zwar geschrieben von ihrer Nichte Ursula März, einer 1957 geborenen Literaturkritikerin und Feuilletonistin, die u. a. für angesehene Zeitungen tätig ist. Es beschreibt das Leben einer vom Vater ungeliebten Tochter, die in ihrer Kindheit recht aufsässig war, immer wieder vom Vater bestraft, auch mit Schlägen. Trotzdem macht dieses Kind bzw. diese Frau, Jahrgang 1925, ihren Weg. Sie wird nach dem Krieg Lehrerin, macht den Führerschein und unternimmt zahlreiche Reisen, auch ins Ausland, bleibt aber stets ledig und wohnt in einer Wohnung im elterlichen Haus. So gesehen war sie eine, im Vergleich zu ihren beiden älteren Schwestern, für die Zeit emanzipierte und selbstständige Frau. Das Buch zeichnet also den tatsächlichen Lebensweg dieser Frau nach, der zwischen Selbstständigkeit einerseits und Abhängigkeit von ihren Eltern und Geschwistern andererseits  geprägt ist. Obwohl ihr Vater sie stets als Tochter abgelehnt hat, pflegt sie ihn hingebungsvoll bis zu seinem Tod. Dieses Spannungsfeld wird in einzelnen, durchaus humorvollen Episoden dargestellt und ist eben so auch als zeitgeschichtliches Dokument äußerst lesenswert.

Ursula März: Tante Martl. Piper Verlag. München 2020. ISBN 978-3-492-31682-8

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