Sommerinterview Ratsfrauen: Michaele Gincel-Reinhardt

von Ria Garcia

Michaele Gincel-Reinhardt. Foto: privat

In unserem Sommerinterview sind in diesem Jahr nicht die Fraktionsvorsitzenden, sondern die Frauen im Rat, gefragt.

Wir wollten wissen, wer sie sind und warum sie sich politisch engagieren. Was motiviert sie? Was möchten sie erreichen? Was unterscheidet sie vielleicht von ihren männlichen Ratskollegen? Wir haben allen 15 Ratsfrauen die gleichen Fragen gestellt, um sie unseren Lesern näher vorstellen zu können. Heute Michaele Gincel-Reinhardt aus der Ratsfraktion Die Linke.

Michaele Gincel-Reinhardt ist 71 Jahre alt und im Ruhestand. Beruflich war sie vor ihrem Ruhestand zuerst als Erzieherin und später als Dipl. Bibliothekarin, zuletzt als Leiterin der Stadtbücherei, aktiv.

Redaktion: Wie kamen Sie zur Kommunalpolitik?

Michaele Gincel-Reinhardt: Beruflich bedingt habe ich regelmäßig an Sitzungen des Kulturausschusses und an oft auch an Ratssitzungen teilgenommen. Mit dem Eintritt ins Rentenalter habe ich mich entschlossen, nun aktiv in der Kommunalpolitik mitzuwirken.

Redaktion: Welche politischen Ämter bekleiden Sie neben Ihrem Ratsmandat?

Michaele Gincel-Reinhardt: Neben dem Rat bin ich in folgenden Ausschüssen vertreten: Jugendhilfeausschuss, Schulausschuss, Rechnungsprüfungsausschuss.
Aktuell bin ich eine der Sprecherinnen von LISA: Linke sozialistische Arbeitsgemeinschaft der Frauen. Von 2017 bis 2021 war ich Sprecherin des Kreisverbandes DIE LINKE Mettmann und in der Zeit von 2018-2022 Mitglied des Landesvorstandes DIE LINKE NRW.

Redaktion: Warum haben Sie sich entschieden kommunalpolitisch aktiv zu werden?

Michaele Gincel-Reinhardt: Ich bin während meiner Zeit in der Stadtbücherei vielen sehr engagierten Menschen begegnet. Mit der Vision etwas verändern zu können, bin ich dem Beispiel gefolgt und habe den Weg in die Kommunalpolitik gesucht.

Redaktion: Was würden Sie in Erkrath gerne verändern, wenn Sie mehr Einfluss hätten?

Michaele Gincel-Reinhardt: Ob parteipolitisch oder kommunalpolitisch verfolge ich das Ziel „Das gute Leben aller“ Wirklichkeit werden zu lassen.  Ein Großteil des Einkommens unserer BürgerInnen muss für die rasant steigenden Preise für Energie, Lebensmittel und Mietkosten ausgegeben werden.
An der Inflation sind auch die  Kommunen nicht unschuldig: Grundsteuererhöhung, Preise für Strom und Fernwärme, Kosten für Kultur, Sport und Bildung steigen nach Beschlüssen des Stadtrates.
Die Folgen der steigenden Inflation sind für viele Menschen auch in Erkrath existenzbedrohend. Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum. Eine städtische Wohnungsgesellschaft könnte bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Es sind nicht die sogenannten freiwilligen Leistungen, die den städtischen Haushalt belasten. Bedingt durch die drei großen Bauprojekte steckt die Stadt in einer Zwangsjacke. Die Erhöhung der Grundsteuer trifft alle, Familien, alte Menschen, auch die mit geringem Einkommen. Eine Verschiebung des Neubaus für das Gymnasium hätte Entlastung sowohl finanzieller wie auch personeller Art gebracht.
Eltern brauchen eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder, sei es in der Tagespflege, in den Kitas oder in der OGS. Gerade in den Kitas ist die Situation sehr angespannt, was zur Einschränkung der Betreuungszeiten und in manchen Familien zu Einkommensverlusten und unnötigem Stress führt.
Was mich besonders bedrückt ist der Fachkräftemangel in der Stadtverwaltung, auch bedingt durch die Abwanderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in andere Städte. Neben dem Gehalt könnten sogenannte weiche Faktoren den Arbeitsplatz bei der Stadt Erkrath attraktiv machen und bei der Gewinnung neuer Fachkräfte ausschlaggebend sein: ein Kitaplatz oder andere Betreuungsmöglichkeiten, „Betriebswohnungen“ oder Hilfe bei der Wohnungssuche, die Übernahme der Kosten für das 49 Euroticket oder einer Mitgliedschaft in einem Verein, um einige Beispiele zu nennen.

Redaktion: Was stört Sie am Status Quo in der Stadt oder in Rat und Ausschüssen am meisten?

Michaele Gincel-Reinhardt: Ich wünsche mir eine stärkere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an den Sitzungen. (CONSUL) Und ich wünsche mir Fair Play im Umgang miteinander, den Respekt auch vor dem politischen Gegner.

Redaktion: Welche Herausforderungen bringt das Engagement in der Kommunalpolitik für ihren Alltag mit sich?

Michaele Gincel-Reinhardt: Da ich aus dem Berufsleben altersbedingt ausgeschieden bin, bleibt genug Zeit für das politische Engagement. Da bin ich in einer glücklichen Situation für mein Zeitmanagement.
Die Fraktions-,  Ausschuss- und Ratssitzungen liegen in der Woche meistens ab 17:00 Uhr. Das sind die Zeiten, in denen jüngere Frauen z.B. die Kinder vom Sport abholen oder das Abendessen vorbereiten.
Allein sich intensiv mit den Vorlagen zu den Sitzungen zu beschäftigen kostet mehrere Stunden in der Woche, Zeit, die sonst für die Arbeit in der Familie genutzt würde.
Bei den kommunalpolitisch engagierten Männern auch in Erkrath klappt das meistens dadurch, dass sie ihren Anteil an der Haus- und Care Arbeit an ihre Frauen abgeben.

Redaktion: Wie viel Zeit wenden Sie wöchentlich durchschnittlich fürs politische Ehrenamt auf?

Michaele Gincel-Reinhardt: Zahlenmäßig beziffern lässt sich das nur schwer, denn es schließt neben den Informationen über kommunale Themen auch solche über bundes- und landespolitische Entwicklungen ein.
Auf kommunaler Ebene ist es abhängig von den Themen, die gerade in den Ausschüssen beraten und im Rat beschlossen werden.
Wir als DIE LINKE versuchen immer mit Infoständen und vielen Gesprächen das Ohr und das Herz bei den BürgerInnen unserer Stadt zu haben. Auch eigene Ideen für die Kommunalpolitik müssen recherchiert und auf Papier gebracht werden, Verbündete müssen gesucht und gefunden werden etc.
Im Durchschnitt kann man von mindestens 8-10 Wochenstunden ausgehen. Zeit, die  prekär Beschäftigte für den Minijob benötigen, der ihnen das finanzielle Überleben sichert. Es kommt nicht von ungefähr, dass arme Frauen und Männer nicht im Rat der Stadt vertreten sind.

Redaktion: Welche politischen Pläne haben Sie für die Zukunft?

Michaele Gincel-Reinhardt: Auch in Zukunft möchte ich einen Beitrag zum Fortbestand unserer offenen und gerechten Gesellschaft leisten, in deren Mittelpunkt die Teilhabe aller steht.

Redaktion: Glauben Sie, dass Frauen offener für eine fraktionsübergreifende Suche nach kommunalpolitischen Lösungen sind, als Männer?

Michaele Gincel-Reinhardt: Die Frage ist doch nicht, ob Frauen die besseren KommunalpolitikerInnen sind, sondern ob in einem Stadtrat die Stadtgesellschaft abgebildet wird.
Mehr Frauen würden mehr von der Lebensrealität der Frauen einbringen.  Alle gewählten Mitglieder sind ihrem Gewissen verpflichtet, unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit. Kooperationen mit anderen Fraktionen sollen gesucht und die Interessen aller ErkratherInnen im Vordergrund der Arbeit stehen. Der Rat sollte die Lebensrealität der breiten Bevölkerung im Auge halten.

Redaktion: Was müsste aus Ihrer Sicht anders sein, damit sich mehr Frauen in der Kommunalpolitik engagieren?

Michaele Gincel-Reinhardt: Die Pflege von Familienmitgliedern, die Kinderbetreuung und die Erledigung der Haushaltstätigkeiten lasten überwiegend auf den Schultern von Frauen. Während rund 80% der Männer sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Beschäftigungen nachgehen, sind es bei Frauen nur 43%. Das Ziel muss eine andere Aufteilung der vorhandenen Zeit sein, eine Verteilung, die es allen – Frauen und Männern – ermöglicht Lohnarbeit zu leisten, sich selber weiter zu entwickeln, mit der Familie Zeit zu verbringen und sich  politisch zu engagieren. Bis das erreicht ist, wäre es schon von Vorteil, wenn die Sitzungen später beginnen würden, damit die Kinder vorher ins Bett gebracht werden können.


Das war Teil 8 des Sommerinterviews mit Ratsfrauen. Weitere folgen. Die Interviews werden in der Reihenfolge veröffentlicht, in der wir die Antworten erhalten.

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