Alter Bahnhof – die „Visitenkarte der Stadt“

Von Christian Zimmer

Vortrag über den Alten Bahnhof. Foto: Christian Zimmer

Der Heimat- und Brauchtumsstammtisch hatte Anfang November zum Vortrag über den alten Bahnhof in Alt-Erkrath geladen. Rund 30 Menschen kamen der Einladung nach und machten sich auf eine „Reise durch die Zeiten“.

So kündigte Uli Schimschock, selbst Eisenbahner, seinen Vortrag an. 1972 wurde er als Beamter vereidigt und war unter anderem im Erkrather Bahnhof sowie im Gleisstellwerk in Gerresheim tätig. Noch heute ist er im Eisenbahn- und Heimatverein in Hochdahl tätig, der im Lokschuppen nahe dem S-Bahn-Haltepunkt in Hochdahl die Eisenbahn-Geschichte der Stadt pflegt.

Kurz vor Beginn des Vortrags kamen immer weitere Menschen in den ehemaligen Wartesaal erster Klasse, so fing der Vortrag vier Minuten später an. „Verspätung – typisch für die Eisenbahn“, kommentierte Schimschock und das Publikum schmunzelte. Zunächst überließ er das Wort der Gastgeberin Nicole Stein, welche sich für das zahlreiche Erscheinen bedankte. Sie hatte schon im Studium im alten Bahnhof gewohnt, heute beherbergt der Bahnhof die Agentur Melles & Stein. Die untere Etage wurde zu Büros umgebaut, dafür wurden über 10.000 Kilometer Netzwerkkabel verlegt, erzählte sie.

Gerettete Bauzeichnungen mit geplanter Überdachung und „Abzugshaube“

Doch für den Anfang des Vortrages ging es weit in der Geschichte zurück: Als 1838 die Eisenbahnstrecke zwischen Düsseldorf und Erkrath eröffnet wurde, gab es in Erkrath bereits ein erstes Bahnhofsgebäude. Das kleine Empfangsgebäude wurde mit der Zeit allerdings zu eng. So wurde 1905 ein neues Bahnhofsgebäude errichtet. „Viele Menschen hatten damals keine Uhr und orientierten sich an der Bahnhofsuhr“, erklärte Schimschock. „Der Bahnhof war auch immer die ‚Visitenkarte‘ der Stadt, weil Reisende ihn als erstes sahen.“

Pläne des Alten Bahnhofs. Foto: Christian Zimmer
Pläne mit Bahnsteig-Überdachung. Foto: Christian Zimmer

Pläne von früher zeigen, dass der Bahnsteig direkt am Bahnhofsgebäude (dieser existiert mittlerweile nicht mehr) ursprünglich überdacht werden sollte, dies wurde jedoch nicht umgesetzt. Im Erdgeschoss des Bahnhofsgebäudes gab es Toiletten, Gastronomie sowie die Wartesäle der ersten und zweiten Klasse. Da der Bahnhofsvorsteher rund um die Uhr im Dienst war, war es naheliegend, dass er auch nah oder direkt im Bahnhof wohnte. In Erkrath hatte er seine Wohnung im Obergeschoss des Bahnhofs.

Die Zeichnungen von 1906, welche Uli Schimschock präsentierte, wären fast verloren gegangen: Die sogenannten Hochbau-Bahnmeistereien verwalteten die Baupläne, bei der Bahn-Reform wurden diese vielfach einfach entsorgt. Die Pläne des Erkrather Bahnhofs konnten zum Glück gerettet werden. Auf ihnen ist noch ein Detail zu erkennen: „Das Abortgebäude hatte ursprünglich eine Abzugshaube“, scherzte Schimschock. Damit meinte er das Toilettengebäude neben dem Bahnhof, welches ursprünglich eine runde Belüftung auf dem Dach hatte. Wie man später auf Bildern sehen konnte, war das Dach irgendwann wie im heutigen Zustand vollständig dicht – vermutlich ist es einmal eingestürzt und wurde ohne „Abzugshaube“ erneuert.

Alt-Erkrath ist kein Bahnhof mehr

Bahnhöfe waren früher in der Zeit ohne Handys auch ein beliebtes Postkartenmotiv. Daher waren in dem Vortrag auch einige Postkarten von früher zu sehen. Ein Foto zeigte die damalige Belegschaft. „Alle hatten einen Flughafen-Landeplatz auf dem Kopf“, sagte Schimschock scherzhaft über die Uniformen mit großen Mützen. „Man war stolz, Eisenbahner zu sein“, erzählte er. So genossen Eisenbahner Vorzüge, etwa wurde sich um die Waisen gekümmert, wenn ein Eisenbahner verstarb. „Wie eine Familie“ waren die Eisenbahner in der damaligen Zeit. Denn jeder habe gewusst: „Die Bahn funktioniert nur, wenn alle mitarbeiten.“ Wenn man an die jüngsten Bahn-Streiks denkt, dürfte der Spruch auch heute noch gelten.

Bahnhof-Personal vermutlich in den 1920er Jahren. Foto: Christian Zimmer
Gleisplan des Bahnhofs Erkrath im Jahr 1924. Foto: Christian Zimmer

Streng genommen ist in Alt-Erkrath gar kein Bahnhof mehr. Und das erklärte Uli Schimschock so: Für einen Bahnhof muss mindestens eine Weiche vorhanden sein. In Alt-Erkrath gibt es aber keine Weiche mehr, daher heißt dies im Bahndeutsch nüchtern „Haltepunkt“. „Erkrath war und ist nicht so bedeutend, dass hier Schnellzüge hielten“, sagte Schimschock. Und doch hielten Schnellzüge in Alt-Erkrath, wegen der Steilstrecke.

Vom Seilzug zu Schiebeloks

Der Bahnhof in Hochdahl existiert nur, weil dort das Ende der Steilstrecke ist und die Züge dort, wie in Alt-Erkrath, halten mussten. Der Name kam vom Hochdahler Hof. Von 1841 an wurden die Züge mit einem Seilzug zunächst durch eine Dampfmaschine den Berg herauf gezogen, um die Steilstrecke zu schaffen. Da dies jedoch unwirtschaftlich war, stellte man das System um, sodass eine Dampflok von Hochdahl aus in Richtung Erkrath bergab fuhr und damit über den Seilzug den bergauf fahrenden Zug nach oben zog.

1926 wurde der Seilzug abgeschafft, von da an gab es „Schiebeloks“, welche zusätzlich an die Züge gehängt wurden und den Zug hinten anschoben. Manchmal wurden zusätzlich Loks auch vorne angehängt. Die Schiebeloks waren in erster Linie für Fernzüge bestimmt. „In unter 11 Stunden nach Berlin, das muss die Bahn heute erst mal schaffen“, sagte Schimschock. Auf Luftbildern war zu sehen, dass die Schiebeloks in Alt-Erkrath bereitstanden, früher gab es viel mehr Gleise und Nebengleise. Ebenfalls auf Luftbildern war zu sehen, wie sich Gewerbe und Industrie in Erkrath aufgrund der Eisenbahn-Anbindung ansiedelten.

Am 26. Juni 1931 gab es ein großes Ereignis auf der Bahnstrecke: Der sogenannte „Schienenzeppelin“ fuhr die Strecke entlang, ein Prototyp, welcher durch einen Propeller auf der Rückseite angetrieben wurde. „Ich kenne 6-8 Fotos von damals aus Erkrath, überall sieht man viele Zuschauer auf den Fotos“, erzählte Schimschock. Über den damaligen Erprobungstest hinaus hat es dieser Bahntyp jedoch nicht geschafft, der große Nachteil: Der Schienenzeppelin konnte nur in eine Richtung fahren, zum Wenden brauchte man dann wieder eine Dampflok.

Der Bahnhof in der Zeit des Nationalsozialismus

Auch die Zeit der Nationalsozialisten darf in dieser Zeitreise nicht fehlen. Bilder vom alten Bahnhof, außen dekoriert mit NSDAP-Flaggen, wurden gezeigt. 1938 gab es eine Feier zum Anlass des 100-jährigen Jubiläums seit Eröffnung der Bahnstrecke. Dort gab es auch ein Modell der Seilzug-Strecke und ein Denkmal, in dem eine falsche Jahreszahl stand – demnach sei der Seilzug bis 1927 in Betrieb gewesen. Noch heute kann man diese Falschangabe auf dem Schild an der Umlenkrolle in Hochdahl sehen, wo das Denkmal seinen richtigen Platz gefunden hat.

Ab 1941 fuhren auch nachts Züge durch Erkrath. „Warum nachts? Das waren Deportationszüge. Die fuhren von Derendorf aus alle über die Steilstrecke zu den Konzentrationslagern. Die Eisenbahner, die hier gearbeitet haben, wussten alle, was das für Züge sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sie sich nicht mehr daran erinnern“, sagte Schimschock. War es während des Vortrages ohnehin im Publikum ruhig, so hatte man bei diesen Ausführungen das Gefühl, dass es noch stiller war.

Fahrplan eines Deportationszuges im Jahr 1942 von Düsseldorf-Derendorf in das Zwangsarbeitslager Trawniki in Polen. Foto: Christian Zimmer

Die Arbeit im Bahnhof bis zur Schließung 1993

In der Nachkriegszeit konzentrierte sich alles am Bahnhof und der Bahnstraße, wie man auf Bildern von 1956 sah. Von der Lok mit der Nummer 85 007 berichtete Schimschock: „So viele Fotos wie von dieser Lok gibt es von Erkrather Schiebeloks nicht.“ Weshalb diese Lok etwas Besonderes früher war, konnte er sich auch nicht erklären. Gegenüber des Bahnhofs in Richtung der Steilstrecke stand früher ein Wassertank zum Auffüllen der Dampfloks. Eine Besucherin erinnerte sich, dass vor dem Wassertank 1962 eine Lok umgefallen sei – diese Anekdote war auch für Bahnexperte Schimschock neu.

Nach der Elektrifizierung der Strecke gibt es Dampfzüge nur noch als Sonderzüge. Schimschok erinnerte sich an seine Arbeit im Erkrather Bahnhof und zeigte Bilder älterer Fahrkarten. Manche davon waren abgeschnitten: Die Kinderkarten. Diese waren mit Aufwand verbunden, denn der abgeschnittene Teil wurde aufgeklebt für die Kassenprüfung. „Schon ein Kassenfehlbetrag von 10 Pfennig waren ein Problem“, erinnerte sich Schimschock – bei der Bundesbahn war man sehr penibel.

Während es heute elektronische Anzeigen und Apps gibt, gab es die Fahrplan-Auskunft früher per Telefon, die Nummer stand im Telefonbuch. So bestand ein Teil seiner Arbeit auch daraus, am Telefon Auskunft über Zug-Verbindungen durchzugeben. Als Schimschock später Fahrdienstleister in Gerresheim war, hat er selbst mitbekommen, wie eine E-Lok mit 7.000 PS die Steilstrecke nicht geschafft hat. Lustiger Weise passierte dies auch wenige Tage nach dem Vortrag.

1982 erschien eine 20-seitige Informationsbroschüre der Bundesbahn über die Umbau-Planungen des Geländes rund um den Bahnhof in Alt-Erkrath. Den Güterverkehr wollte man in Erkrath nicht mehr haben, der Park+Ride-Parkplatz an der Morper Allee entstand. „Die sind damals im Zeitrahmen geblieben, das muss man sich heute mal vorstellen“, kommentierte Schimschock.

11 Jahre später, 1993, war schließlich Schluss mit dem Bahnhofsgebäude in Erkrath. 2001 war es verfallen, dennoch ließ sich 2006 ein Käufer finden. 2008 begann eine Restaurierung, welche bereits im Jahr darauf abgeschlossen war. „Die Mauer finde ich potthässlich, aber das musste wohl so sein“, gestand Schimschock. Die Mauer trennt heute das Grundstück mit dem Alten Bahnhof von der Bahnstrecke und ist vom Bahnsteig aus zu sehen. Als der Vortrag nach 1,5 Stunden zu Ende war, war Uli Schimmschock selbst überrascht, als er auf die Uhr sah – die natürlich im klassischen Bahnhofsuhr-Design gehalten ist.

Aus ‚S 8‘ wurde ‚Melles & Stein‘

Nach dem Vortrag konnten die Besuchenden noch einen kleinen Blick in die Räume des Erdgeschosses werfen. Hier sind vor allem Büros und Räume wie der alte Wartesaal angesiedelt. An die Bahnhofszeit erinnert hier fast nichts mehr. Neben dem Eingang ist ein Büro mit einer großen Scheibe abgetrennt. Nicole Stein erzählte, dass dies die größte Scheibe sei, welche die Glaserei jemals gemacht hätte. Sie musste von 18 Männern behutsam durch den Eingang getragen werden.

Eingang mit großer Scheibe. Foto: Christian Zimmer

„Unsere Agentur haben wir zuerst ‚S 8‘ genannt“, erläuterte Stein – eine Anlehnung an die S-Bahn-Linie, welche neben dem alten Bahnhof fährt. „Aber das hat niemand verstanden, so haben wir uns dann nach unseren Nachnamen ‚Melles & Stein‘ umbenannt.“ In einer Ecke findet sich dann doch etwas mit Bahnbezug: Eine Urkunde für Ferdinand Melles, Vater von Inhaberin Silke Melles, zum 40-jährigen Dienstjubiläum als Oberlokomotivführer.

Bilder oder Bahn-Gegenstände finden sich an den Wänden sonst jedoch nicht. „Wir haben zwar auch viele Bilder, aber wir brauchen das nicht ständig hier. Wir mögen es cleaner“, begründete Nicole Stein die schlichte Einrichtung. Für die Besuchenden des Vortrags dürften ohnehin die zahlreichen Bilder des Vortrags im Gedächtnis bleiben, viele davon sind im Bestand des Eisenbahn- und Heimatvereins Hochdahl.

Ehrung für Ferdinand Melles. Foto: Christian Zimmer
Eingangsbereich von Melles & Stein. Foto: Christian Zimmer

Party-Location: Wer selbst einmal im alten Bahnhof feiern möchte, kann den alten Wartesaal buchen. Informationen dazu gibt es unter www.alter-bahnhof-erkrath.de.

Buch zur Steilstrecke: Uli Schimschock hatte das Buch „Die Steilstrecke Erkrath-Hochdahl“ im Gepäck, welches man nach dem Vortrag für 15 Euro erwerben konnte. Es ist auch im Bahnladen des Eisenbahn- und Heimatmuseums Erkrath-Hochdahl erhältlich.

2 Kommentare

  1. Die Fahrt des Schienenzeppelin durch Erkrath fand nicht am 21., sondern am 26. Juni 1931 statt! Um 13:17 Uhr ging es damals ab Elberfeld weiter, der Schienenzeppelin die Steilrampe hinunter fuhr und dann um 13:47 Uhr in Derendorf war, wo er am 27. (auf dem Güterbahnof) zu bestaunen war und es am 28. über das Ruhrgebiet zurückging.

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