Erste Podiumsdiskussion ein voller Erfolg

Das noch leere Podium in der Stadthalle. Foto: RG

Hundert Zuschauer im Facebook-Live-Stream, zahlreiche Zuschauer im Live-Stream über die Homepage von Lumievent und 60 Zuschauer in der Stadthalle.

Politische Podiumsdiskussionen können bisweilen trocken, manchmal langatmig oder auch zu hitzig sein. Mit Tobi Wienke als Moderator ist es gelungen, eine unterhaltsame Mischung mit eingeblendeten Kurzvideos und auflockernden Beiträgen zu finden, die nicht nur politischen Informationswert hatte. Über die Facebook-Seite von Lumi Event wurde die Aufzeichnung inzwischen mehr als 2.800 Mal aufgerufen.

Themenblöcke nach dem ‘Warm-up’

Zu Beginn erklärte Tobi Wienke die ‘Spielregeln’ und stellte die Themenblöcke vor, die diskutiert werden sollten. Wirtschaft und Finanzen, Stadtentwicklung und Digitalisierung standen für die erste von zwei Podiumsdiskussionen auf dem Programm. Jeder Podiumsgast wurde mit einem kurzen Video vorgestellt. Neben den drei Bürgermeisterkandidaten Christoph Schultz (CDU, amtierender Bürgermeister), Jörg Schintze (SPD) und Peter Knitsch (Die Grünen), nahmen für die übrigen Fraktionen die Spitzenkandidaten Bernhard Osterwind (BmU), Ralf Lenger (FDP), Daniela Laijos (Die Linke) und Dennis Sauereßig (AfD) teil. Dennis Sauereßig bekannte auf Nachfrage des Moderators freimütig, dass sich die AfD zu dieser Wahl noch kein spezielles Programm für Erkrath ‘gegönnt’ habe.

Thema Wirtschaft und Finanzen

SPD Bürgermeisterkandidat
Jörg Schintze

Jörg Schintze hat den Eindruck, dass in Erkrath sehr viel ‘nach Bedarf’ getan werde. Aus seiner Sicht müsse die Planung am Anfang stehen. Er kritisiert, dass der Beschluss zum Neubau des Gymnasiums und der Sanierung der anderen Schulen vor dem Beschluss des Schulentwicklungsplans gestanden habe.

Der amtierende Bürgermeister
Christoph Schultz (CDU)

Die Kritik wies der amtierende Bürgermeister Christoph Schultz zurück. Man handle zwar tatsächlich auch nach Bedarf, aber das habe gute Gründe. Das Gymnasium sei nicht mehr wirtschaftlich zu sanieren und in sechs Jahren müsse man die Unterbringung der Schüler sichern, die jetzt in G9 starten. Planen und Handeln geschehe parallel und müsse den Bedarf berücksichtigen.

Bürgermeisterkandidat
Peter Knitsch
(Die Grünen)

Peter Knitsch sieht bei den Finanzen der Stadt kein Schwarz oder Weiss. Es gäbe sicher eine Reihe von Punkten, bei denen vernünftig gehandelt wurde. Es gäbe allerdings auch Punkte, die aus seiner Sicht verbesserungswürdig sein. Für die Infrastruktur sei viel zu lange nichts getan worden, was dazu geführt habe, dass nun innerhalb von fünf Jahren 200 Millionen Euro investiert werden müssen. Er kritisiert auch die Kostenexplosion der Feuerwache.

Bürgermeister Christoph Schultz nahm direkt Stellung. “Diese 13 Millionen waren aus der Luft gegriffen, das ist eine unseriöse Zahl. Sie können ja seriös erst von einer Kostenschätzung reden, wenn Sie eine Planung vorliegen haben.”

Bernhard Osterwind (BmU)

Bernhard Osterwind erinnerte daran, dass die BmU die einzige Fraktion sei, die ein freiwilliges Haushaltssicherungskonzept gefordert habe, das die übrigen Fraktionen abgelehnt haben.

Ralf Lenger (FDP)

Ralf Lenger bezeichnete das als ‘die volle Rolle rückwärts’. Er betrachtet es aus Sicht des Unternehmers: “Das was ich als Unternehmer als erstes tun muss, ist ich muss schauen, wie ich die Einnahmen verbessere.” Er führte das Beispiel Monheim an, wie mehr Gewerbesteuer generiert werden könne.

Jörg Schintze kontert, das Monheim kein Beispiel für Erkrath sein könne. Was dort gelaufen sei, sei unsolidarisch. “Ich möchte in dieser Stadt keine Briefkastenfirmen.” Schintze wünscht sich reale Unternehmen, die auch Arbeitsplätze bieten.

Daniela Laijos (Die Linke)

Tobi Wienke lenkt das Gespräch auf die Gewerbeflächen und spricht Daniela Laijos direkt auf die Neanderhöhe an. “Wie steht die Linke zur Bebauung der Neanderhöhe?” Laijos antwortet: “Am liebsten hätten wir die gar nicht bebaut.” Sie glaubt das einige unter den Zuschauern der gleichen Meinung sind. Es sei eines der wenigen noch vollen Naturschutzgebiete, die Erkrath noch hat und das sollte auch so bleiben. Sie plädiert für ein Leerstandskataster.

Dennis Sauereßig (AfD)

Dennis Sauereßig teilte mit, dass die AfD eine Bebauung der Neanderhöhe, die im Einklang mit der Natur stattfinden solle, begrüßt. Man müsse das als Projekt sehen und vielleicht auch versuchen umweltorientierte Unternehmen anzusiedeln.

Christoph Schultz machte darauf aufmerksam, dass es sowohl ein Leerstandsmanagement, als auch eine kompetente Wirtschaftsförderung in der Stadt gibt. Für die Unternehmen vor Ort, die erweitern möchten, sei der großparzellierte Leerstand in Unterfeldhaus allerdings nicht geeignet.

Bernhard Osterwind erklärte noch einmal, warum die BmU das Erbpachtmodell bevorzugt. Er argumentierte mit dem Lebenszyklus von Gewerbeimmobilien und den Möglichkeiten einer Stadt auch in Zukunft noch Einfluss auf die Ansiedlung von Gewerbe zu haben.

Peter Knitsch kritisierte, dass Bürgermeister Christoph Schultz und Bernhard Osterwind mit ihren Konzepten auf Kosten der Natur weitere Einnahmen generieren wollen. Er betonte, dass Erkrath zu den zehn Prozent der ‘steuerstärksten Kommunen’ in NRW pro Kopf der Bevölkerung gehöre.

Bernhard Osterwind erklärte noch einmal, dass das Stück, das jetzt auf der Neanderhöhe bebaut werden soll, ein bisher industriell genutzter Acker sei. Die Fläche sei mit Pestiziden und Glyphosat behandelt. Er verwies auf die Homepage der BmU, auf der all das nachzulesen sei.

Bürgermeister Christoph Schultz nannte indes ein Beispiel aus Unterfeldhaus, bei dem Erbpacht sogar zum Problem geworden sei, bevor Tobi Wienke auf’s Tempo drückt, weil der erste Themenblock schon den Zeitrahmen sprengt.

Auf dem ‘blauen Sofa’: Nils Wolfram (Jugendrat) und Timo Kremerius (Seniorenrat) sammeln Fragen, die über Facebook gestellt werden.
Foto: RG

‘Lockerungsübungen’

Zwischen den Frageblöcken wurden immer mal wieder kurze Videosequenzen eingeblendet, in denen den Bürgermeisterkandidaten Aufgaben zur Beantwortung gestellt wurden . Sie sollten den Satz vervollständigen “Ich bin der beste Bürgermeister, weil …”. Anschließend waren sie aufgefordert zu nennen, welches ihr Lieblingsort in der Stadt ist, welchen Ort sie dort nicht so mögen und zuletzt wurden sie mit der Frage konfrontiert: “Haben Sie in ihrem Leben schon einmal geklaut?” Nur ein Kandidat gab auf diese spontane Frage zu, als 13-jähriger schon einmal ‘Leerkassetten’ (*1) geklaut zu haben.

Thema Stadtentwicklung

Beim Thema Stadtentwicklung ‘bissen’ sich die Podiumsgäste dann ein wenig am Thema Wimmersberg fest, was sicherlich zu erwarten war. Bürgermeister Christoph Schultz verstehe zwar die Kritik an der Bürger an der dichten Bebauung, verteidigt aber den Kompromiss, den Politik und Verwaltung finden mussten. Das wäre vielleicht keine Eins plus für Erkrath, sondern nur eine Drei, aber mit einer Drei könne man auch leben. Dennis Sauereßig fragte nach, wie hoch der Quadratmeterpreis für sozialen Wohnraum dort sei. Christoph Schultz verwies auf die gesetzlichen Vorgaben für sozialen Wohnraum, die den Quadratmeterpreis vorgeben.

Ralf Lenger begrüßte erst einmal grundsätzlich die Tatsache, dass sich für den Wimmersberg ein Investor gefunden habe, der dort investieren wolle. Er verwies darauf, dass man beim Wimmersberg nicht stehenbleiben könne, dass man noch weitere Flächen und kreative Ideen brauche, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Damit fand er Übereinstimmung mit Daniela Laijos von Die Linke, die vor allem mehr sozialen Wohnungsbau forderte. Zwanzig Prozent befand auch er zu wenig.

Peter Knitsch bemängelte vor allem – die aus seiner Sicht – zu geringe Bürgerbeteiligung am Wimmersberg. “Einen wirklichen Einfluss konnten die Bürgerinnen und Bürger gar nicht nehmen.” Schunzelnd weist er darauf hin, dass die FDP im gesamten Prozess ganz bestimmt nicht für mehr Sozialwohnungen gestimmt habe. Jörg Schintze verteidigte den gefundenen Kompromiss. Die Fraktionen hätten ja nicht hinter Catella hinterher gestimmt. Bernd Osterwinder konterte, dass die SPD mit den Kollegen aus der CDU ja dafür gestimmt habe, dass noch vor der Kommunalwahl zu beschließen.

© RG

Thema Digitalisierung

Das letzte Thema vor den Zuschauerfragen war die Digitalisierung. Ein Thema, das sich vor allem die FDP auf die Fahnen schreibt. Tobi Wienke berichtet, dass er digital die Briefwahl beantragt habe und das total einfach gewesen sei. Von Ralf Lenger wollte er deshalb wissen, was da denn noch zu tun sei. “Im Prinzip müssen uns da tatsächlich einmal anschauen, welche Prozesse wir in der Stadtverwaltung haben, die wir digitalisieren können.” Die Kommunikation zwischen Bürger, Stadtverwaltung und Unternehmen müsse einfacher werden. Er sprach von papierloser Arbeit, vom Einscannen und Prozessen, die digitalisiert werden müssten, damit sie schneller und effizienter abliefen. Dabei ginge es nicht darum Personal einzusparen.

“Wir sind bereits im Prozess der Digitalisierung. Das mag vielleicht für einige neu sein, die noch nicht im Stadtrat sitzen, aber wir haben eine Stabsstelle Digitalisierung und haben bereits mit dem Prozess der E-Akte angefangen”, kontert Christoph Schultz, dass die Verwaltung bereits weiter sei, als Ralf Lenger das vielleicht vermute.

Jörg Schintze sprach von automatisierten Verwaltungsprozessen und Künstlicher Intelligenz. “Ich möchte, dass die Verwaltung von bestimmten Routineprozessen entlastet wird.”

Daniela Laijos mahnte an, dass bei allen Digitalisierungschritten Internetangebote einfacher sein müssten, damit auch die, die keine ‘Digital Natives’ sind, damit zurecht kommen. Die Angebote müssen aus ihrer Sicht barrierefreier sein. Dem pflichtet auch Dennis Sauereßig bei, der Digitalisierung für wichtig einstuft, aber denkt, dass am Ende immer auch ein Mensch dasein müsse, den man ansprechen könne.

Peter Knitsch, der zwar selbst schon lange digitale Angebote, wie etwa bei seiner Bank, nutzt, ist der gleichen Meinung. Digitale Angebote können nicht die einzigen Angebote seien. Da wo Digitalisierung wichtig sei, bei den Schulen, sei indes viel zu lange geschlafen worden. Das habe die Corona Krise – inbesondere bei der Ausstattung – gezeigt. Christoph Schultz erklärt, dass man vor der Krise vor allem in Präsentationstechnik in den Schulen investiert habe und nicht auf Fernunterricht eingestellt war. Das habe sich in der Krise geändert. Die Anschaffung der Hardware gestalte sich auf dem engen Markt indes ein wenig schwierig, aber man sei auf einem guten Weg Schüler, die aus finanziellen Gründen keine Ausstattung zu Hause hätten, für diesen Fall auszustatten.

Anmerkung: Was in diesem ‘verkürzten’ Themenblock niemand ansprach, war das Onlinezugangsgesetz, das Bund, Länder und Kommunen verpflichtet bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Die Digitalisierung der Verwaltung ist inzwischen eine gesetzliche Vorgabe.

Zuschauerfragen

In den Zuschauerfragen, die vor Ort in der Stadthalle und online über Facebook gesammelt wurden, ging es dann zum Beispiel noch um Verkehrsthemen, wie die mögliche Busanbindung der oberen Willbeck, Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung, Radwege in Erkrath und das Radwegekonzept, um die Taktverbesserung des ÖPNV und Dennis Sauereßig plädierte dafür, auch die Straßen in Ordnung zu halten. “Ich will niemand das Fahrrad oder E-Pedelec wegnehmen, aber wir müssen auch die Straßen in Ordnung halten.”

Zum Ende hin sorgte dann noch einmal eine Zuschauerfrage an Dennis Sauereßig für eine etwas hitzigere Diskussion. “No go areas in Hochdahl, gibt es die?”, lautete die Frage. “Für uns gibt es in Hochdahl auf jeden Fall eine ‘no go area'” und benennt diese dann auch mit der Sandheide. Die anderen Podiumsgäste verteidigten die Sandheide mit der Sozialen Stadt, den Menschen und den Projekten, die dort stattfinden, wollten nicht zulassen, dass man die Menschen in der Sandheide mit dem Begriff ‘no go area’ stigmatisiert.

Die gesamte Podiumsdiskussion kann auch weiterhin über www.lumievent.de oder die Facebook-Seite von Lumi Event aufgerufen und angesehen werden. Am 2. September 2020 findet dann die zweite Podiumsdiskussion im Bürgerhaus Hochdahl statt.

Heimvorteil für den amtierenden Bürgermeister

Zum Abschluss sollten die Kommunalpolitiker auf dem Podium dann noch eine ganz ‘erkrathspezifische’ Aufgabe lösen. “An Ihrem Platz finden sie einen Stift und Papier. Zeichnen sie jetzt die Umrisse der Stadt Erkrath auf”, forderte Tobi Wienke die Kandidaten auf. Dass die dabei Spaß hatten, sieht man auf den Bildern. Einen klaren Heimvorteil hatte Bürgermeister Christoph Schultz und damit auch ‘gut lachen’. Wer sollte den Umriss wohl ein leichtesten aus dem Kopf aufzeichnen, wenn nicht er?

Hintergründe zu den Podiumsdiskussionen

Möglich wurde die von Jugendrat und Seniorenrat mit unserer Unterstützung organisierte Veranstaltung durch eine vom Kreisintegrationszentrum bewilligte Förderung aus dem Bundesprogramm ‘Demokratie leben!’.

(*1) Erläuterung für unsere jungen Leser:

Leerkassetten sind die Vorläufer von CD’s oder MP3-Playern, mit denen die vorhergehende Generation früher Musik aufgenommen und wieder abgespielt hat. Deren Bänder haben sich gern mal verheddert und abgerollt, sodass Bleistifte ein willkommenes Werkzeug waren, mit denen man die Bänder wieder aufrollen konnte.

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