
Ein gut gefülltes Stockies Bistro ist das beste Zeichen dafür, dass der Poetry Slam in Unterfeldhaus angekommen ist und dass Tickets frühzeitig gebucht werden sollten, wenn man dabei sein möchte.
Jan Schmidt, der gebürtige Wülfrather und Teilnehmer am NDR-Comedy-Contest, bot in der letzten Woche die vierte Auflage der beliebten Veranstaltung, die weit über die Stadtgrenzen hinaus für ihre kreative Vielfalt bekannt ist. Stockies Bistro bietet für das kulturelle Highlight beste Voraussetzungen. Wie beim Kinobesuch können sich die Gäste vor Beginn mit Getränken und Snacks versorgen und dann auf die wortgewaltigen Beiträge gespannt sein. Mitwirkung ist natürlich immer gefragt, was die Veranstaltung zu einem interaktiven Erlebnis macht.
Neben den Poeten ist Moderator Jan Schmidt selbst schon ein entscheidender Unterhaltungsfaktor und idealer Entertainer. Schmidt, der seit vielen Jahren Poetry Slams in verschiedenen Städten des Kreises Mettmann organisiert, hat sich einen Namen gemacht. Sein Talent, das Publikum zu begeistern und mitzureißen, ist unübertroffen. „Es geht nicht nur um die Worte, sondern um die Verbindung zwischen den Künstlern und dem Publikum“, erklärte er. Und genau das spürte man an diesem Abend in Stockies Bistro. Mit seiner charmanten Art und einem Lächeln, das ansteckend wirkt, führte er durch den Abend und erklärte zu Beginn die Regeln. Die Poeten sind, wie immer, allein auf ihr Wortkönnen angewiesen. Keine besondere Kulisse, keine edle Gaderobe und keine Requisiten. Zu den weiteren Regeln gehört, dass alle Texte selbst geschrieben sein müssen und dass jeder maximal sechs Minuten Zeit für seinen Vortrag hat. Beim Thema haben die Wortkünstler freie Wahl, egal ob Comedy, Lyrik, Kabarett, Poesie, Gesellschaftskritik oder Klamauk. Schmidt erklärte das Voting und mahnte: Respect the poets!

Als die ersten Poeten die Bühne betraten, war die Atmosphäre elektrisiert. Die erste Runde begann mit Jana Goller aus Wipperfürth. Thema: Ihre Arbeit. Sie stellt fest, dass ihre Vorgesetzten sie immer mehr Überstunden machen ließen und sie die auch freiwillig machen würde. Work-Life-Ballance liege ihr fern, tatsächlich hätte sie mehr Work-Work-Ballance. Sie fragt sich, warum sie das macht. Bestimmt sie oder andere ihren Wert über die Arbeit? Muss sie Leistung erbringen, damit andere sie sehen? Sie fühlt, dass die viele Arbeit ihre Person übertüncht, ihr Denken, ihr Selbst. Vor lauter Arbeit findet sie nicht ihr ich. Der Text war sehr nachdenklich und so mancher fühlte sich sicher angesprochen. Die Jury gab ihr sehr verdiente 25 Punkte.
Benjamin Poliaks freier Vortrag war ein Anschlag auf die Aufmerksamkeit. Sein Thema waren Geräusche. Der Düsseldorfer zählte in einem rasenden Tempo auf, was, welche Geräusche macht. Er haute einen Satz an den anderen. Atem holte er nur, indem er eine witzige Einlage brachte. Dann war es auch mal ein Rapp Huhn. Unter all den Aufzählungen war auch die Beschreibung eines Menschenlebens mit seinen Geräuschen von der Geburt mit einem Schrei bis zum Tod mit einem Hauch. Er knallte einem die Sätze um die Ohren und man war erstaunt, wie viele Worte es gibt, um Geräusche zu bezeichnen. Es ging über singen, knarzen, klacken, knallen, klingen, klingeln, schluchzen, schreien. 6 Minuten saß man mit offenem Mund und war nur erstaunt. Seine letzte Aufzählung war der Klang von Applaus. Wunderbar. Die Jury belohnte ihn mit 27 Punkten.
Dann trat Britta Kah aus Wesel auf. Ihr Thema war Jungen und Mädchen, Frau und Mann, heute und vor 10 Jahren. Der Vergleich begann mit der Geburt. Rosa und Hellblau. Schon die Frage, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, ließ sie erstaunen. Warum und wofür ist das wichtig? Warum bekommen Jungen Bücher über das Weltall geschenkt und Mädchen über Frisurenstyling? Sie beleuchtete den Unterschied der Geschlechter. Mit einem Lächeln, aber doch eindringlich. Sexismus und Vorurteile sind heute noch wie vor 10 Jahren. 50 Männer können nicht so viel falsch machen wie eine Frau. Allein wie sie sich kleidet, frisiert, schminkt. Natürlich fängt so was in der Erziehung an und sie appellierte eindringlich, dass Jungen so erzogen werden sollten, dass sie niemanden ungefragt anfassen und Frauen selbstbewusst und sie sollten keine Angst mehr haben müssen, alleine im Dunkeln zu gehen. Die Jury stimmte dem mit 24 Punkten zu.
Als letzter kam Ortwin Bader Iskraut aus Berlin. Sein Thema war der Spoiler bei Netflix. Jemand, der einem den Spaß verdirbt, den Mörder am Anfang eines Krimis verrät oder das Ende eines Films. Er beschrieb seinen Abend, den er sich gemütlich mit Chips auf der Couch machen wollte und einen Film auf Netflix ansehen. Da tauchte plötzlich ein Dämon (Spoiler) auf seiner linken Schulter auf und spoilerte jeden Film. Dieser Spoiler blieb hartnäckig auch an den nächsten Tagen und verdarb ihm jegliche Freude, bis er darauf kam, dass es ein Fluch war. Sein Leben wurde gespoilert, weil er seine Cousine gespoilert hatte nicht mehr an den Weihnachtsmann zu glauben. Sein Leben wurde gespoilert, bis er sich entschuldigte. Eine aberwitzige Geschichte, die vielleicht bei einigen Zuschauern anfangs Irritationen über den Jugendbegriff „spoilern“ auslöste, aber in der Geschichte schnell klar wurde, was damit gemeint war. Die Jury belohnte den Vortrag mit 21 Punkten.
Die zweite Runde
Nach 20 Minuten Pause ging es weiter. Jetzt in umgekehrter Reihenfolge. Ortwin Bader Iskraut machte mit einer Geschichte, die sich „Butter“ nannte, den Anfang. Ganz in seinem Stil war auch diese Geschichte wieder absurd und lustig. Schon die Feststellung, dass er nicht studieren wollte, sondern lieber Lyrik schreiben, brachte ihn zu der Erkenntnis, dass es brotlose Kunst war. Sie brachte nicht die Butter aufs Brot. Diese Feststellung bestärkte sich als er in seinen leeren Kühlschrank schaute und nur ein Stück ranzige Butter fand, die er trotzdem mit Heißhunger aß. Danach fiel er in einen tiefen Traum. Hier hatte er ein Verhältnis mit einer Butter, die eifersüchtig über ihn wachte, dass er kein Verhältnis mit der Lätta begann. Die drohte, aus ihm Streichfett zu machen. Bis er wieder wach wurde war es ein einziges D-rama. Absurd und sehr witzig. Die Jury vergab 25 Punkte.
Britta Kah widmete sich einem sehr ernsten Thema. Sie begann mit „Kopf hoch“, lass dich nicht unterkriegen, sie sprach von sich, doch das Publikum fand sich wieder. Ihre Aufzählung, wie sie stark sein wollte, sich selbst immer wieder dazu ermahnt, wie sie ihre Gefühle immer wieder versucht zu unterdrücken. Ihre Verletztheit nicht zeigen will, den Vorwurf, das Gegenüber habe tiefe Narben hinterlassen, aber trotzdem Kopf hoch. Die Erkenntnis einer toxischen Liebe, einer Abhängigkeit ließ beim Publikum vermuten, es handele sich um eine vergangene Liebe. Umso betroffener und still traf die Aussage am Ende, dass sie von der Mutter sprach. Nach Stille im Raum, brach der Jubel los. Die Jury vergab 26 Punkte.
Benjamin Poliaks eröffnete seinen Vortrag damit, er wolle über den Busfahrer sprechen, aber die Geschichte lief erst einmal völlig anders. Er sprach über die Arroganz der Besserwisser. Zu allem ihren Senf dazu geben. Auf jeder indischen Speisekarte auf den fehlenden Buchstaben hinweisen. Er fragte: „Bist du der Glöckner von Notre Dame, dass du alles an die große Glocke hängst?“ Er erzählte, dass seine Eltern vor 30 Jahren nach Deutschland kamen und ihm eine gute Schulausbildung ermöglichten und er Jura studiert hat. Er war „hungry and angry“. Aber er erzählt auch, dass es hart war, weil er anders gekleidet war, seine Eltern anders sprachen. Deswegen prangerte er an, wenn Unverständnis und Schulmeisterei, ohne zu hinterfragen, von sich gegeben werden. Die Antwort seiner Eltern auf seine Frage, warum sie nach Deutschland gekommen sind, war sehr berührend: „Es ist unsere Pflicht euch die Freiheit nahe zu bringen.“ Das ist für sie wichtig. Sie sind stolz auf ihren Sohn, der Jura studiert hat, aber sie wären auch genauso stolz, wenn er Busfahrer wäre. Die Jury belohnte die Geschichte mit 30 Punkten.
Jana Goller sprach über das Wort. Wann wurde das Wort zum eigenen Wort. Wenn man sprechen lernt bekommt man Worte vorgesetzt, es ist für sie nur „copy & paste“. Später in der Schule und im Leben bildet sich die Sprache mit vielen Worten, Sprache sensibilisiert sich, man kann wortsüchtig werden, Worte drücken vieles aus, sie können verletzen den anderen und sich, sie beschreiben und bringen Dinge nahe. Am Anfang war das Wort. Es war schön ihren Gedanken zu folgen und einfach mal darüber nachzudenken. Die Jury vergab für diesen wortreichen Vortrag 23 Punkte.
Das Finale
Nach zwei wortgewaltigen Runden hatten Britta Kah und Benjamin Poliak die meisten Punkte gesammelt und traten nun noch einmal im Wettstreit um den 1. Platz gegeneinander an. Britta Kah hatte gar nicht mit ihrer Nominierung gerechnet, sie las aus ihrem Heft mit gesammelten Vorträgen die Geschichte „Dä Papa“ vor. Sie blieb ihrem Thema treu und beschrieb die Rollenverteilung von Papa und Mama. Dä Papa wird für ein Minimum an Einsatz gelobt, die Arbeit der Mama wird oft gar nicht beachtet. Sie zählte einiges auf und das Publikum lachte, wenn es sich wieder erkannte. Sie appellierte gegen die veralteten Rollenbilder und sagte: “Wenn wir uns nicht weiterentwickeln, wo kommen wir denn hin?“
Benjamin Poliaks forderte das Publikum noch einmal zu seiner ganzen Konzentration heraus. Harmlos begann er, dass es Begriffe und Sachen gibt, die er nicht versteht und dann begann er mit mit einem Bombardement an Fragen. Wieviel PS hat ein Pferd? Was ist das Gegenteil von Gegenteil? Wie lange bleib ich glücklich? Können Hummeln lieben? Wann bin ich egoistisch, wann denke ich an mich selbst? Sein Fazit: „Es gibt noch so viel zu entdecken, bleib neugierig.“ Nun entschied das Publikum mit seiner Applausstärke und hier gewann knapp Benjamin Poliaks.
Von humorvollen Anekdoten bis hin zu tiefgründigen Gedanken über das Leben – die Vielfalt der Texte war beeindruckend. Die Zuschauer lachten, klatschten und waren sichtlich bewegt von den Darbietungen. Schmidt sorgte dafür, dass jeder Teilnehmer die Unterstützung des Publikums spürte, was die Performances noch intensiver machte. Der Höhepunkt des Abends war der spannende Wettkampf um den Titel des besten Poeten des Abends. Die Zuschauer waren gefordert, ihre Stimmen abzugeben und die Künstler zu unterstützen. Es war ein wahrhaft mitreißendes Erlebnis, das die Kraft der Worte und die Magie des Live-Entertainments feierte.
Am Ende des Abends stand der Sieger fest, doch die wahren Gewinner saßen im Publikum und hatten einen großartigen Abend mit Poetry Slam erlebt. Jeder Abend geht einmal zuende, aber Jan Schmidt versprach, dass es noch viele weitere unvergessliche Abende geben wird. Den nächsten Termin in Erkrath gibt es aber erst am 11. Dezember 2025, dann in der Stadthalle.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar