Im Gespräch mit Beate Sarrazin

von Timo Kremerius

Szenenbild Beate Sarrazin. Foto: Timo Kremerius

Als Kulturberichterstatter bin ich öfter im kleinen Wohnzimmertheater von Beate Sarrazin zu Besuch, dieses Mal habe ich mich zu einem persönlichen Gespräch mit ihr verabredet, um einmal hinter die Kulissen zu blicken.

An diesem Tag war ihr Wohnzimmer, das sich regelmäßig in ein kleines Theater verwandelt, der Raum, in dem sie einen einzigen Besucher empfing: Mich. Bei einer Tasse Kaffee haben wir geplaudert, über sie und ihr Leben und über den Weg, der sie zur Schauspielerei geführt hat. Denn eigentlich begann ihr einst junges Leben mit dem Abitur und einem Studium, dass so gar nichts mit dem Theater zu tun hatte. Aber ihr Leben führte sie auch hinaus in die Welt, auf Reisen quer durch Afrika und später auch nach Südamerika, was ihr kulturellen Weitblick bescherte.

Im Laufe ihres Lebens schenkte sie vier Kindern das Leben. Anfang der achtziger Jahre entwickelte Beate Sarrazin ihre Liebe zum Theater und absolvierte zusätzlich zu ihrer akademischen Tätigkeit eine Schauspiel Ausbildung, die sie in den neunziger Jahren durch Aktivitäten in freien Theatergruppen vertiefte. „Das Theaterspielen nahm immer mehr Raum in meinem Leben ein“, erinnert sie sich. Inspiriert durch große Schriftsteller, A. Skármeta (Der Fahrradträumer), Jean Cocteau (Die geliebte Stimme), Albert Camus (Die Illusion), Can Themba (Eine afrikanische Tragödie) oder Tolstoi (Anna Karenina) und Lucius Apuleius (Amor und Psyche) inszenierte und spielte sie zahlreiche literarische Werke.

Wann immer möglich reiste Beate Sarrazin seit 1999 mit ihren Stücken durch die Welt und verzaubert bis heute ihr Publikum. Im Jahre 2009 gründete sie das Theater Anderswo in Erkrath und hatte somit zusätzlich zu ihrem ‚fahrenden Theater‘ auch eine feste Spielstätte. Das hat seine Aufführungen regelmäßig dort, wo ich heute mit ihr zum Gespräch sitze, in ihrem Wohnzimmer im Naheweg 25. Barrierefrei ist es leider nicht. Besucher erreichen es in der dritten Etage übers Treppenhaus, aber der Aufstieg lohnt sich. Die von Beate Sarrazin inszenierten Stücke, meist Soloprogramme, sind oft eine Reise in die Gedankenwelt interessanter Charaktere, die mit der Achterbahn des Lebens konfrontiert werden. In Ihren Stücken zeigt sie eine Vorliebe für gebrochene Charaktere, die widersprüchlich sind und scheitern, aber trotzdem oder gerade deswegen etwas Liebeswertes haben. „Wer scheitert weiß mehr. Im glitzernden Scherbenhaufen ist das Funkeln der Welt eingefangen“, sagt sie.

Neben vielen Inszenierungen literarischer Werke begann Beate Sarrazin eigene Geschichten und Theaterstücke, wie zum Beispiel „Die Oase am Horizont“, „Vorübergehend nicht erreichbar“, „Hommage an Frida Kahlo“, „Highway Number Zero“ und zuletzt „Aduna Refetna – Das Leben ist schön“ oder „Brotkrümel einer großartigen Liebe“ zu schreiben und sie auf die Bühne zu bringen. „Ich habe oft Werke gespielt, die von fremden Menschen handeln und habe deren Charaktere zum Leben erweckt. In den letzten Jahren fokussiere ich mich auf meine eigenen Erlebnisse. Ich versuche mein Leben so zu gestalten, dass es theaterwürdig ist. Meine Stücke basieren auf eigenen Erlebnissen, die in theatralischer Weise umgesetzt werden. Die unfreiwilligen Dramen, die ich erlebt habe, waren auch theaterwürdig auf dem Niveau eines Tennessee Williams und eines Dostojewski“, verrät sie dazu.

Sie hat die weite Welt mit nach Erkrath gebracht

Die Theaterstücke sind mit starker internationaler Ausrichtung. Von Mexiko über Chile und Brasilien bis nach hin nach Russland und von Südafrika, Kenia und dem Senegal bis nach Frankreich bringt sie die Welt auf ihre kleine Bühne und manchmal reist sie mit ihren Besuchern sogar ins Reich der Schneeköniginnen. Die Atmosphäre der Stücke ist feinfühlig, unmittelbar und hautnah. Die Stücke sind aufgrund der Intimität im Theater Anderswo – 25 Plätze im größten Raum der Wohnung – fast magisch intensiv erlebbar. Das spüren Kinder noch deutlicher als Erwachsene. Für sie spielt Beate Sarrazin ‚das hässliche Entlein‘, ‚die Schneekönigin‘ oder ‚Pinocchio‘. Neben Theaterstücken bietet das Theater Anderswo hin und wieder auch eine Poetry Nacht, zu der dann phantasievolle Geschichtenerzähler oder wortgewandte Rap Künstler eingeladen werden, die ihre Werke zum Besten geben.

Fast zweieinhalb Stunden haben wir über Beate Sarrazin, das Theater und das Leben geplaudert. „Ich betrachte jeden Menschen als einzelnes Individum. Gruppen zu bewerten ist nicht zielführend“, ist mir aus dem Gespräch besonders haften geblieben. Dem kann ich nur zustimmen. Ihr Theater Anderswo bereichert die Kulturlandschaft in Erkrath und ist aus dieser kaum noch wegzudenken. Und vielleicht sieht man sich bei der nächsten Inszenierung? In Planung ist ein Theaterstück (Autorentheater) von und mit Beate Sarrazin, dass die Besucher nach Brasilien entführen wird. Bis es soweit ist, kann ich schon einmal den nächsten Termin im Theater Anderswo empfehlen: Am Samstag, den 23. März 2024 um 19 Uhr erwartet die Besucher:

Der Fahrradträumer
„Sag mir eine schöne Metapher, Junge.“
Inszenierung und Spiel: Beate Sarrazin inspiriert durch S. Skármeta (Chile)
Eine Geschichte um Freundschaft, Liebe und Verlust in einem kleinen chilenischen Fischerdorf. Mario, ein etwas naiver junger Mann, ein Träumer, beginnt in dem Dörfchen als Briefträger zu arbeiten. Sein einziger Kunde ist ein berühmter Schriftsteller. Um das Herz seiner großen Liebe zu gewinnen, zitiert Mario Gedichte des angesehenen Lyrikers und fängt sogar selbst an zu schreiben. Zwischen dem Dichter und seinem Postboten entwickelt sich eine tiefgehende und sehr berührende Freundschaft. Der Dichter ist Anhänger der sozialistischen Regierung Salvador Allendes und wird zum Botschafter in Paris ernannt. Voller Sehnsucht bittet er Mario: „Geh mit diesem Recorder durch das Dorf und nimm alle Geräusche und Klänge auf, die Dir begegnen. Das Rauschen der brechenden Wellen, die Möwen. Und wenn Du das Schweigen der Sterne am Himmel hörst, nimm es auf. Hier in Paris ist Winter …“
1973 stürzt General Pinochet die Linksregierung „Unidad Popular“ von Präsident Allende und errichtet eine Militärdiktatur, in der er Sympathisanten der demokratischen Regierung verfolgen und ermorden lässt.
Und es kommt zu einer einschneidenden Wende auch für den Dichter und seinen Briefträger …

Das Stück ist auch heute von erschütternder Aktualität.

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