Nashörner im Gottesdienst in anderer Gestalt

von Ria Garcia

Foto: Integratives Theater Mittendrin

Gibt es eine schönere Analogie, als die Aufführung des Stücks ‘Die Nashörner‘ (von Eugène Ionesco), in dem die Menschen einer Stadt, bis auf einen, die Gestalt von Nashörnern annehmen, im Gottesdienst in anderer Gestalt?

Das Stück, das im Original als klassisches Stück des absurden Theaters gilt, ist allerdings auch nicht mit üblichen Schauspielern besetzt und dient der Aufführung von ‘Grausinn’ nur als Vorlage. Für Überraschungen ist also von vornherein gesorgt und die Gottesdienstbesucher dürfen sich auf ein ganz besonderes Erleben freuen. Die Nashörner im Original spielt auf die Gleichschaltung und das Verschwinden in der Gruppe durch die ‘Uniform’. Eine Anspielung auf die Nazizeit, hat uns Regisseurin Nicola Glück erzählt. Ein Thema, dass mit der Querdenkerbewegung, Rechtsradikalen und vermehrtem Alltagsrassismus aktueller denn je erscheint und im ‘Ensemble’ eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen ausgelöst hat.

Wenn Nicola Glück von der kleinen Theatergruppe ‘Mittendrin’ und den Stücken, die aufgeführt werden spricht, ‘sprüht’ sie förmlich. “Das ist mein absolutes Herzensprojekt”, gesteht die erfahrene Regisseurin, obwohl oder vielleicht eher gerade weil sie hier nicht mit professionellen Schauspielern arbeitet. Ihre Laiendarsteller, von denen vier Menschen eine geistige Behinderung haben, bilden zusammen das integrative Theater Mittendrin, das in Leichlingen seinen Standort hat. Begonnen hat das bereits vor mehr als zehn Jahren. “Ich hab damals Theaterschulprojekte begleitet. Eine Lehrerin, die zwei Kinder mit Down-Syndrom hat, fragte mich, ob ich mir auch vorstellen könnte Theaterprojekte mit Menschen mit geistiger Behinderung zu begleiten”, erinnert sich Nicola Glück. Sie konnte und nahm an einem Casting teil und wurde schließlich künstlerische Leiterin der Theatergruppe.

Von der Probe bis zur Aufführung

Geprobt wird jeden Mittwochabend. Während der Lockdowns auch via Zoom. Auch in der Vorbereitung des aktuellen Stücks musste die Theatergruppe wegen Impfdurchbrüchen zeitweise auf Zoom ausweichen. “Das hat wunderbar geklappt. Die Zoom-Meetings waren oft besser, als ich sie in nicht integrativen Gruppen erlebe”, so Nicola Glück. Seit 2010 probt die Gruppe in jedem Jahr ein neues Stück ein. Im jährlichen Wechsel dienen in einem Jahr klassische Werke, wie Romeo und Julia, Faust oder auch einmal Hape Kerkelings ‘Ich bin dann mal weg’ als Vorlage, im nächsten dann freie Inszenierungen, für die es keine Vorlage gibt.

“Auf klassische Werke bereiten wir uns vor, schauen uns gemeinsam eine Theateraufführung an oder sehen die Verfilmung im Kino”, erklärt Nicola Glück. Anschließend dürfen alle Fragen gestellt werden und das jeweilige Stück wird ‘aufgedröselt’, wie Glück es ausdrückt. Die Gruppe überlegt, wer in die jeweilige Rolle passt. Stellt sich die Frage: Wie sehen wir das? oder Was hat das mit uns zu tun? “Eine Zeitung hat einmal geschrieben: Würde man klassische Stücke so in der Schule behandeln, wären sie der Renner”, beschreibt Nicola Glück die Herangehensweise, in der sich Behinderte und Nichtbehinderte gleichberechtigt an die eigene, improvisierte Umsetzung begeben. “Da kann es auch schon einmal vorkommen, dass einer unserer Darsteller spontan sagt ‘Ich will aber nicht das Kostüm, ich möchte lieber im Jogging-Anzug spielen.’ Dann überlegen wir gemeinsam, wie wir den Jogging-Anzug ins Stück integrieren können”, erzählt Nicola Glück, dass schon bei den Proben immer wieder Improvisationstalent gefragt ist.

Das ist so bereichernd

“Jeder hat mal so einen Abend, an dem er nach einem anstrengenden Tag müde ist und denkt: Ach Mensch, jetzt muss ich auch noch dahin. Aber am Ende der Proben fühlt man sich inspiriert und belebt. Das ist so bereichernd”, beschreibt Nicola Glück die Arbeit mit der Theatergruppe. “Die kippen ‘alle Schubladen’ aus dem Kopf aus und ordnen sie neu”, ist sie fasziniert von ihren Schauspielern mit Down-Syndrom. Auch ein Autist wirkt mit. “Erik hat sicher die schwerste Behinderung, denn er spricht nicht”, erzählt sie. Mit seiner Alltagsbegleiterin und mittels gestützter Kommunikation nimmt er Teil, schreibt philosophische Texte zum jeweiligen Stück. “Die spricht mein Mann dann während des Stücks ein”, verrät Nicola Glück. Aber Erik ist auch mit auf der Bühne. Stummer Teil des Teams, dessen vorgetragene Texte oft gerade das intellektuell anspruchsvollere Publikum erreichen. “Das ist gerade bei diesem Stück so. Zwischen Lachern und Gänsehaut bewegt sich das Publikum durch die verschiedensten Empfindungen”, verspricht Glück ein besonderes Erlebnis. Den Autisten in ihrer Theatergruppe nennt sie gerne ‘Meister Joda’, weil er an die Filmfigur erinnert und aus jedem Stück die absolute Essenz holt.

Eine bekannte Darstellerin

Als absolut bereichernd empfindet auch Karin Färber aus der evangelischen Gemeinde Hochdahl die Proben und Aufführungen. “Ich spiele selbst mit”, verrät sie uns im Gespräch. Von Hochdahl nach Leichlingen zu den Proben sind es gerade einmal 20 bis 25 Minuten Fahrtzeit, die sie gerne auf sich nimmt. Nach den Sommerferien sucht das integrative Theater Mittendrin auch wieder neue Laiendarsteller. “Es scheiden immer mal wieder Mitglieder altersbedingt oder Schüler werden zu Studenten und ziehen in andere Städte”, erklärt Nicola Glück die natürliche Fluktuation. Verbunden bleiben sie dem Theater Mittendrin auch nach dem Ausscheiden aus dem Team, sind Teil der WhatsApp-Gruppe oder besuchen Proben oder Aufführungen, wann immer sie es einrichten können.

Neue Teammitglieder sind nicht nur aus Leichlingen willkommen, wie das Beispiel Karin Färber zeigt. Und vielleicht hat der oder die eine aus Hochdahl ja Lust Teil des Teams zu werden. Einen Vorgeschmack gibt es in der Aufführung im Gottesdienst in anderer Gestalt am 26. Juni um 17 Uhr im Gemeindehaus Sandheide, Hans-Sachs-Weg 1.

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