Poetry Slam als Wiederholungstäter in Stockies Bistro

Von Timo Kremerius

Jan Schmidt schwört sein Publikum auf die Veranstaltung ein. Foto: Timo Kremerius

Nach September 2023 hat Jan Schmidt den Poetry Slam erneut nach Unterfeldhaus gebracht.

Stockies Bistro scheint der ideale Veranstaltungsort für Poetry Slam. Für die Zuschauer fast wie im Kino, denn auch in Stockies Bistro können vor der Vorstellung Getränke und Snacks gekauft werden. Gut vorbereitet konnte es dann in entspannter Atmosphäre losgehen.

Jan Schmidt, gebürtiger Wülfrather und Teilnehmer am NDR-Comedy-Contest, moderierte die Veranstaltung. Er ist erfolgreicher Gründer und Veranstalter des Poetry-Slam im Kreis Mettmann. Sein äußeres Kennzeichen ist ein weißes Hemd „das von seiner Großmutter frisch gebügelt wurde“. Das ist aber auch schon die einzige Bühnenkleidung, denn Poetry Slamer glänzen mit Worten nicht mit ausgefallener Kleidung. Zu Beginn der Veranstaltung zählt Jan Schmidt die drei wichtigsten Regeln des Poetry-Slams auf: 1. Die Texte müssen selbst geschrieben sein. 2. Es gilt ein Zeitlimit von sechs Minuten „danach wird der oder die Vortragende von der Bühne geschubst“. 3. Es gibt keine besondere Kulisse, keine edle Garderobe und keine Requisiten. „Es dürfen auch keine niedlichen Meerschweinchen ans Publikum verteilt werden, um sich einzuschmeicheln.“ Nur der Text, der Inhalt und die Vortragsweise sollen wirken. Aber das Wichtigste stehe noch über den 3 Grundregeln: Respect the poets!

Jan Schmidt über Poetry Slam
Poetry Slam ist ein angesagtes Bühnenformat der Gegenwart im weiten Feld zwischen Lyrik, Comedy, Kabarett und Prosa – wortgewaltig, divers und interaktiv: mitreißende Bühnenliteratur, fesselnde Performance, bewegende Texte, mal witzig, mal ernst, mal kritisch. Einst ein Geheimtipp, hat sich dieses Format zu einer der angesagtesten Literatur-Performances – und zu einer der größten Szenen der Welt entwickelt – und nicht nur das: Seit 2016 sind die modernen Dichterwettstreite ganz offiziell und zu Recht als immaterielles UNESCO Kulturerbe anerkannt.

Jan Schmidt schwört sein Publikum auf die Veranstaltung ein. Foto: Timo Kremerius

Wer sich wegduckt wird genommen

Bevor die Slam-Poeten loslegen konnten, halt es eine Jury aus fünf Zuschauern zu bilden, die sich dazu melden sollten. „Wer sich angestrengt wegduckt, wird genommen“, versprach Schmidt. Die gewählte Jury wurde mit Punktetafeln ausgestattet, mit denen sie je nach Stärke des Applauses die Slam-Poeten bewerten sollten. Rund 60 Besucher, viele zum ersten Mal dabei, waren unglaublich motiviert und voller Vorfreude, die sich am Testapplaus messen ließ. Der entsprach der höchsten Punktzahl von zehn und fegte den Moderator fast von der Bühne.

Die Slam Poeten des Abends

Julius Esser. Foto: Timo Kremerius

Julius Esser ist Dichter, Autor und Slam Poet aus dem Rheinland.
Der Literatur- und Kulturwissenschaftler blickt mit seinen 33 Jahren bereits auf knapp 20 Jahre Bühnenerfahrung in den Bereichen Theater, Musik und Bühnenperformance zurück.
Über 800 absolvierte Auftritte seit 2012. Gewonnen hat er in den letzten Jahren zahlreiche bundesweite Poetry Slams, Stadtmeisterschaften und Kleinkunstshows, ist mehrfacher Finalist der Landesmeisterschaften im Poetry Slam und gehört derzeit zu den besten Poeten in NRW. Quelle: juliusesser.de

Wie sehr und wie lange kann eine Person ihre Talente ignorieren? Marie hat diese Frage mit „Ja“ beantwortet. Als Kind hat sie Kinderbücher geschrieben, na klar. Als Jugendliche in der Schule hat sie den Literatur-Kurs gewählt und in der Aula mit selbstgeschriebenen Texten am Rede-Pult gestanden. In der Ausbildung zur Fotojournalistin hat sie als Abschlussarbeit eine Zeitschrift produziert und danach als Redakteurin gearbeitet. Aber, dass sie vielleicht etwas mit Worten machen sollte und darin auch ganz gut ist? Nee, da käme man ja nie drauf. 2017 hat es dann endlich bei Marie „Klick“ gemacht und sie hat sich das erste Mal auf eine Bühne gestellt – und da geht sie seither nicht mehr runter. Quelle: Verlag/vlb

Marie Gdaniec. Foto: Timo Kremerius
Andreas Weber. Foto: Timo Kremerius

Zynische und ironische Alltagsgeschichten, in denen sich viele wiederfinden, sind die Kunst des feinen Herren aus des Münsterland. Der Slam Poet und Lesebühnenautor aus Münster zählt zu der ersten Liga der deutschsprachigen Poetry Slam Szene. Andreas Weber hat der deutschsprachigen Slam-Poetry Szene seinen Stempel aufgedrückt. Zwischen Kiel und Wien hat er in den letzten Jahren fast jeden Slam gewonnen und mit seinen zynischen Alltagsbeobachtungen bereichert. Dabei hasst er es, zu reisen und das Westfälische zu verlassen. Andreas Weber wurde Anfang der siebziger Jahre in Münster geboren. In der Provinzmetropole ging er zur Schule, zum Zivildienst und dort studierte er auch. Für kurze Zeit lockten den Autor die Verheißungen der Großstadt, aber nach einem Jahr kehrte er wieder zu seinem Acker zurück. Andreas Weber ist Mitglied der Münsteraner Lesebühne „[Die2]drei“, wofür er monatlich Satirisches und Selbstironisches abliefert. 2008 erschien sein literarisch Debüt „Rotes Sofa“, 2012 folgte sein erster Roman „Radau“, 2013 sein Kurgeschichtenband „Herr Weber auf Safari“. Momentan lebt, schreibt und arbeitet er in Münster. Wo sonst? Quelle: www.literaturport.de/lexikon/andreas-weber

Luca Swieter kam im zarten Alter von 15 Jahren das erste Mal durch einen Workshop an ihrer Schule mit Poetry Slam in Berührung und fand dort das passende Format für das, was sie schon immer tat und liebte: Schreiben.
Seit 2013 steht sie regelmäßig auf der Bühne und ist mittlerweile eine der gefragtesten Slam Poetinnen im gesamten deutschsprachigen Raum. Dabei bewegt sie sich meist im Spektrum zwischen „lustig“ und „sehr lustig“ und versteht es meisterhaft, aus Alltäglichkeiten die absurdesten und komischsten Erkenntnisse pointenreich herauszukitzeln. In ihren Texten behandelt Luca auch gesellschaftskritische und feministische Themen. Sie ist in mehreren Anthologien vertreten und nahm vielfach an den deutschsprachigen U20 und Ü20 Meisterschaften teil. In ihrer Heimat Köln ist sie Teil des Slam Veranstaltungsteams Reim in Flammen. Quelle: luca-swieter.de/ueber/

Luca Swieter. Foto: Timo Kremerius

Poetry Slam Runde eins

Den Aufschlag machte Julius Esser zum Thema Sprache und Dialekt. Gebürtig aus Brühl mit einem Elternteil aus dem Eifeler Raum ließ er das Publikum einfühlsam in Highspeed an der Erinnerung an sein Elternhaus teilhaben. Das Publikum verstand nichts davon und so gab es liebenswürdiger Weise von ihm eine Übersetzung aus dem Kölschen oder dem Eifeler Dialekt. Es war eine Liebeserklärung an die unterschiedlichen Dialekte mit allem, was sie ausmachen, Klangfarbe, Dialekt, Rhythmus, eben alles, um mit Menschen zu kommunizieren. Die Jury hielt anschließend, gemessen am Applaus, die Punktetafeln hoch. Die jeweils höchste und die niedrigste Punktezahl wurde gestrichen und so kam Julius Esser auf 25 Punkte. Das Procedere der Punkteverteilung hatte Jan Schmidt zu Beginn zur Erheiterung des Publikums wortreich erklärt.

Marie Gdaniec , die in Düsseldorf lebt, war als zweite an der Reihe. Ihr Thema: Das Wort oder die Worte, die man benutzt, leichtfertig, sinnlos, verletzend, erklärend oder Worte, die niemand hören will. Und sie sprach über all die Worte, die genutzt werden sollten. Die Zuhörer wurden gefordert dieser Vielzahl an Beschreibungen, Aufzählungen, Empfindungen zu folgen. Sie nutzte ihr Handy, um ihren Vortag abzulesen, wahrscheinlich nur Stichworte, bei dieser Fülle an Worten, so wie es andere Teilnehmer mit Heften, einzelnen Blättern oder Tabletts machten. Ihr Vortrag war beeindruckend und forderte die ganze Aufmerksamkeit. Marie Gdaniec erhielt nach dem zuvor beschriebenen Verfahren 24 Punkte. 

Als dritter Slam Poet stand Andreas Weber auf der Bühne. Er begann seinen Vortrag mit den Worten Sonntag war schon immer Scheiße. Alles wiederhole sich und „es gab immer Rotkohl mit Rouladen und Klöße, meistens auch vom Vortag aufgewärmt“. Er erzählte, wie er als Kind immer sonntags zu Omma und Oppa ging und eigentlich viel lieber zu Hause mit seinem Freund gespielt hätte. Und da gab es eben immer Rotkohl mit Rouladen. Als Jugendlicher mit 14 sein großes Ereignis: Der erste Kuss, aber er musste zu Onkel und Tante, Oma und Opa und es gab in seiner Erinnerung immer …. Außerdem schuppte der Onkel, überall lagen Schuppen, Omma regte sich immer auf. So erzählte er seine Abneigung gegen den Sonntag. Aber heute sei natürlich alles anders, außer, dass es sonntags schon mal … Rotkohl mit Rouladen gibt, bis seine Tochter eines sonntags meinte: „Papa, du schuppst so, überall sind deine Schuppen.“ Das Publikum war gefühlt bei ihm. Sonntags ist Scheiße. Bei ihm lernte das Publikum auch Elfchen kennen. Eine besondere Gedichtform, bestehend aus 11 Worten in fünf Zeilen (Zeile 1: ein Wort, Zeile 2: zwei Worte, Zeile 3: drei Worte, Zeile 4: vier Worte, Zeile 5: ein Wort). Publlikum und Jury bedachten ihn mit 23 Punkten.

Die letzte in der ersten Runde war Luca Swieter. Sie liebt Trash TV. Tut sie das wirklich? Ihr Thema war der Bachelor. Aber nicht der Bachelor, den man zur Erreichung eines Studienabschlusses benötigt, sondern den, den man in den seichten Sendungen im Bezahl TV sieht. Obskure Gestalten, die miteinander verkuppelt werden. Seichte Unterhaltung eben. In ihrem Vortrag stellte sie sich als die neue Bachelorette vor. Sie veralberte die Teilnehmer und die verschiedenen Dates, die in dieser Sendung durchlaufen werden. Sie änderte frivole Inhalte in züchtige Treffen und stellte zum Schluss fest, sie sei unter sich hindurchgewachsen. Nun bereite sie sich aufs Dschungelcamp vor. Der Vortrag kam beim Publikum nur bedingt an und so musste Luca Swieter sich in der ersten Runde mit 21 Punkten begnügen.

Bevor die Slam Poeten in umgekehrter Reihenfolge in Runde zwei starteten, gab es fürs Publikum eine 20-minütige Pause, die sie in Stockies Verwöhn Oase mit kleinen Leckerchen genossen.

Poetry Slam Runde zwei

Luca Swieter startete mit dem Thema Liebe. Das Gefühl, auch unter anderem auf einer Schaukel zu sitzen mit dem Gefühl runterzufallen. Mutig zu sein. Sehr schön beschrieben, aber das Gefühl konnte sich im Publikum nicht überzeugend festsetzen. Fazit 20 Punkte für den zweiten Beitrag von Luca Swieter.

Andreas Weber erwies sich hingegen als ‚der Brüller‘ fürs Publikum, als er seine Tochter beschrieb, die in der Grundschule als Klimaaktivisten aktiv wurde, Hafergrütze auf die Bilder der Erstklässler schmiss, sich am Boden der Schule festklebte und laut für das Klima skandierte. Die jeweiligen Kommentare von anderen Eltern und Lehrern waren einfach zum Wegbrüllen. Für seinen Beitrag erhielt er dann auch verdiente 26 Punkte.

Mit einen sehr interessanten Ansatz ging Marie Gdaniec in die zweite Runde. Sie berichtete, dass sie auch Workshops veranstaltet und schon mal die Aufgabe stellt aus drei Worten eine Geschichte zu entwickeln. Ihre drei Worte waren 1862, Geschichte und Tod. Raffiniert, dass sie zur Jahreszahl in ihrer Geschichte gleich 160 Jahre dazu zählte, das Ganze in England stattfand und ein bisschen Harry Potter mitspielte. Das Ganze in einem Umfeld nach dem Tod der Queen und des, dessen Namen man nicht erwähnte. Sehr phantasievoll und ausgeschmückt. Dafür erhielt sie 21 Punkte.

Julius Esser war der letzte in Runde zwei und begann damit, dass er sehr häufig umgezogen sei. So fing es harmlos an, dass die Küche in seiner Kindheit der liebste Raum war. Dort wurde gegessen, gekocht, geredet und gespielt. Er beschrieb in fast 10 Episoden den Wandel der Küchen in seinem bisherigen Leben. Von der Küche zu Hause, über die Küche in der Studenten WG mit fließend Wasser im Nebenzimmer und einer Kochplatte, über ohne Küche, weil die Mensa gleich in der Nähe war bis hin zu seinem jetzigen Leben mit Frau und Kind. Der Wandel wurde so lustig beschrieben und viele fanden sich in ihrer eigenen Erinnerung wieder. Er zog das Fazit: „Die Küche wird immer der Lieblingsplatz in meinem Leben sein.“ Das konnte jeder im Publikum nachvollziehen und nach dem Applaus wenig überraschend gab es für den Beitrag 29 Punkte.

Das Poetry Slam Finale

Mit den addierten Punkten aus Runde eins und zwei standen fürs Finale Julian Esser (54 Punkte) und Andreas Weber (49 Punkte) fest.

Andreas Weber nahm das Publikum gedanklich mit zu einem Wettbewerb, den er bestreiten sollte. Sein Thema war die Dürre. Schlecht für ihn, dass dieses Thema im November kam, es regnete tagelang, wochenlang. Er hatte nur Dürre im Kopf. Wie war es im Sommer? Wie ist die Dürre im Allgemeinen. Er fragte Familie und Nachbarn, er schweifte mit den Gedanken ab. Gut fand er seine Oma, die immer Konfettti in der Tasche hatte, wenn jemand dumme Bemerkungen machte. Er hätte auch gerne Konfetti in der Tasche für fehlende Ideen, ihm blieb nur die Dürre im Kopf und „seit Dezember regnet es nur“.

Julius Esser prangerte das Schulsystem an, dass „nur wiedergekaut werden soll, was schon immer gelernt wurde“. Dass zu wenig eigene Kreativität, selbständiges Denken gefördert werde. Dass die unzähligen Schülerführerscheine nur eine Bewertung seien, die auf dem Tisch lägen, es aber kaum um die Kinder selber gehe. Er prangert überholte Lektüren und blaue Briefe an. Er wünschte sich „einen bunten Brief, der auf das Leben vorbereitet“ und zog als Fazit, dass Bildung immer mit Neugierde anfangen solle. Inhaltlich ein großer Appell, aber künstlerisch auch sehr gut gemacht, komplett in Reimform vorgetragen.

Da sich der Applaus am Ende nicht mehr unterscheiden ließ, hieß es: And the winner is Julius Weber! Wie von Jan Schmidt bildhaft dargestellt, war der Hauptgewinn wieder „das, was das Publikum so zufällig in den Taschen hat, wenn es zu einer Veranstaltung geht“, denn die Preise im Siegerbeutel werden im Publikum eingesammelt. „Über die Jahre haben sich im Siegerbeutel schon ein BH, eine Dose Gulaschsuppe und gekochte Eier befunden.“ Diesmal waren es unter anderem Ostereier und ein Teller aus dem Bistro, der dankenswerterweise zum Erkrather Gewinnerteller erkoren wurde.

„Julius“ Esser und Andreas „Weber“ bei der Gewinnerkürung mit dem „Erkrather Gewinnerteller“. Foto: Timo Kremerius

Der Poetry Slam in Stockies Bistro geht weiter

Der nächste Termin steht mit dem 10. September 2024, 20 Uhr, schon fest und das Publikum darf sich auf einen vergnügten Abend freuen, denn Jan Schmidt hat als erstklassiger Moderator sein Publikum „stets im Griff“. Fürs leibliche Wohl ist in Stockies Bistro natürlich auch wieder gesorgt. Der Kartenvorverkauf hat schon begonnen. Tickets gibt es unter anderem bei eventim.de.

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