Jung, jüdisch und in Deutschland zuhause

von Susann Krüll

Vortragspate, Jürgen Kahl (r.) und Referent Jacob Horowitz (l.). Foto: Susann Krüll

Vor Kurzem fand im Ev. Gemeindehaus Sandheide im Rahmen der Veranstaltungsreihe Ökumenischen Bildungswerks Hochdahls (ÖBH) der brandaktuelle Vortag „Jung, jüdisch und in Deutschland zuhause“ mit Jacob Horowitz statt.

Das Thema erhielt durch den grausamen Angriff der Hamas am 6. Oktober eine Brisanz, die bei der Planung weder der betreuende Vortragspate, Jürgen Kahl, noch Referent Jacob Horowitz ahnen konnten. So war dann auch die Polizei mit drei Beamten vor Ort, die bis zum Ende der Veranstaltung vor dem Gebäude Präsenz zeigten. Zum Glück kam es zu keinem Vorkommnis. Am Wochenende davor hatte sich am Erkrather Rathaus allerdings ein antisemitischer Vorfall ereignet: Dort hatte die Verwaltung als Zeichen der Solidarität mit dem angegriffenen jüdischen Volk die Flagge Israels hissen lassen. Diese wurde von Unbekannten heruntergerissen und mitgenommen. Bürgermeister Schultz, der ebenfalls zum Vortrag gekommen war, versicherte, dass Anzeige erstattet und eine neue Flagge bestellt sei. „Wir stehen fest an der Seite des angegriffenen, jüdischen Volkes“, ließ er Jacob Horowitz und die Zuhörer im Anschluss an den Vortrag wissen.

Aus aktuellem Anlass: Graffiti-Schmierereien auf dem Campus der HHU

In seinem Vortrag widmete sich der Medizinstudent Jacob Horowitz ausführlich der Situation seiner jüdischen Mitstudierenden und damit seiner eigenen. Auch hier überholte die Wirklichkeit seine geäußerten Befürchtungen und verdeutlichte anschaulich, das antisemitischen Vorkommnisse zum Alltag der Studierenden jüdischen Glaubens gehört. Am zurückliegenden Wochenende wurde die Parole „Free Palestine – Gaza“ samt einer palästinensischen Flagge an ein Universitätsgebäude gesprüht. Auch Montag war beides noch für alle gut sichtbar, da laut Auskunft der Uni-Verwaltung die Polizei im Rahmen der gestellten Strafanzeige noch Beweise sichern müsse.

Jacob Horowitz gab in seiner Funktion als Vorsitzender der Jüdischen Hochschulgruppe Düsseldorf am Montag dem WDR ein Rundfunk-Interview. Er bekräftigte darin, was er bereits in seinem Vortrag beim ÖBH geäußert hatte und nun bestätigt fand: „Jüdische Studierende sind nicht mehr sicher an der Universität.“ Er wiederholte in diesem Interview auch seine Äußerung, dass die Uni-Leitung nicht genug zu deren Schutz unternehme. Viele Lehrenden würden ihre propalästinensische Haltung nicht verhehlten. „Offen antisemitische Aussprüche, die in Vorlesungen und Seminaren in Anwesenheit jüdischer Studierender geäußert werden, werden weder mit Restriktionen belegt, noch distanziert sich die Uni-Leitung davon. Das gefährdet unsere Sicherheit auf dem Campus.“

In seinem Vortrag im Ev. Gemeindehaus berichtete Horowitz, dass sich immer wieder Studierende an ihn, als Vorsitzenden der Jüdischen Hochschulgruppe wenden würden, die antisemitischen Bemerkungen von Lehrenden ausgesetzt gewesen seien. „Leider erhalten wir keine Rückendeckung von der Uni-Leitung. Das ist an vielen anderen Universitäten im Lande so. Denn die Lehrkörper nehmen eine eher linke und damit oft propalästinensische Haltung ein, die sie auch offen aussprechen“, so der junge Mann, der auch im Vorstand der Bundesweiten Interessenvertretung der jüdischen Studierenden tätig ist. Er vermisst von seiner Universität ein Bekenntnis zu Israel angesichts des Überfalls der Hamas und der Verschleppung der Geiseln nach Gaza. „Viele Studierende, die mir von antisemitischen Ereignissen in Vorlesungen oder ihnen gegenüber berichten, möchten nicht, dass wir diese öffentlich machen. Sie haben Sorge, dann nicht mehr fair benotet zu werden und damit Nachteile für ihr Studium zu riskieren.“ In der anschließenden Diskussionsrunde äußerten mehrere Zuhörer ihre Bestürzung über die von Horowitz geschilderten Zustände an der Heinrich-Heine-Universität (HHU), da sie z. T. selbst dort studiert und zu ihren Zeiten davon keine Kenntnis hatten.

Laut Pressemeldung der HHU werden keine Kameras nach dem Pro-Palästina-Sprayer-Vorfall auf dem Gelände angebracht. Die Verantwortlichen erklärten, dass die Universität weiter „ein Raum des freien Diskurses“ sein wolle. Meine persönliche Anmerkung dazu: Ich kann verstehen, dass sich, wie Jacob Horowitz eindringlich darstellte, jüdische Studierende nicht sicher in diesem Raum des „freien Diskurs“ fühlen.     

Perspektiven junger Juden – neue Einblicke

Jacob Horowitz merkte man seine tiefe Betroffenheit über den unmenschlichen Angriff der Hamas deutlich an, als er das Ereignis zu Beginn der Veranstaltung thematisierte. Er äußerte seine Fassungslosigkeit, aber auch die Befürchtungen darüber, wie sich die Ereignisse in Gaza auf die Situation der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in Deutschland auswirken werden. „Jetzt ist die Betroffenheit und Anteilnahme für das israelische Volk weltweit noch riesig. Aber wenn die ersten zivilen Opfer in Gaza durch die israelische Armee zu beklagen sein werden, wird die Stimmung schnell kippen. Dann sind wir Israelis wieder die Bösen“, gab der junge Mann, der vier Jahre in Israel zur Schule ging und sein Abitur dort ablegte, seine Einschätzung ab. Leider hat sich diese inzwischen ebenfalls bewahrheitet. Dennoch hielt der junge Student seinen, in sieben Kapitel gegliedert Vortrag souverän und bescherte seinen Zuhörern die eine oder andere neue Erkenntnis.

Geschichtliches

Jacob Horowitz gab einen interessanten Abriss zu der jüngeren Geschichte der Juden in Deutschland: „Zwischen 1991 und 2004/05 kamen rund 200.000 Juden als genannte Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Diese brachten ihre eigenen Riten und Bräuche mit und es galt, sie in die bestehenden Gemeinden zu integrieren. In der Sowjetunion durften sie ihren Glauben nicht lebe, das Wissen musste quasi von Null aufgebaut werden.“ Damit sei das jüdische Leben in Deutschland sehr gewachsen, rund 40% dieser Menschen stammen aus der Ukraine, wusste Horowitz zu berichten. „Die junge Generation hat zumeist einen ehemals sowjetischen Hintergrund. So wie ich auch, denn meine Mutter stammt auch von dort und kam über die USA nach Deutschland“, so Horowitz. Er selbst sei aktiv in der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf engagiert und versuche seine Generation dafür zu gewinnen. Sein Vater Oded ist Vorsitzender der Düsseldorfer Gemeinde. Seine Mutter bezeichne, so Horwitz, Deutschland als „jüdische Wüste“, denn die „jüdischen Einrichtungen“ seien hier „übersichtlich“, man habe kaum eine Wahl, wo man sich engagieren könne.     

Sport

Es gibt spezielle jüdische Sportvereine. Der in Berlin angesiedelte habe bereits aus Sicherheitsbedenken seinen Spielbetrieb einstellen müssen, berichtete Horowitz aktuell. „Am wichtigsten ist es, jüdisches Leben zu schützen. Das steht vor allem“, so seine Erklärung, warum dies geschehen sei.

Ethnie versus Religion

Dies sei eine ewige Frage in der jüdischen Community, wie Jacob Horowitz anmerkte: „Zwei Juden, drei Meinungen“, verdeutliche er die „Streitkultur“, mit der er aufgewachsen sei. Er beantworte für sich diese immer wieder und viel diskutierte Frage, ob jüdisch sein eher bedeute, Teil einer Ethnie oder einer Religion zu sein, so für sich: „Ein Teil des Jüdisch-Seins ist das Praktizieren der Religion.“ Um zu unterstreichen, was er damit meine, berichtete er anschaulich davon, wie er das Jom Kippur-Fest bei seinem letzten Besuch in Israel zusammen mit Jüdinnen und Juden der verschiedensten Glaubensausrichtungen gefeiert habe. Alles in allem verstehe er das Judentum als Ethno-Religion. Dann stellte er bekannte Persönlichkeiten vor, die für die Vielseitigkeit stehen: „Meine Generation ist jung, selbstbewusst und widerstandsfähig“, schickte er seiner Auflistung voraus:

Die medial tätige, „brillante“ Laura Cazés, die aus der Line des svadischen Judentums, stamme, das aus Nordafrika über Spanien und Portugal bis nach Holland praktiziert wird, betreibe einen interessanten Podcast. Sie sei als Leiterin für Kommunikation und Digitalisierung bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) tätig.

Ruben Gerczikow engagiert sich als Publizist gegen den Antisemitismus und engagiert sich als Vorstand in der Jüdischen Studentenunion Deutschland.

Mike Samuel Delberg, Mitbegründer der jüdischen Studentenorganisation, ist als Social-Media-Berater bei der Berliner CDU aktiv und gibt sein Verständnis vom Jüdisch-Sein als Politiker weiter.

Rebecca Blady ist eine der wenigen orthodoxen Rabbinerinnen und steht der größten Studentenbewegung vor. Sie hat nach dem Anschlag von Halle das „Festival of resilance“ ins Leben gerufen.

Kultur

Horowitz schickte vorweg, dass „jüdisches Leben komplex ist“. Die Zuschauer, zumeist älteren Semesters, so nahm er an, seien eher mit großen Namen wie Henryk Broder oder Michael Friedmann vertraut. Nun nannte ihnen der eloquente junge Mann Namen von Künstlerinnen und Künstlern, die als Musiker, viele aus dem Rapp-Bereich – wie der in den 90er Jahren bekannte Moses Pelhem oder Sharon Sulimann (Teilnehmerin der Jewrovision, siehe unten), und Schauspieler:innen (wie Susan Sideropoulos, die lange in der Telenovela GZSZ – Gute Zeiten, schlechte Zeiten spielte und nun als Moderatorin bei RTL tätig ist) das Bild der jüngeren jüdischen Generation widerspiegeln und damit prägen. Sie beeinflussen durch ihre Popularität nicht nur junge Jüdinnen und Juden, sondern auch das Bild der Jüdinnen und Juden in der deutschen (Mehrheits-)Gesellschaft. Als bildende Künstlerin nannte Horowitz die aus Israel stammende Zipora Rafaelov, die ihre Installationen auch schon in Düsseldorf ausstellte.

Eine sehr wichtige Musik-Veranstaltung für die jungen Jüdinnen und Juden sei der, an den Eurovision-Wettbewerb angelehnte so genannte „Jewrovision“. In diesem Jahr fand dieser in Frankfurt statt und hatte eine große Strahlkraft unter der jungen Generation. Als Beispiel nannte er Tami Feldtmann, die die Musikshow „The Voice Kids“ gewann, und dann auch die „Jewrovision“. Horowitz ging darauf ein, dass die Zuschauer des diesjährigen Wettbewerbs sehr deutlich ihr Missfallen darüber äußerten, dass die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, anstelle der verhinderten Schirmherrin Lisa Paus die Begrüßung hielt. Roth wurde von den jungen Zuschauern während ihrer Rede ausgebuht, die damit ihr Missfallen über deren „respektloses Verhalten uns gegenüber“ zum Ausdruck brachten. Sie bezogen sich auf Roths, aus ihrer Sicht unrühmliche Haltung bei der vergangenen Documenta in Kassel. Hier war das Bild einer Künstlergruppe aus Manila erst nach massivem Protest teilweise abgeklebt worden, das antisemitische Darstellungen zeigte. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden hatte bereits vor der Veranstaltung darauf aufmerksam gemacht, dass diese Künstlergruppe antisemitisch eingestellt ist.

Zu der aktuellen Situation

Eindringlich führte Jacob Horowitz dem Publikum vor Augen, wie sich Jüdinnen und Juden nach dem Angriff der Hamas in Deutschland fühlen: „Wir laufen herum wie die Zombies. Aus Sicherheitsgründen sollen wir keine Kipas tragen, sollen nicht in die Synagoge zum Beten gehen. Das kann doch nicht sein, das Deutschland es nicht schafft, uns zu schützen“, so seine berechtigte Anklage. „Das nehmen wir nicht hin“, so seine deutliche Ansage, nach der er die Frage stellte: „Möchten wir denn noch in einer Gesellschaft leben, die uns nicht schützen kann?“ Sein Statement dazu ließ aufhorchen: „Wir sitzen auf gepackten Koffern.“ Es hänge davon ab, so der sehr überlegte junge Mann, der seit Beginn des Überfalls so wenig geschlafen habe, wie sich die Zustände in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln würden.

Zum Schluss schlug er einen gedanklichen Bogen zu den Kriegsparteien: „Wir trauern auch um die Toten der anderen Seite. Gaza ist nicht israelisch.“ An die Zuhörer appellierte er: „Stehen Sie auch weiterhin an der Seite Israels.“ Ein bekräftigender Applaus machte zumindest klar, dass die Zuhörer, die an diesem Abend gekommen waren, dieser Bitte folgen werden.

Info: Die nächste Veranstaltung des ÖBH findet statt am 16.11. um 20h im Ev. Gemeindehaus Sandheide, Hans-Sachs-Weg 2, statt. Die deutsch-iranische Islamwissenschaftlerin, Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Buchautorin Katajun Armipur referiert über: „Wenn das Kopftuch fällt…, dann stürzt die Islamische Republik“. Weitere Infos hier.

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