Es geht nicht vorrangig um Geld

von Ria Garcia

Wie eine 'große Familie' stehen Busfahrerinnen und Busfahrer samt Enkel am Streiktag 'zusammen'. In der Mitte mit blauer West Heiko Goebel (NahVG). Foto: Ria Garcia

Wer auf Bus und Bahnen angewiesen ist, musste gestern wieder nach Alternativen suchen. Es wurde gestreikt! Was sind die Forderungen? Ums Geld geht es dieses Mal vorrangig nicht.

Wir haben die Streikenden am Betriebshof in Mettmann besucht und uns mit Heiko Goebel, Vorsitzender der Region West und der Ortsgruppe Düsseldorf bei Nahverkehrsgewerkschaft (NahVG) unterhalten. Zum Streik aufgerufen hatte Ver.di. „Wir hätten den Streik heute noch nicht gebraucht. Die Tendenz war den 16. Februar abzuwarten“, erklärt Goebel. Wenn es dann kein passendes Angebot gegeben hätte, hätte es auf jeden Fall einen Streik gegeben. Aber die beiden Gewerkschaften, von denen die NahVG in diesem Bereich die Mitgliederstärkste ist, erfahren wir, lassen sich gegenseitig nicht im Stich. Ruft eine von beiden zum Streik auf, beteiligt sich die andere. Bis Mitte März, so hofft man, soll der neue Tarifvertrag stehen.

Schlechte Arbeitsbedingungen, fehlender Nachwuchs und abwandernde Fahrer

Ums Gehalt geht es in diesem Streik nicht, erfahren wir. Für die Fahrerinnen und Fahrer, die in die Entgeltgruppe 5 des TV-N NRW (Tarifvertrag Nahverkehr Nordrhein-Westfalen) eingruppiert sind, wurde im letzten Jahr eine stattliche Erhöhung erreicht, die ab 1. März 2024 greift. In der Stufe 1 der Entgeltgruppe 5 erhöht sich das Gehalt von 2.646,18 Euro auf 3.002,72 Euro. Was sich damit nicht ändert, sind die Arbeitsbedingungen, die aus Sicht von Heiko Goebel ausschlaggebend für den Fahrermangel sind.

Die Fahrerinnen und Fahrer arbeiten im Schichtdienst. Eine Schichtzulage, wie sie in anderen Branchen üblich ist, erhalten sie nicht. Der Arbeitsbeginn ist nicht fest geregelt, er orientiert sich am Beginn der ersten ‚Busroute‘. In der Frühschicht bedeutet das beispielsweise Beginn an einem Tag um 4 Uhr morgens, am nächsten um 4.58 Uhr und am übernächsten um 6 Uhr. Pünktlichkeit ist oberstes Gebot, da sich die Arbeitszeit am Fahrplan orientiert. Der bezahlte Dienst der Fahrerinnen und Fahrer beginnt mit der Abfahrt des Fahrzeuges und endet mit der Ablösung durch die nachfolgende Schicht – oftmals weit vom Anfangspunkt des Dienstes entfernt. Das ist auch schon der erste Knackpunkt, denn die bezahlte Arbeitszeit beginnt erst mit der Fahrt, während der Fahrer schon früher vor Ort sein muss, um den Bus zu kontrollieren, seinen Fahrersitz einzustellen und die Barkasse anzubringen. Wer seinen Dienst morgens am Betriebshof beginnt, beendet seine Schicht mit dem Fahrerwechsel oft weit entfernt vom Betriebshof. Für die Rückkehr zum Betriebshof ist er selbstverantwortlich. Zwar ist die Beförderung im ÖPNV dann für den Fahrer kostenlos, die dafür anfallende Zeit, die gern auch einmal eine halbe Stunde beträgt, ist unbezahlte Arbeitszeit.

Am Ende der jeweiligen Schicht sieht es nicht viel anders aus. Steht der Fahrer im Stau und ist zehn Minuten später zurück, werden diese zehn Minuten nicht bezahlt. Auch das Abliefern der Bareinnahmen wird nicht als Arbeitszeit gerechnet. „Erst ab der 16zehnten Minute wird die Mehrarbeitszeit wieder vergütet. Sie können sich sicher vorstellen, wie oft Fahrer aufgrund der Verkehrsbedingungen einige Minuten zu spät eintreffen“, sagt uns Heiko Goebel. „Und wenn ein Fahrer in einen Unfall verwickelt war, muss er einen Unfallbericht schreiben. Auch das wird nicht als Arbeitszeit gerechnet.“ Die An- und Abfahrt zum jeweiligen Zielort zähle auch nicht als Arbeitszeit.

Alles in allem falle durchschnittlich täglich eine halbe Stunde ‚Mehrarbeit‘ an, hat die NahVG ausgerechnet. Vergütet wird das lediglich mit einer Pauschale von 1,61 Euro pro Dienst. Das sei deutlich unter Mindestlohn. Hinzu kämen die geteilten Dienste, die sich durch die Spitzen im Berufsverkehr ergegen, zwischen diesen Spitzen am Morgen und am Nachmittag seien weniger Fahrzeuge und Fahrer im Einsatz. Das führe zu ‚geteilten Diensten‘ mit Pausen dazwischen. Das Tarifrecht erlaubt, dass zwischen Dienstbeginn und -ende 13 Stunden liegen, die von mindestens 2 Stunden unbezahlter Zeit unterbrochen sind. Zeit, die für die Fahrer kaum sinnvoll privat zu nutzen ist. Deshalb fordert die NahVG eine zusätzliche Vergütung von 15 Euro pro geteiltem Dienst.

Früh-, Spät- und Nachtschicht wechseln wöchentlich

„Die extremen Wechsel müssen aufhören“, beschreibt Goebel den belastenden Arbeitsalltag der Fahrer. Zwischen den Diensten müssen derzeit mindestens zehn Stunden Ruhezeit liegen, erfahren wir. Wenn in dieser Ruhezeit dann noch eine An- und Abfahrt zur Arbeit von einer dreiviertel Stunde liege, dann bleibe kaum Zeit mit der Familie. „Viele Fahrerinnen und Fahrer haben ein Schlafdefizit. Deshalb fordern wir eine Mindestruhezeit von 12 Stunden zwischen den Diensten“, erklärt Heiko Goebel. „Die Fahrer brauchen mehr Erholung. Deshalb ist auch eine der Forderungen 5 Tage mehr Urlaub.“ Hier sei ein Kompromiss denkbar, aber in jedem Fall müsse es eine Entlastung der Fahrer geben.

„Die Arbeitgeber teilen unsere Analyse der Arbeitsbedingungen eigentlich, signalisieren aber, dass kein Geld für unsere Forderungen da sei“, erzählt uns Heiko Goebel. Und weil Personal fehle, müsse die Arbeitszeit eigentlich verdichtet werden, heißt es von Arbeitgeberseite. „Es gab das Angebot die Arbeitszeit auf 43 Stunden zu erhöhen und dafür 30 Prozent Zuschlag zu zahlen“, lässt er uns wissen. Da wäre man von Seiten der Gewerkschaft gar nicht grundsätzlich dagegen, weil es sich den einen oder anderen Fahrer gäbe, der davon Gebrauch machen würde, wenn er etwas mehr verdienen wolle, es müsse aber dann auch die umgekehrte Wahl geben: Etwas weniger bei vollem Lohnausgleich zu arbeiten.

Schlecht bezahlte Überstunden

„Die meisten haben keinen Bock auf Überstunden“, erzählt uns Heiko Goebel sehr direkt. Das läge daran, dass Überstunden nur nach der Stufe 1 der Entgeltgruppe bezahlt werden, unabhängig davon, ob eine Fahrerin oder ein Fahrer sich vielleicht aufgrund langjähriger Tätigkeit bereits in der Stufe 6 befindet (was monatlich einem Brutto-Mehrgehalt von rund 700 Euro im Vergleich zu Stufe 1 entspricht). „Das führt dazu, dass die Fahrer in der Stufe 6 trotz Überstunden-Zuschlag nicht mehr als ihren normalen Lohn bekommen“, erfahren wir. Deshalb fordere die NahVG Überstunden immer in der Stufe 6 zu bezahlen, damit sie wieder attraktiv werden.

Zusammengefasst sind die wichtigsten Forderungen der NahVG:
• Sämtliche durch den Arbeitgeber veranlasste Zeit muss zu 100 Prozent vergütet werden
• Überstundenzuschlagsberechnung aus Stufe 6
• Schichtzulagen, wie in anderen Branchen üblich
• Erhöhung der Samstagszuschläge
• Verlängerung der Ruhezeiten auf 12 Stunden
• Geteilte Dienste pauschal mit 15 Euro vergüten

Welche der Forderungen am Ende erfüllt werden, wird die Tarifauseinandersetzung zeigen. Unabhängig vom anstehenden Vertrag hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit der Einsortierung der Berufe in die Entgeltgruppen befasst. Der Kern dieser Einsortierung stammt noch aus dem Jahr 1963 verriet uns Heiko Goebel. Einige Berufe gäbe es inzwischen gar nicht mehr, andere seien neu und nicht enthalten.

Busfahrer bald wieder ein attraktiver Beruf?

Die Mehrzahl der Busfahrerinnen und Busfahrer machen ihren Job trotz allem gerne. Sollten die Gewerkschaften ihre Forderungen durchsetzen, könnte der Beruf auch für viele andere wieder attraktiv werden und das nicht nur für junge Menschen, die nach der passenden Ausbildung suchen, sondern auch für Wechsler und Wiedereinsteiger, denn das Gehalt wird vom ersten Ausbildungstag an gezahlt (Entgeltgruppe 5 des TV-N NRW, Stufe 1).

Die Ausbildung dauert in der Regel 6 Monate, in denen der Busführerschein und ein Personenbeförderungsschein erworben werden. Voraussetzung ist ein gutes Führungszeugnis. Wer die Ausbildung beginnt, verpflichtet sich, zwei Jahre bei der Rheinbahn zu bleiben. Wer früher geht, muss die Kosten für den Busführerschein zurückzahlen.

Wer bereits mit einem gültigen Busführerschein und einem Personenbeföderungsschein einsteigt, durchläuft die Einweisung innerhalb von 6 Wochen.

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