Zwei Jahre nach der Flut und vor der nächsten Flut?

von Ria Garcia

V.l.: Norbert Voss, Yvonne Müller-Wiegand und Michael von Roebel sind Teil der Bürgerinitiative 'Hochwasser / Erkrath Nord'. Foto: Ria Garcia

Zwei Jahre nach dem verheerenden Hochwasser in Alt-Erkrath wächst bei Betroffenen die Sorge vor der nächsten Flut. Verschlimmern der Neubau des Gymnasiums und die Bebauung von Erkrath Nord die Situation? Wie entwickelt sich das Klima? Und was bringt der achtspurige Ausbau der A3 noch mit sich?

Anwohner in Alt-Erkrath haben sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, um ihren Sorgen mehr Gehör zu verschaffen. Zwei Jahre liegt die Flut zurück, nach der in Alt-Erkrath nichts mehr war, wie vorher. Noch immer sind nicht alle Schäden beseitigt. In der Bachstraße haben wir uns im Garten von Yvonne Müller-Wiegand mit ihr und zwei weiteren Vertretern der neu gegründeten Bürgerinitiative getroffen. In der Einfahrt vorm Haus lagert eine Palette mit Säcken für Putz und Mörtel. „Wie sie sehen, sind die Arbeiten hier immer noch nicht ganz abgeschlossen“, erklärt Yvonne Müller-Wiegand. Zwar sei im Haus inzwischen alles wieder hergestellt, aber in den Anbauten im Garten, gibt es noch einiges zu tun. Der stand bei der Flut auch komplett unter Wasser, denn er liegt tiefer als die Straße. Der Garten grenzt an den dahinterliegenden Sportplatz an. „Das war hier ganz früher einmal Sumpfgebiet. Zwischen Sportplatz und dem Garten gab es vor Jahren auch einmal einen Graben, der Regenwasser in die Düssel abgeleitet hat“, erinnert sich Yvonne Müller-Wiegand. Damals hätte der Sportplatz auch noch deutlich tiefer gelegen. „Das Gelände ist in den vergangenen Jahren angehoben worden“, weiß sie. Bei der Flut vor zwei Jahren sei das Wasser auch zuerst von hinten in den Garten gelaufen. Erst anschließend sei das Wasser auch von der Bachstraße aus gestiegen.

Die Bachstraße im Juli 2021

Folgen des Hochwassers

Gemeinsam mit Norbert Voss und Michael von Roebel, der gleich nebenan in der Bachstraße wohnt, sitzen wir im Garten und sprechen über die Flut und deren Auswirkungen in der Bachstraße „Zuerst kam das Wasser über den Sportplatz und hat die Gartenseite überflutet. Später kam es dann von der Straßenseite“, erzählt Yvonne Müller-Wiegand von dem verhängnisvollen Ereignis. Ihr laufen Tränen übers Gesicht. Zwei Jahre danach wühlt allein die Erinnerung an diesen Tag sie wieder auf. Sie hatte damals gerade erst eine Rücken-OP überstanden und sollte sich eigentlich erholen. Aber dann kam es anders. Als sie an diesem Tag nachhause kam und das Wasser über die Straße lief, sagte ihr die Feuerwehr, sie müsse das Haus verlassen. Sie packte einen Koffer mit dem Nötigsten, zog Gummistiefel an und holte die Hasen aus dem Garten. Dann flüchtete sie sich erst einmal zu ihrer Tochter. Dass sie über Monate nicht in ihr Haus zurückkehren konnte, war zuerst nicht abzusehen.

Als das Wasser zurückgewichen war, sah es im ersten Moment so aus, als wenn das Haus weitestgehend verschont geblieben war und nur Garage und die Anbauten im Garten betroffen waren. Dann aber stellte sich heraus, dass der Betonboden sich voll Wasser gesogen hatte. Das ganze Haus roch muffig und drohte zu verschimmeln. „Ich hab zuerst in den Bachstuben gewohnt und dann in einem Wohnwagen vorm Haus“, erinnert Yvonne Müller-Wiegand sich. Die Situation war so belastend, dass sie sich, wie sie sagt „um Jahre gealtert“ fühlt. Und damit ist sie nicht allein. In der Bachstraße türmte sich nach der Flut, wie auch in anderen betroffenen Bereichen in Alt-Erkrath der Sperrmüll auf der Straße. Vieles hatte die Flut zerstört und unbrauchbar gemacht. Für Berufstätige, wie Yvonne Müller-Wiegand, begannt eine aufreibende Zeit, denn alles, was zu tun war, musste neben der täglichen Arbeit erledigt werden.

Es wird nicht das letzte Hochwasser gewesen sein

Das glauben alle, die Betroffen waren. Der Klimawandel beschert mehr Wetterextreme. „Als vor kurzem die Wetterwarnung zu Starkregen kam, hab ich immer wieder in den Keller geschaut, ob schon irgendwo Wasser zu sehen ist“, erzählt uns Michael von Roebel. Der Gedanke, dass es wieder passieren wird, ist immer präsent. „Wir werden vielmehr Druck bekommen“, befürchtet er für die Zukunft mit Blick auf den Neubau des Gymnasiums, den geplanten Brückenbau und die Bebauung von Erkrath Nord. Dann gäbe es noch mehr Versiegelung und noch weniger Fläche, auf der Regenwasser versickern könne. Auch das erhöhte Verkehrsaufkommen in der meist beidseitig beparkten Bachstraße macht den Anwohnern Sorge.

„Und nicht nur Anwohner der Bachstraße müssen sich sorgen. Das wird auch alle anderen in Alt-Erkrath treffen, die schon von der letzten Flut betroffen waren“, verdeutlicht Norbert Voss die Sorge aller. Aus diesem Grund hätten sie die Bürgerinitiative „Hochwasser / Erkrath Nord“ gegründet, die Informationen und Fakten zusammenträgt und versucht sich, gegebenenfalls auch rechtlich, gegen die Bebauung von Erkrath Nord zu wehren. „Wir prüfen das, deshalb sammeln wir alle Informationen“, erklärt Michael von Roebel, der inzwischen eine Website innerhalb der eigenen Domain eingerichtet hat, auf der die Informationen verlinkt sind und über die weitere Betroffene sich anschließen können. Aktuell sind es 26 interessierte Menschen aus Alt-Erkrath.

Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner

Das ist das Fazit, welches vom Hochwasser betroffene Erkrather aus einer Informationsveranstaltung im November 2021 gezogen haben. „Die haben uns erklärt, wie wir uns mit Schotten vor Hochwasser schützen sollten, aber nicht, was sie tun, um uns zu schützen. Die Schäden vom Hochwasser im Juli 2021 sind zum Teil jetzt noch nicht ganz beseitigt. Woher sollen wir das Geld nehmen, um solche zusätzlichen Maßnahmen zu ergreifen?“, beschreibt Yvonne Müller-Wiegand die Lage, in der sie und andere Betroffene sich befinden.

Die Sorge, dass die künftige Versiegelung im Baugebiet Erkrath Nord und der Brückenneubau in der Bachstraße die Lage der Anwohner verschärft, ist groß. Von der Stadt hätten Betroffene erwartet, dass sie sich Gedanken macht, wie zusätzliche Retentionsflächen geschaffen werden können, statt weitere Flächen zu versiegeln. Wenn sich die Anwohner schon ’selbst helfen sollen‘ müsse man doch erwarten könnten, dass die Stadt nicht zusätzliche Risiken schafft. Und genau da möchte die Bürgerinitiative rechtlich prüfen lassen, wie es sich in diesem Fall verhält.

Das angekündigte Hochwasserschutzkonzept der Stadt liegt bis zum heutigen Tag noch nicht öffentlich vor. Im März stellte das beauftragte Unternehmen Hydotec im Ausschuss für Planung und Umwelt erste Untersuchungsergebnisse vor. Mehr als die Mitteilungsvorlage ist dazu im Ratsinformation noch nicht zu finden. Aus Sicht von Peter Knitsch (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit dem Hochwasser vor zwei Jahren nicht wirklich etwas unternommen worden, um die Stadt künftig besser zu schützen. „Im Zwischenbericht war zu erfahren, dass Erkrath keine geeigneten Retentionsflächen besitzt. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass die Stadt und der BRW das Gespräch mit den Städten Mettmann und Haan sucht, um geeignete Flächen schon vor Alt-Erkrath zu prüfen“, sagt uns Knitsch. Er bemängelt auch, dass die Fläche Erkrath Nord wegen der geplanten Bebauung von vornherein von der Untersuchung als geeignete Retentionsfläche durch das beauftragte Unternehmen ausgespart wurde.

Unter Flussgebiete.nrw finden sich Gefahren- und Risikokarten zum Düsselsystem. Ein davon stellt die möglichen Überflutungen bei einem extremen Unwetter, wie es im Juli vor zwei Jahren geschah, dar. Stark betroffen sind dann die Bachstraße und viele Teile in Alt-Erkrath. Auch der untere Teil von Erkrath Nord ist hier als Überflutungsgebiet dargestellt. Eine vergrößerte Darstellung ist auch unter webiris.erkrath.de zu betrachten. Zum geplanten Brückenneubau heißt es in der Beschlussvorlage 30/2023: „Da durch die geplanten Anschlussrampen im Bereich zwischen der Bachstraße zur neuen Brücke über die Düssel und dem geplanten Dammweg zum Sportplatz das HQ 100 beeinflusst wird, wurden die Auswirkungen auf das HQ 100 durch das Büro Hydrotec Ingenieurgesellschaft für Wasser und Umwelt mbH untersucht. Das Ergebnis der hydraulischen Berechnung zeigt, dass die Bachstraße und anliegende Grundstücke durch die dammartige Neuplanung in Bezug auf das HQ 100 von den heute bestehenden Hochwasserrisiken entlastet wird und keine nennenswerten Folgen für die Retentionsflächen entstehen.“ So recht überzeugt das die Bürgerinitiative indes nicht.

Kaltluftschneisen und Mikroklima in der Stadt

Beinahe täglich ist den Medien zu entnehmen, dass Hitzetage und Extremwetter zunehmen. Neben Starkregen und Hochwasser sind die zunehmenden Hitzetage für die Menschen in den Städten eine zusätzliche Gefahr. Ein spanisches Forscherteam hat berechnet, dass der Sommer 2022 rund 60.000 Hitzetote in Europa verursacht haben könnte, 8.000 davon in Deutschland. Städte sind gefordert. Langenfeld will jetzt mit 80 Hitzesensoren, die an Laternen befestigt werden, die Hitzeinseln in der Stadt ermitteln. Langenfeld gehört, wie Dresden, zu den Pilotkomunen, im Projekt KLIPS, das künftig in der Stadtplanung helfen soll, Hitzeinseln zu vermeiden.

Mit Blick auf diese Entwicklung ist es wichtig Kaltluftschneisen nicht zu unterbrechen. Genau das geschehe aber möglicher Weise hier auch, befürchten die Anwohner und Mitglieder der Bürgerinitiative. Der Rahmenplan des Klimaanpassungskonzepts der Stadt Erkrath zeigt über dem Gebiet Erkrath Nord zwei Kaltluftkorridore, die für Kaltluftzufuhr in den Siedlungsraum sorgen. Außerdem sei das Gebiet als Fokusraum wertvoller Freiraum markiert.

Achtspuriger Ausbau der A3 und der Brückenneubau

Über all den genannten Fragestellungen schwebt der ‚achtspurige Ausbau‘ der A3, hier das Teilstück Autobahnkreuz Hilden, das auch Erkrath umfasst und im Bundesverkehrswegeplan als ‚vordringlicher Bedarf‘ gekennzeichnet ist. Auf der Seite der Autobahn GmbH ist zu diesem Teilstück zu lesen: „Der Bau der Neandertalbrücke und der Schwarzbachtalbrücke als große Talbrücken sind eine besondere Herausforderung in dem Ausbauabschnitt. Beide Brückenbauwerke müssen für eine 8-Streifigkeit erneuert werden.

In der Region hatte sich Widerstand gegen den achtspurigen Ausbau geregt. Diskutiert wurde bei erhöhtem Verkehrsaufkommen eine zeitweise zusätzliche Nutzung der Standstreifen. Schaut man auf die Seite der Autobahn GmbH, kann man nachlesen, dass nach einer Untersuchung die Nutzung der Standstreifen nur in Ausnahmefällen, wie zum Beispiel zur Entlastung während der Baustellenphasen empfehlenswert wäre. Im Streckenabschnitt zwischen Hilden und Mettmann läuft seit Ende 2019 ein Versuch, bei dem die Standstreifen bei höherem Verkehrsaufkommen zugeschaltet werden. Ob die Auswertung am Ende dazu führt, dass hier kein achtspuriger Ausbau erfolgt, bleibt offen bzw. ist aufgrund der von der Autobahn GmbH getroffenen Aussagen „Die Nutzung des Seitenstreifens – ob nun dauerhaft oder tageszeitlich beschränkt – kann nur als Übergangslösung im Vorgriff auf einen regulären Ausbau in Betracht gezogen werden.“ eher nicht zu erwarten.

„Ich würde das als Alternative zum achtspurigen Ausbau begrüßen“, sagt uns Peter Knitsch dazu. Dabei bleibt aus seiner Sicht dennoch die Frage offen, wie groß die Schäden an der Neandertalbrücke sind und ob diese Instand gesetzt werden kann oder neugebaut werden muss. Ein erhöhter Lärmschutz käme allerdings nur bei einem Ausbau und Brückenneubau zu Zuge. Für eine temporäre Freigabe der Seitenstreifen ist gesetzlich kein zusätzlicher Lärmschutz vorgeschrieben.

Welche Baustellensituation sich am Ortseingang von Erkrath und am Rande des Baugebiets Erkrath Nord möglicher Weise durch einen Brückenneubau ergeben könnte, ist nicht absehbar. „Auf dem noch gültigen Bebauungsplan von 1971 ist ja noch die alte Brücke der A3 eingezeichnet“, gibt Michael von Roebel zu bedenken. Als besondere Herausforderungen nennt die Autobahn GmbH unter anderem: Erholungseinrichtungen und Wanderwege, parallel zur A3 geführte Leitungstrassen, eingeschränkte Flächenverfügbarkeit und angrenzende Wohnbebauung (Ortslage Erkrath, Haus Brück, Einzelgehöfte).

Mit einem Ausbaubeginn dürfte aufgrund der Planungssituation wohl zumindest in den kommenden zwei Jahren noch nicht zu rechnen sein. Aber wenn dann Baubeginn ist, dürften die Herausforderungen in Erkrath durch den Schulneubau und vielleicht beginnende Bebauung des restlichen Gebiets, noch größer sein. Welche Baustellenzufahrten es für einen Brückenneubau geben müsste, kann man im Moment nur erahnen.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*