Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen

Lieblingsliteratur - Empfehlungen von Elke Nußbaum

'Lieblingsliteratur' Symbolbild: congerdesign / Pixabay

Ein neues Lied, ein besseres Lied, | O Freunde, will ich euch dichten! | Wir wollen hier auf Erden schon | Das Himmelreich errichten | Ein Beitrag aus der Reihe ‘Lieblingsliteratur’ von Elke Nußbaum

Am 13. Dezember 1797 wird Heinrich Heine in Düsseldorf in der Bolkerstraße geboren und am 17.Februar 1856 stirbt er in Paris in der so genannten „Matratzengruft“.

Heinrich Heine (Gemälde von
Moritz Daniel Oppenheim, 1831)

1820 verlässt Heine Düsseldorf und kehrt nie wieder in seine Geburtsstadt zurück. Nach Frankfurt, Hamburg, Bonn, Göttingen, Berlin, München emigriert Heine im Mai 1831 nach Paris, unzufrieden mit den politischen Verhältnissen im Deutschland der Restaurationszeit, die ihm als getauftem Juden keine Möglichkeit für eine juristische Tätigkeit bieten, und auch um der Zensur zu entgehen.
Eine enge Beziehung knüpft er zu Augustine Cresence Mirat, die als „Mathilde“ seine Lebensgefährtin und Ehefrau wird.
Im Oktober 1843kehrt Heine über Brüssel, Aachen, Köln und das Münsterland nach Hamburg noch einmal für wenige Wochen nach Deutschland zurück, um seine Mutter und seinen Verleger Julius Campe in Hamburg zu besuchen.

Deutschland. Ein Wintermärchen

Auf der Rückreise entsteht, zunächst als Gelegenheitsgedicht, der erste Entwurf zu Deutschland. Ein Wintermärchen, “Meine Gedichte, die neuen, sind ein ganz neues Genre, versifizierte Reisebilder, und werden eine höhere Politik atmen als die bekannten politischen Stänkerreime…

Das fertige Versepos erscheint 1844 beim Verlag Hoffmann und Campe in Hamburg. Heine muss sich zu seinem Bedauern vor der Veröffentlichung seines Werkes „dem fatalen Geschäfte des Umarbeitens“ unterziehen und den Versen zahlreiche „Feigenblätter“ anheften, um dem voraussehbaren allgemeinen „Naserümpfen“ etwas vorzubeugen sowie sich gegen den Vorwurf zu wehren, ein „Verächter des Vaterlands“ und parteiischer „Freund der Franzosen“ zu sein.

Im Oktober 1844 wird „Deutschland. Ein Wintermärchen“ in Preußen verboten und beschlagnahmt; im Dezember 1844 erlässt König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen sogar einen Haftbefehl gegen Heine. In der Folgezeit wird das Werk wiederholt von den Zensurbehörden verboten.

Das Werk besteht, neben einem Vorwortund einem Nachtrag aus 27 „Kapiteln“ (Capita I – XXVII) mit mehr als 500 Strophen, die in je vier Verse aufgeteilt sind.

Die Zielsetzung des Wintermärchens ist „politisch-romantisch und wird der prosaisch-bombastischen Tendenzpoesie hoffentlich den Todesstoß geben.”

Der Ausgang der Reise durch dieses Deutschland aber ist ambivalent, auch resignativ, denn Heine kann das Problem „Deutschland“ nicht lösen, wie ich an den ausgewählten Textstellen deutlich machen werde.

Heine, der Exilant, kommt aus Paris und schon das erste Kapitel seines “versifizierten Reiseberichtes” schildert die Borniertheit und Feindseligkeit der preußischen Beamten bei seinem Grenzübertritt. Sie durchsuchen sein Gepäck nach verbotenem Schriftgut, bevor sie ihn, bestätigt in seiner Auffassung über das deutsche Zensurwesen, weiter nach Aachen ziehen lassen. Er kommt an in der alten, versteinerten Stadt Karls des Großen, die hoffnungslos im ‘romantischen’ Mittelalter verharrt:

„Beschnüffelten alles, kramten herum
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
Auch nach verbotenen Büchern.


Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!

Hier werdet ihr nichts entdecken!

Die Konterbande, die mit mir reist,

Die hab ich im Kopfe stecken

Ich möchte nicht tot und begraben sein
Als Kaiser zu Aachen im Dome;




Ich bin in diesem langweil’gen Nest
Ein Stündchen herumgeschlendert.
Sah wieder preußisches Militär,
Hat sich nicht sehr verändert.




Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm
Der Reuter, das muß ich loben,

Besonders die Pickelhaube, den Helm
Mit der stählernen Spitze nach oben.


Das ist so rittertümlich und mahnt
An der Vorzeit holde Romantik




Das mahnt an das Mittelalter so schön,
An Edelknechte und Knappen,




Das mahnt an Kreuzzug und Turnei,
An Minne und frommes Dienen,
An die ungedruckte Glaubenszeit,
Wo noch keine Zeitung erschienen.


Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt
Vom allerhöchsten Witze!
Ein königlicher Einfall war’s!
Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze!


Nur fürcht ich, wenn ein Gewitter entsteht,
Zieht leicht so eine Spitze
Herab auf euer romantisches Haupt
Des Himmels modernste Blitze! —

Schnell verlässt der Dichter diesen steifen und verstaubten Ort, begibt sich nach Köln, wo ihn allerdings angesichts des Domes eine weitere üble Seite der Vergangenheit erwartet – Kölns ‘Dunkelmänner’, die Ketzerprozesse, der Katholizismus.

Das lyrische Ich sieht, wie Köln an engstirnigem Chauvinismus leidet, und muss erfahren, dass seine Neuerungsideen nur die radikale Bluttat zeitigen. Ein vermummter Geselle mit einem Beil, Heines Alter Ego, erklärt ihm, dass er dazu da sei, die Gedanken in die Tat umzusetzen.

Zu Köllen kam ich spätabends an,
Da hörte ich rauschen den Rheinfluß,
Da fächelte mich schon deutsche Luft,
Da fühlt ich ihren Einfluß –


Es trieb mich hinaus in die dämmernde Nacht,
In die widerhallenden Gassen.



Die steinernen Häuser schauten mich an,
Als wollten sie mir berichten
Legenden aus altverschollener Zeit,
Der heil’gen Stadt Köllen Geschichten.


Ja, hier hat einst die Klerisei
Ihr frommes Wesen getrieben,
Hier haben die Dunkelmänner geherrscht,
Die Ulrich von Hutten beschrieben.


Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier
Bücher und Menschen verschlungen;
Die Glocken wurden geläutet dabei
Und Kyrie eleison gesungen.


Dummheit und Bosheit buhlten hier
Gleich Hunden auf freier Gasse;
Die Enkelbrut erkennt man noch heut
An ihrem Glaubenshasse. –




Doch siehe! dort im Mondenschein
Den kolossalen Gesellen!
Er ragt verteufelt schwarz empor,
Das ist der Dom von Köllen.


Er sollte des Geistes Bastille sein,
Und die listigen Römlinge dachten:
In diesem Riesenkerker wird
Die deutsche Vernunft verschmachten!




Seit Jahren hatte ich nicht gesehn
Den sonderbaren Gesellen,
Da fand ich ihn plötzlich wieder hier
In der stillen Mondnacht zu Köllen.


Ich schlenderte sinnend die Straßen entlang,
Da sah ich ihn hinter mir gehen,
Als ob er mein Schatten wäre, und stand
Ich still, so blieb er stehen.


Blieb stehen, als wartete er auf was,
Und förderte ich die Schritte,
Dann folgte er wieder. So kamen wir
Bis auf des Domplatz’ Mitte.


Es ward mir unleidlich, ich drehte mich um
Und sprach: »Jetzt steh mir Rede,




Ich treffe dich immer in der Stund’,
Wo Weltgefühle sprießen
In meiner Brust und durch das Hirn
Die Geistesblitze schießen.


Du siehst mich an so stier und fest –
Steh Rede: Was verhüllst du
Hier unter dem Mantel, das heimlich blinkt?
Wer bist du und was willst du?«


Doch jener erwiderte trockenen Tons,
Sogar ein bißchen phlegmatisch:
»Ich bitte dich, exorziere mich nicht,
Und werde nur nicht emphatisch!


Ich bin kein Gespenst der Vergangenheit,
Kein grabentstiegener Strohwisch,
Und von Rhetorik bin ich kein Freund,
Bin auch nicht sehr philosophisch.


Ich bin von praktischer Natur,
Und immer schweigsam und ruhig.
Doch wisse: was du ersonnen im Geist,
Das führ ich aus, das tu ich.


Entsetzt flieht der Dichter. Die Reise geht über Mülheim:

Wir fuhren durch Mühlheim. // Die Stadt ist nett, // Die Menschen still und fleißig“;

über Hagen:

„Der Tisch war gedeckt. Hier fand ich ganz
Die altgermanische Küche.
Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut,
Holdselig sind deine Gerüche!




Auch einen Schweinskopf trug man auf
In einer zinnernen Schüssel;
Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
Mit Lorbeerblättern den Rüssel.“

Auf der weiteren Reise über Paderborn und den Teutoburger Wald nickt das lyrische Ich in der schaukelnden Postkutsche ein und findet sich im Traume Barbarossa im Kyffhäuser gegenüber:



„Mich schläferte und ich entschlief,
Und siehe! mir träumte am Ende,
Daß ich mich in dem Wunderberg
Beim Kaiser Rotbart befände.


Er saß nicht mehr auf steinernem Stuhl,
Am steinernen Tisch, wie ein Steinbild;
Auch sah er nicht so ehrwürdig aus,
Wie man sich gewöhnlich einbildt.


Er watschelte durch die Säle herum
Mit mir im trauten Geschwätze.
Er zeigte wie ein Antiquar
Mir seine Kuriosa und Schätze.



Und du, wer bist du, daß du es wagst,
Mich so vertraulich zu duzen?
Warte, du Bürschchen, ich werde dir schon
Die kecken Flügel stutzen!


Es regt mir die innerste Galle auf,
Wenn ich dich höre sprechen,
Dein Odem schon ist Hochverrat
Und Majestätsverbrechen!«


Als solchermaßen in Eifer geriet
Der Alte und sonder Schranken
Und Schonung mich anschnob, da platzten heraus
Auch mir die geheimsten Gedanken.


»Herr Rotbart« – rief ich laut –, »du bist
Ein altes Fabelwesen,
Geh, leg dich schlafen, wir werden uns
Auch ohne dich erlösen.


Die Republikaner lachen uns aus,
Sehn sie an unserer Spitze
So ein Gespenst mit Zepter und Kron’;
Sie rissen schlechte Witze.


Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,
Die altdeutschen Narren verdarben
Mir schon in der Burschenschaft die Lust
An den schwarzrotgoldnen Farben.


Das beste wäre, du bliebest zu Haus,
Hier in dem alten Kyffhäuser –
Bedenk ich die Sache ganz genau,
So brauchen wir gar keinen Kaiser.«

Beschreibt das Epos zunächst parodistisch die vorgefundenen sozialen und ideologischen Verhältnisse, die bedrückende politische und geistige Enge, so wird, je länger die Reise andauert, die Grundhaltung umso hoffnungsloser. Das “neue, bessere Lied”, das Heine dichten möchte, ist so leicht nicht zu bewerkstelligen.

Auf die Fragen der Mutter in Hamburg, zu welcher Partei, zu welcher Politik er denn mit Überzeugung stehe, folgt nur ausweichendes Schweigen. Das lyrische Ich reagiert seltsam zögerlich, bezieht keine eindeutige Stellung.

Von Harburg fuhr ich in einer Stund’
Nach Hamburg. Es war schon Abend.
Die Sterne am Himmel grüßten mich,
Die Luft war lind und labend.


Und als ich zu meiner Frau Mutter kam,
Erschrak sie fast vor Freude;
Sie rief: »Mein liebes Kind!« und schlug
Zusammen die Hände beide.




Und als ich den braven Fisch verzehrt,

Die Gans ward aufgetragen.

Die Mutter frug wieder wohl dies, wohl das,

Mitunter verfängliche Fragen.

»Mein liebes Kind! in welchem Land

Läßt sich am besten leben?

Hier oder in Frankreich? und welchem Volk

Wirst du den Vorzug geben?«

»Die deutsche Gans, lieb Mütterlein,

Ist gut, jedoch die Franzosen,

Sie stopfen die Gänse besser als wir,

Auch haben sie bessere Saucen.« –

Und als die Gans sich wieder empfahl,

Da machten ihre Aufwartung

Die Apfelsinen, sie schmeckten so süß,

Ganz über alle Erwartung.

Die Mutter aber fing wieder an

Zu fragen sehr vergnüglich,

Nach tausend Dingen, mitunter sogar

Nach Dingen, die sehr anzüglich.

»Mein liebes Kind! Wie denkst du jetzt?

Treibst du noch immer aus Neigung

Die Politik? Zu welcher Partei

Gehörst du mit Überzeugung?«

»Die Apfelsinen, lieb Mütterlein,

Sind gut, und mit wahrem Vergnügen

Verschlucke ich den süßen Saft,

Und ich lasse die Schalen liegen.«

Welchen Schwierigkeiten sich Heine in seiner kritischen Beschäftigung mit Deutschland ausgesetzt sieht, wird in der Hammonia-Episode deutlich. Zweifellos liegt der Grund für Heines Ausweichen nicht nur in den objektiven Verhältnissen, in die er unter Führung Hammonias, Hamburgs Schutzgöttin, geradewegs blickt, als er die Zukunft Deutschlands schauen darf. Aber mehr als eine geradezu verzweifelte Parodie gelingt ihm nicht, ein Lösungsansatz ist nicht in Sicht:

„Doch dieser deutsche Zukunftsduft

Mocht alles überragen,

Was meine Nase je geahnt –/

Ich konnt es nicht länger ertragen – – –”

Denn noch etwas anderes wird deutlich: Hammonia – genealogisch führt sie sich auf Karl den Großen zurück– lässt ihn nicht nur einen Blick in die Zukunft werfen, sie steht auch für die deutsche Vergangenheit; was sich dem lyrischen Ich hier entgegenstreckt, ist auch seine politische und kulturelle Tradition – eine Tradition, der sich Heine durchaus zugehörig fühlt.

Gegen die Verhältnisse in Deutschland anzuschreiben heißt gegen sich selbst anzuschreiben; der äußere Konflikt wird für Heine auch zu einem inneren. Dass die gesamte Hammonia-Episode ein Traumgebilde ist, die sich im Inneren des lyrischen Ich abspielt, hebt die Auseinandersetzung nur umso stärker hervor. Nicht einmal im Traum, diesem „Luftreich der Deutschen” gibt es ein Entrinnen aus Deutschlands trübseliger Gegenwart.

Mit dem Reiseepos Deutschland. Ein Wintermärchen von Heinrich Heine möchte ich an seinen 165. Todestag am Mittwoch, 17. Februar erinnern.

Für mich gehört Heinrich Heine zu den bedeutenden Schriftstellern, den wir z.B. zu meiner Schulzeit offiziell noch nicht lesen durften, dem die Stadt Düsseldorf sehr spät ein Denkmal gesetzt und ebenso spät die Universität Düsseldorf nach ihm benannt hat.

Deutschland. Ein Wintermärchen, das ich immer wieder gerne lese und in ihm immer wieder neues entdecke, lässt uns die genannten Städte, Orte, Begegnungen, die von ihrer großen Vergangenheit leben, in parodistisch kritischem Licht sehen aber auch die Zweifel miterleben, warum Heine im Konflikt steht zwischen seiner deutschen Herkunft verbunden mit der Tradition und Kultur und seinem gewählten Leben in Frankreich.

Ein neues Lied, ein besseres Lied, // O Freunde, will ich euch dichten!

Wir wollen hier auf Erden schon // Das Himmelreich errichten.

So beginnt der Text, aber am Ende erleben wir, dass Heinrich Heine das Problem ‚Deutschland‘ nicht lösen kann.

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