Lesung mit Angelika Rehse in der Buchhandlung Weber

von Susann Krüll

Angelika Rehse. Foto: Susann Krüll

Am Montagabend war Autorin Angelika Rehse, die mit 74 Jahren ihren Erstlingsroman „Josses Tal“ veröffentlichte, zu Gast in der Buchhandlung am Hochdahler Markt.

Wer am Montagabend die Lesung mit vielen Erzählteilen zu Hintergrund und Entstehungsgeschichte miterlebte, wird – wie ich – bedauernd an die gedacht haben, die nicht dabei sein konnten. Denn Angelika Rehse verstand es, vom ersten Satz an, die rund 30 Zuhörenden in ihren und in den Bann der außergewöhnlichen Geschichte eines jungen Mannes, der durch einen teuflischen Demagogen in den Bann der braune Schergen gezogen wird, zu ziehen.

Familien-Biografisches trifft auf akribisch Recherchiertes

Angelika Rehse wurde 1949 als Tochter schlesischer Eltern, die 1946 in einen Vorort bei Wilhelmshaven zogen, geboren. Dort fanden Vertriebene und Geflüchtete, zumeist aus Schlesien, aber auch aus Ostpreußen und Pommern eine neue Heimat. 2003 reiste sie in die Geburtsstadt ihrer Eltern, nach Reichenwalde. Seitdem stand für sie fest: Hier werden große Teile meines Romans spielen. „Ich habe dieses Buch gegen das Vergessen geschrieben“, so Angelika Rehses Erklärung. Sie erzählt die Geschichte ihrer Hauptfigur Josef, die vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in Reichenwald beginnt und ihn als Einsiedler ins norwegische Hochgebirge, in den Nationalpark Jotunheim führt, wo ihn seine Nachbarn nur als Josse kennen. Als Fünfjähriger macht dieser Josef erstmals die Bekanntschaft des späteren SS-Mannes Wilhelm Rückzügel, der ihn systematisch zu einem willigen Schergen macht. Als uneheliches Kind hatte Josef unter dem Großvater, der die „Schande“ seiner Tochter nicht erträgt, zu leiden und findet in dem vermeintlich zugewandten jungen Nazi einen Verbündeten, der ihn beschützt und fördert, um ihn dann als willigen SS-Schergen zu instrumentalisieren für Denunziation an den eigenen Leuten. Die Geschichte der Hauptfigur beginnt, als sich eine junge Frau auf die Reise zu ihm begibt, um mehr über den Tod der Großmutter zu erfahren. Für deren Tod soll der junge Josef, der nun als Josse zurückgezogen in seinem norwegischen Tal lebt, verantwortlich sein. Aus den Gesprächen, in die Rückblicke in das Leben der Hauptfigur eingestreut sind, erfährt der Leser, wie die Geschehnisse ihren Lauf nahmen.

„Ich habe ein Jahr lang recherchiert, damit die historischen Ereignisse, auf die ich mich beziehe, bzw., die ich in mein Buch einfließen lasse, auch authentisch wiedergeben sind“, erzählte Angelika Rehse im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Hauptfigur des Josse habe zwei Vorbilder aus ihrem persönlichen Umfeld: „Einmal hat er Züge eines meiner Spielgefährten aus der Kindheit. Wir waren eine große Schar Kinder, die alle in den Wohnblocks lebten, zusammen spielten und uns die Vergangenheit unserer Flüchtlingseltern aus dem zusammensetzten, was wir aus ihren Gesprächen untereinander und auf unsere späteren Nachfragen zu der Zeit des Dritten Reiches in ihrer Heimat erfuhren. Der Junge, der Züge des jungen Josef, des späteren Josse, trägt, ist einer, der selbst oft zuhause Schläge bekam, weil er sich von den großen Jungen immer zu den dümmsten Streichen verleiten ließ. Wer noch für die Figur Pate stand, das muss der Leser selbst herausfinden. Das möchte ich nicht verraten, um nichts vorwegzunehmen, was sie ja noch selbst lesen möchten“, so die sympathische Frau, die als medizinisch-technische Assistentin arbeitete und Mutter von vier Söhnen ist.

Zum Schreiben sei sie „Dank Corona“ gekommen, erzählte sie: „In der Zeit habe ich die Chronik meiner Familie anhand alter Unterlagen und Fotos, die meine Mutter im Kinderwagen meines älteren Bruders, der noch in Schlesien geboren wurde, versteckt hatte, verfasst“ erzählte sie. Es sei eine 100 Seiten starke Biografie herausgekommen, die sie, schön gebunden, ihren Söhnen geschenkt habe sowie den anderen Familienmitgliedern, die sie hätten haben wollen, als Datei zur Verfügung gestellt habe. „Als die fertig war, habe ich meinen Mann gefragt, was ich den nun machen solle. Er hat gemeint, Du wolltest doch immer schon den Roman über die Zeit vor und während des Krieges schreiben, die auch in der schlesischen Heimat Deiner Eltern spielen sollte“, berichtet sie, mit einem feinen Lächeln, wie es dazu kam, dass „Josse“ das Licht der Welt erblickte. „Und der Pendragon Verlag, den mir Freunde empfahlen, nachdem andere Verlage das Manuskript abgelehnt hatten, gab mir eine Zusage, es zu veröffentlichen.“ Das Manuskript sei allerdings rund 100 Seiten zu lange gewesen. „Ich habe dann in drei Tagen gemeinsam mit meiner großartigen Lektorin Stellen gekürzt, bzw. Episoden zusammengezogen und dann war die Druckvorlage fertig“, so Rehse, der man ihre Verwunderung, aber auch den berechtigten Stolz anmerkt, wenn sie von der Entstehung erzählt. Sie habe auch „mit der Bundeswehr telefoniert, wo mir ein sehr netter Herr erklärt hat, wie das damals mit dem Funkverkehr lief.“ Sie habe sich auch mit dem Morsen auseinandergesetzt und für die Szene über die Bücherverbrennung in Berlin viel in historischen Aufzeichnungen recherchiert.

So viel sei verraten, die Szene, die sie den jungen Josef erleben lässt, der von seinem „Gönner“ extra aus Schlesien geholt wird, ist großartig. Er soll dabei helfen, die „entartete Literatur“ aus der Universitätsbibliothek auszusortieren, um sie auf dem riesigen Scheiterhaufen auf dem Platz davor dem Feuer zu übereignen. Als Angelika Rehse diese Szene vorlas, rann es Zuhörern eisig über den Rücken. Daher lautet das Fazit aller, die bei der Lesung anwesend waren: „Josses Tal“ – zum Lesen dringend empfohlen!

Autorin Angelika Rehse (vorn) mit Sara Willwerth. Foto: Susann Krüll

Buchhändlerin Sara Willwerth über „Josses Tal“:
Als eine Freundin der Autorin ihr den Tipp gab „Da müssen Sie unbedingt eine Lesung organisieren. Meine Freundin hat ein beeindruckendes Buch geschrieben“ sei sie zunächst skeptisch gewesen. „Nicht, dass ich grundsätzlich meinen Kundinnen und Kunden nicht glaube, wenn sie mir etwas empfehlen. Aber erst einmngelika Rehse l bin ich immer ein wenig skeptisch, denn natürlich sind sie begeistert von dem, was ihre Freunde verfassen“, so Sara Willwerth bei der Begrüßung zur Lesung. Als sie das Buch dann aber las, lud sie Angelika Rehse direkt zur Lesung ein: „Nichts gegen den Pendragon Verlag, es ist ein renommierter, aber eben kleiner Verlag, den ich sehr schätze. Liebe Frau Rehse, wenn Ihr Buch jedoch in einem der großen Verlage erschienen wäre, dann bin ich sicher, dass es auf der Empfehlungsliste des Deutschen Buchhandels stünde. Es reiht sich nahtlos in die Reihe von Büchern ein, die gerade zum Thema Bewältigung der Dritte Reich Vergangenheit aus der Sicht der Kinder-Generation geschrieben ist. Deren Eltern haben diese dunklen Jahre als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene miterlebt. Diese Eltern haben diejenigen, die jetzt diese Bücher schreiben, damit eben ein Stück weit geprägt. Da wäre z. B. ‚Stay away from Gretchen‘ zu nennen und dessen Nachfolger, die auf diesen Listen stehen“, so die erfahrene Buchhändlerin, die damit bekannte, dass „Josses Tal“ es auf jeden Fall auf ihre eigene Bestseller-Liste geschafft habe.  

Angelika Rehse, „Josses Tal“, Pendragon Verlag, ISBN: 978-3-86532-831-1, 395 Seiten, Preis: 25€

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