Standortkonzept: Verwirrspiel mit Begrifflichkeiten

von Ria Garcia

Wohncontainer an der Freiheitstraße. Foto: Susann Krüll

Aus dem Unterbringungskonzept für geflüchtete und wohnungslose Menschen wurde in der Verwaltungsvorlage ein Standortkonzept. In der Sitzung des Integrationsrats und im Ausschuss Soziales und Wohnen wurde über einen anderen Namen diskutiert.

‚Dem Kind einen neuen Namen zu geben‘ scheint in Erkrath ‚en vogue‘. Aus dem freiwilligen Haushaltssicherungskonzept wurde das Haushaltsoptimierungkonzept (HOK) und nun liegt statt eines Unterbringungskonzepts ein Standortkonzept vor. Für Transparenz und leichte Recherchen im Ratsinformationssystem sind die wechselnden Begrifflichkeiten, auch wenn sie vielleicht gut begründet sind, kontraproduktiv (Tipps zur Recherche sind am Ende des Artikels eingefügt). Beim Thema Unterbringung von geflüchteten Menschen scheint die Wortwahl Standortkonzept dann auch irgendwie fern der Lebenswirklichkeit geflüchteter Menschen. Ist der Begriff doch eher im gewerblichen Bereich gebräuchlich.

So wird es auch den Mitgliedern des Integrationsrats ergangen sein, als sie zum Thema ‚Unterbringungskonzept‘ plötzlich mit dem ‚Standortkonzept 2030‘ konfrontiert wurden, denn sie beantragten eine Umbenennung. Die Beschlussempfehlung des Integrationsrats an den Ausschuss Soziales und Wohnen lautete deshalb: ‚Wohnraumkonzept‘. Das wurde dann auch im Ausschuss Soziales und Wohnen in der letzten Woche noch einmal diskutiert.

Rückblick: Unterbringung als Dauerthema

Die menschenwürdige Unterbringung geflüchteter Menschen ist ein Thema, das Ausschüsse und Rat in den vergangenen Jahren immer wieder bewegt hat. Was es bedeutet, schnell viele ankommenden Geflüchtete unterbringen zu müssen, konnte man dann 2015 erleben. 2021 machte die Flut dann die Schule in der Freiheitstraße unbewohnbar und schaffte neue Probleme. Schon im September 2021 wurde deshalb die Erstellung eines Unterbringungskonzepts beschlossen.

Mit Beginn des Ukraine-Krieges hat sich die Situation verschärft. Wieder musste über Monate das Bürgerhaus mit Flüchtlingen belegt werden. Mit den Wohncontainern, die inzwischen auf dem Gelände der Schule in der Freiheitstraße aufgestellt wurden, hat sich die Situation wieder etwas entschärft, das Problem ist aber nicht gelöst. Weiter werden zusätzliche Plätze benötigt. Mit wie viel Privatsphäre diese dann für die Menschen ausgestattet sind, wäre Aufgabe eine Unterbringungskonzepts.

Das Unterbringungskonzept sollte im 1. Halbjahr 2022 erstellt werden und dann in den Ausschüssen beraten werden. In der Integrationsratssitzung vom 17. November 2021 gingen Fachbereichsleiter Stephan Freiberg und Dezernent Michael Pfleging davon aus, dass bis zur endgültigen Beschlussfassung voraussichtlich mindestens das Jahr 2022 vergehen werde und erst dann würden beschlossene Maßnahmen tatsächlich angegangen werden können. Im Ausschuss Soziales und Wohnen (SoWo) am 9. Februar 2022 wurde berichtete, dass das vom Rat beschlossene Unterbringungskonzept in Bearbeitung sei. Auch sei eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorgesehen, deren Form wesentlich durch die Pandemie bestimmt würde. Im Ausschuss des 31. August 2022 informierten Freiberg und Pfleging dann über personelle Veränderungen im Fachbereich. Zum Thema Unterbringungskonzept würden Gespräche stattfinden und Lösungen sowie Ergebnisse abgewartet werden müssen.

Letztmalig in 2022 wurde das Unterbringungskonzept dann in der Integrationsratssitzung vom 22. September 2022 erwähnt. In der Niederschrift heißt es dazu: „Das zum Jahresende angekündigte Unterbringungskonzept könne dann unter Umständen dem Integrationsrat zur Beratung vorgelegt werden. GBL Pfleging würde die kommende Sitzung daher gerne auf den 07.12.2022 terminieren. Dem stimmen alle anwesenden Mitglieder zu.“ Eine genehmigte Niederschrift dieser Sitzung stand im Ratsinformationssystem bis zum Verfassen dieses Artikels noch nicht zur Verfügung.

Am 25. Januar 2023 stellten Mitglieder des Ausschusses Soziales und Wohnen dann Rückfragen zum Unterbringungkonzept, die wie folgt beantwortet wurden: „Rückfragen der Mitglieder zur Erstellung des Unterbringungskonzeptes können aufgrund der offenen Situation des Hotels Arcadia aktuell nicht abschließend beantwortet werden. GBL Pfleging erläutert, dass die Verwaltung aktuell zweigleisig, unter Hinzunahme des Arcadia als auch ohne, die Situation betrachtet. Zielkalkulation ist die Schaffung von 500-600 Plätzen zur Unterbringung.

Ein Unterbringungskonzept, wie es in 2021 beschlossen wurde, lag auch Ende April und Anfang Mai 2023 noch nicht vor. Das von der Verwaltung nun vorgelegte Standortkonzept befasst sich, dem vielleicht deshalb so gewählten Namen entsprechend, mehr mit der Frage wo Geflüchtete untergebracht werden könnten, als mit der Frage, wie sie untergebracht werden.

Standortkonzept regelt das ‚Wo‘, aber nicht das ‚Wie‘

Im Ausschuss äußert Dezernent Michael Pfleging nach einer kurzen Erläuterung des Standortkonzepts und der darin aufgeführten Zahl langfristig vorgesehener Unterbringungsplätze: „Wir denken, dass wir mit der Zahl den Anforderungen gerecht werden.“ Dieter Thelen kommentiert das Standortkonzept mit: „Ein sehr guter Überblick, aber im Moment nur ein Standortkonzept und kein Unterbringungskonzept.“ Er plädiert dafür abgeschlossene Wohneinheiten zur Verfügung zu stellen. Am Steinhof etwa hätten die Menschen zwar eine eigene ‚Nasszelle‘, aber nur die Gemeinschaftsküche. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Gemeinschaftsküchen wenig genutzt werden und die Menschen meist in ihren Zimmern essen. Was die Geflüchteten vor allem bräuchten, wäre ein bisschen ‚Privatsphäre‘. Er weist auf die Möglichkeit eines Anbaus am Steinhof hin und bitte darum diese Option mit aufzunehmen.

„Ich glaube präzise Ausführungen sind kontraproduktiv für die Verhandlungen“, spricht sich Detlef Ehlert (SPD) gegen die Aufnahme ins Konzept auf. Die Debatte im Integrationsrat sei zu diesem Punkt nicht einheitlich gewesen und hätte sich vornehmlich um die Unterbringung in Wohnungen gedreht. „Wir brauchen aber langfristig auch Unterkünfte.“

Peter Knitsch erklärt, er habe die Umbenennung des Konzepts so verstanden, dass die Auflistung der Standorte zu einem Wohnraumkonzept weiterentwickelt werden solle. Er bemängelt, dass Geflüchtete ‚zur Strafe‘ ins Thekhaus verlegt würden. Das habe er im Kontakt mit Geflüchteten so erlebt. Eigentlich sei die Unterkunft längst nicht mehr tragbar, aber die Entscheidung würde geschoben. Er befürchte, dass das vorgelegte Konzept so im Rat am 20. Juni verabschiedet werde, weshalb die Grünen einen Antrag auf Weiterentwicklung stellen wollen. „Von Übergangswohnheimen zu sprechen ist falsch. Ich kenne Menschen, die fünf, sechs oder sieben Jahre in der Unterkunft Freiheitstraße gelebt haben.“ Für die meisten sei es sehr schwer ‚daraus zu kommen‘, deshalb plädiere er dafür wohnungsähnliche Standards bei Neubauten zu berücksichtigen, damit traumatisierte Menschen nicht lange unter solchen Umständen leben müssen. Knitsch spricht sich weiterhin dafür aus, das ehemalige Arcadia anzukaufen. „Bei allen anderen Optionen dauert es wesentlich länger.“

Jan Wiertz (CDU) hält das Konzept für einen guten ersten Aufschlag. Man solle nicht um jede Frase kämpfen. Die Begriffe seien semantisch. „Beim Thekhaus sollten wir froh sein, dass das noch nicht ‚verscherbelt‘ ist“, spielt er auf einen Antrag der FDP an, der forderte die Unterkunft aufzugeben und das Grundstück zu veräußern. Christian Ritt (BmU) bittet den Beschluss um einen Punkt e) zu ergänzen und die Optionen Erkrath-Nord, Arcadia und Unterfeldhaus im Blick zu halten. Ralf Lenger (FDP) spricht sich immer noch dafür aus, den Standort Thekhaus aufzugeben. Die Hanglage stuft er für ungünstig zur Wohnbebauung ein. (Anm. d. Red.: Das Baugebiet Wimmersberg zeigt, dass die Bebauung einer Hanglage für Wohnbebauung kein größeres Problem darstellt.)

Dieter Thelen empfiehlt das Wohnraumkonzept um Standards im Bau zu ergänzen. „Gemeinschafträume werden nicht genutzt“, macht er deutlich, dass ein Umdenken stattfinden sollte. Auch regt er an, wie in der Caritas zum Teil schon erfolgreich umgesetzt, ein Wohnraummanagement zu etablieren.

Bei der anschließenden Abstimmung wurde dann bei Enthaltung von CDU und AfD beschlossen das Konzept in Wohnraumkonzept umzubenennen. Ein Ergänzungsvorschlag der Grünen Geflüchtete vorzugsweise in Wohnungen unterzubringen wurde nur von Grünen und FDP mit ja abgestimmt, die übrigen Fraktionen stimmten dagegen. Die Punkte a) bis d) der Beschlussvorlage wurden gegen die Stimmen der Grünen von den übrigen Fraktionen mehrheitlich beschlossen. Die Ergänzung eines Punkts e) von Christian Ritt wurde ohne die Option Unterfeldhaus, die er nach vorangegangener Diskussion zurückzog, einzeln abgestimmt. Erkrath-Nord wurde abgelehnt, die Weiterverfolgung der Option Arcadia wurde mehrheitlich angenommen.

Wohnungsähnliche Standards in Unterkünften?
Gemeint sind zum Beispiel Wohneinheiten in den Unterkünften, die eine Küchenzeile oder Küche und eigene Sanitäreinrichtungen beinhalten. Ein Vorteil wäre, dass diese Standards in Unterkünften eine Nachnutzung erlauben. Sie würden sich später auch als Studentenwohnheime oder Singlewohnungen zur Vermietung eignen.
Ein Beispiel für schnell umsetzbare Lösungen in Holzmodulbauweise findet sich im Projekt Europastraße Tübingen. Dass ein Studentenwohnheim in Massivbauweise Vorbild für eine Unterkunft für Geflüchtete mit wohnungsähnlichen Standards seien könnte, kann man am Beispiel des Studentenwohnheims in Mettmann sehen.
Warum also nicht beim Bau und der Planung von Unterkünften die Nachnutzung gleich mitdenken? Die Nähe und ÖPNV Anbindung zu den Unis und Hochschulen in Düsseldorf und Wuppertal sowie die Not auswärtiger Studenten unterzukommen, bieten beste Voraussetzungen in Erkrath.

Tipps zur Recherche im Ratsinformationssystem:
Wählen Sie links im Menü den Punkt Recherche. Unter dem Infozeichen sind Rechercheoptionen beschrieben. Die wichtigste darunter ist sicher die Suche nach Textpassagen. Dazu sollte die jeweilige Textpassage in Anführungszeichen gesetzt werden. Wenn ein einzelner Begriff gesucht wird, wie etwa Standortkonzept, empfiehlt es sich, die Option ‚genaue Suche‘ anzuklicken, da sonst auch Ergebnisse zu Standort oder Konzept angezeigt werden. Weitere Anleitung um zwei Begriffe zu verknüpfen oder alternativ zu suchen und ähnliche Optionen sind unter dem Infozeichen 🛈 im Ratsinformationssystem beschrieben.

Suchergebnisse zum Thema Unterbringung Geflüchteter oder Obdachloser im Ratsinformationssystem:
Städtische Unterkünfte | Unterbringung Geflüchter | „Bau einer neuen Unterkunft“ | Unterbringung Wohnungsloser | Unterbringungskonzept | Standortkonzept 2023

2 Kommentare

    • Vielen Dank Herr Sohn. Ich hatte nicht bedacht, dass die Links der Suchergebnisse im System nur temporär erzeugt werden. Ich habe Ihren Tipp umgesetzt. Falls Sie einmal Lust auf ein weiteres Ehrenamt haben: Bei uns sind Sie immer willkommen.

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