Es gibt ein Leben nach dem Bundestag

Freut sich auf mehr Zeit für Familie und Freunde: Michaela Noll. Foto: Ria Garcia

Fast 20 Jahre war Michaela Noll für den Südkreis im Bundestag vertreten. Bewusst hatte sie in diesem Jahr entschieden, nicht mehr zur Wahl anzutreten.

„Meine Grundeinstellung war immer: Vollgas“, erzählte Michaela Noll bei einem persönlichen Treffen Anfang November. Zu diesem Zeitpunkt pendelte sie immer noch zwischen Berlin und ihrer Heimatstadt Haan. Es galt ihre Wohnung in Berlin aufzulösen, aber auch ihr Büro. 20 Umzugskartons aus Berlin waren in ihrem Wahlkreisbüro in Mettmann angekommen. „Meine Mitarbeiter haben mir gesagt, dass sie nicht entscheiden mochten, was entsorgt werden kann und was ich vielleicht behalten möchte, weil so viele persönliche Schreiben dabei sind.“

Noll hat sich in ihrer Zeit im Bundestag für viele soziale Projekte engagiert. Das Thema Familie lag ihr immer besonders am Herzen. In Erkath hat sie sich als Schirmherrin des Franziskus-Hospiz Hochdahl und als Schirmherrin des Schulverweigerer Projekts ‚Zündstoff – zweite Chance‘ des SKFM ehrenamtlich eingesetzt. Letztere sollte sie noch am Tage unseres Treffens an ihren Nachfolger Dr. Klaus Wiener übergeben.

In Haan war sie Schirmherrin des Förderkreis Kipkel, der sich präventiv um die Kinder psychisch erkrankter Eltern kümmert. Sie war ehrenamtliche Präsidentin des Förderkreises ZNS in Langenfeld, der mit seinen Spendensammlungen die Hannelore-Kohl Stiftung-unterstützt, die wiederum Betroffene und Familien nach einer Schädelhirnverletzung unterstützt.

Über die Kreisgrenzen hinaus war sie außerdem Schirmherrin des Bundesverbands Herzkranke Kinder und Schirmherrin des Vereins ‚Löwenstern – Förderverein zugunsten krebskranker Kinder am Universitätsklinikum Düsseldorf‘. Darüber hinaus war sie stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Bundestiftung Mutter und Kind.

Auf unsere Frage, ob Dr. Klaus Wiener auch die anderen Schirmherrschaften übernehmen wird, sagte uns Michaela Noll: „Ich habe das immer gerne gemacht. Ich bin nicht sicher, ob Dr. Wiener alle Schirmherrschaften übernehmen möchte, oder vielleicht andere Schwerpunkte setzt. Die Vereine müssen auf ihn zugehen, wenn sie das möchten.“

Ganz nach Berlin war keine Option

„Ich dachte, sie ziehen jetzt ganz nach Berlin“, äußerten sich Nachbarn in der Heimatstadt Haan. Tatsächlich gäbe es einige Bundestagsabgeordnete, die ihren Wohnsitz irgendwann ganz nach Berlin verlegt hätten, weiß Michaela Noll. „Für mich war das nie eine Option.“ Sie kaufe auch heute noch gerne in Hochdahl ein, dort hat sie lange selbst gewohnt. In der Großstadt Berlin sei sie nie heimisch gewesen.

Bis voraussichtlich April 2022 hat Michaela Noll dennoch eine Aufgabe, die sie ab und zu nach Berlin führt. Sie ist (Noch-)Präsidentin der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. „Die Präsidentschaft übernimmt immer die stärkste Fraktion“, erklärte Noll. Und so wird nach der Regierungsbildung im kommenden Jahr eine Vertreterin oder ein Vertreter aus der SPD-Fraktion ihre Nachfolge antreten. Wenn sie jetzt nach Berlin reist, übernachtet sie im Hotel.

Den Abschied von Berlin, dem Bundestag und den dortigen Kollegen hat ihr Corona ein wenig erleichtert. „Durch Corona gab es ja schon viel weniger persönliche Kontakte. Loslassen war deshalb viel einfacher“, erklärte sie warum das so war. Aber Michaela Noll war nicht die einzige, die sich entschieden hatte, nicht erneut anzutreten. „Viele Kollegen, die mit mir zusammen im Bundestag waren, haben auch aufgehört.“ Insgesamt seien es 58 Abgeordnete gewesen.

Aber wie nimmt man eigentlich nach fast 20 Jahren Abschied? Michaela Noll hat sich einen besonderen Gruß überlegt. Ein Fotoband, der im inneren viele persönliche Begegnungen festgehalten hat und auf jeder Seite die Überschrift „20 Jahre Seite an Seite“ enthält, ist ihr Abschiedsgeschenk an Weggefährten.

Und was kommt jetzt?

Die Frage hat uns natürlich interessiert. Hat Michaela Noll schon Zukunftspläne? Was macht sie, wenn die 20 Umzugskartons leer geräumt sind? Was wird sie vielleicht vermissen und was wird sie garantiert nicht vermissen?

„Feste Pläne gibt es noch nicht“, erzählte sie uns. Aber sie freue sich auf regelmäßigen Schlaf, regelmäßiges Essen und vor allem mehr Sport. „Mir gelingt es immer noch nicht, morgens auszuschlafen. Ich bin immer um halb sechs wach“, verriet sie, dass die Umstellung auf ‚mehr Zeit‘ nicht sofort gelingt. Auf mehr Zeit freut sie sich aber vor allem. Auf mehr Zeit mit ihrem inzwischen 29 Jahre alten Sohn. „Er war neun, als ich nach Berlin ging. Jetzt hat er mir einen gemeinsamen Kochkurs geschenkt“, freut sie sich, ein wenig der verlorenen Zeit in seiner Kindheit nun mit ihm ’nachholen‘ zu können. Als Familienpolitikern freut sie sich auch darüber, dass sich in diesen 20 Jahren in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf vieles für die Generation ihres Sohnes verbessert hat.

Auf mehr Zeit freut sie sich auch mit Freundinnen aus der Studienzeit, denen sie für ‚Mädelstreffen‘ immer wieder absagen musste, weil die Termine kollidierten. „Dennoch haben die Freundschaften diese Abstinenz überlebt. Der Kontakt ist nie abgebrochen.“ Jetzt freut Noll sich auf mehr Zeit für Familie und Freunde, für gemeinsame Kino- oder Theaterbesuche oder einfach einmal ‚gemeinsam Muscheln essen gehen‘. Zeit die in der Vergangenheit oft auch in Fahrt- oder Reisezeiten investiert werden musste. „Viele können sich gar nicht vorstellen, wie viele Kilometer ein Bundestagsabgeordneter allein im Wahlkreis unterwegs ist. Das frisst Zeit.“

Ganz untätig oder nur Privatière wird die Frau, die immer Vollgas gegeben hat, auf Dauer wohl nicht sein, wenn die Pläne auch noch nicht konkret sind. „Vielleicht etwas im Kinder- oder Opferschutz“, kann sie sich vorstellen. Aber auch ein Psychologie-Studium als Gasthörerin würde die Juristin interessieren. „Aber auf jeden Fall hier in der Nähe“, ist sie sicher. „Wenn ich eines sicher nicht vermissen werde, sind das Verspätungen bei der Bahn, Flugausfälle und Dauerstau.“ Pendeln sei zeitraubend und im ÖPNV und bei der Bahn müsse sich noch viel verbessern.

Weitaus positiver fällt ihr Rückblick auf die Arbeit im Bundestag in anderen Bereichen aus. „Man trifft immer wieder neue Leute und stellt fest, wie viele tolle Menschen es gibt.“ Dafür, dass sie diese Menschen treffen durfte, sei sie der Politik dankbar. Beeindruckt hätte sie auch das Engagement von Dieter Smolka, ehemaliger Schulleiter des Gymnasiums in Hochdahl.

Eine Erfahrung wird Michaela Noll mit in die Zukunft nehmen und vielleicht später auch in anderen Wirkungsfeldern machen: „Wenn man etwas bewirkt hat, wenn etwas geklappt hat, dann ist das einfach schön.“ Für ihre weiblichen Nachfolgerinnen in der Politik freut sie sich, dass die Digitalisierung und die Möglichkeit digital an Sitzungen teilzunehmen, in der Pandemie einen Schub erfahren hat, der gerade für Frauen mehr Möglichkeiten bietet, sich einzubringen.

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