Das war ‘harter Tobak’

Redaktionskonfernez beim 'Roten Blatt'. Foto: RG

Mit diesen Worten beschrieb Regisseurin Nicola Glück die Proben und Umsetzung des Stücks ‘Grausinn’, dass auf der Erzählung ‘Die Nashörner’ von Eugène Ionesco aus dem Jahr 1957 basiert.

“Das war für uns inhaltlich das schwerste Stück und wir haben schon Goethes Faust aufgeführt”, sagt Nicola Glück zum aktuellen Stück des inklusiven Theaters ‘Mittendrin’, das am Sonntag im Gottesdienst in anderer Gestalt in Hochdahl gastierte. Sie hatte das Wort ergriffen, weil die Zuschauer nach dem Ende des Stücks noch zu sehr in der Handlung gefangen waren, um Fragen zu stellen. Die Erzählung die Nashörner ist eine ‘Antwort’ auf die Nazizeit, auf Diktatoren und Faschismus. Das Grau der Nashörner präsentiert die ‘gleichgeschaltete’ Uniformiertheit der Gruppe. “Es ist unglaublich, wie aktuell das Thema ist.”

Charmant für uns in der Redaktion: Die Hauptakteure des Stücks arbeiten in der Redaktion ‘Das rote Blatt’. Ein wenig zum Inhalt:

Bettina, Jeanette und die ersten Nashörner

In der ersten Szene trifft sich Redakteurin Bettina mit ihrer Freundin Jeanette in einem Café. Jeanette ist leicht verstimmt, weil Bettina wieder einmal zu spät kommt und kritisiert sie nicht nur dafür, sondern auch für ihren ‘zu hohen Alkoholkonsum’. Gerade da trabt das erste Nashorn am Cafè vorbei und so richtig will niemand glauben, was er da gesehen hat. Am Nebentisch sitzen Dr. Wisser und sein Freund der Logiker. Etwas später gesellt sich Daisy zu den beiden. Schließlich trabt ein zweites Nashorn vorbei und eine Diskussion um Nashörnern mit einem oder zwei Hörnern entbrennt, während Charly, die Verkäuferin des Lebensmittelgeschäfts, weinend mit ihrer toten Katze auf dem Arm, das Café betritt. Zertrampelt von einem Nashorn. Begleitet wird sie von ihrem Mann Rudi, der versucht sie zu trösten. Bettina und Jeanette geraten derweil immer heftiger aneinander und Jeanette verlässt verärgert das Café.

Redaktionskonferenz – Soll über die Nashörner berichtet werden?

In der nächsten Szene treffen sich die Redakteure mit der ‘Chefin’ zur Redaktionssitzung. Daisy möchte die Nashörner zum Thema machen, während eine Kollegin die defekten Toiletten in der Redaktion anspricht. Bettina ist wieder einmal zu spät dran, was eine Diskussion mit dem Chef auslöst. Dann geht es wieder um die Nashörner. Ist es ein Thema für die Seite 2 oder eher für die Seite 12? Bettina ist sie dagegen das Thema Nashörner aufzugreifen. “Wir machen seriöse Presse und sind kein Boulevardblatt”, argumentiert sie. “Hast Du gehört, dass Klaus Dieter keine bunten Hemden mehr tragen will”, wird am Rande getuschelt. Klaus Dieter hat sich in ein Nashorn verwandelt. Vom Fenster sehen sie dessen Frau Hilde auf einem Nashorn sitzen. “Nein, das ist ein LKW”, behauptet Bettina. Aber schließlich hören sie, wie das Nashorn die Treppe zur Redaktion abreißt. Sie sitzen in der Falle und die Chefin ruft die Feuerwehr an, damit diese sie aus der Redaktion befreien kann, während in der Diskussion das Thema Nashörner zum Titelthema avanciert. “Schreibt aber nicht, dass das bei uns war”, gibt die Chefin vor, die einiges zu verbergen hat. “Wir müssen das recherchieren? Wie geht es den Menschen in der Stadt mit den vielen Nashörnern?”, brennt Daisy schon für das Thema. Schließlich naht die Feuerwehr zur Rettung und muss einen nach dem anderen über eine wacklige Leiter retten. Hier erweist sich Daisy als besonders ängstlich.

Zwischenspiele: Das DUO2SAM und Erics poetische Texte

Vor Beginn und beim Szenenwechsel untermalt das DUO2SAM die Handlung mit Musik und Texten zur Handlung. Während Wolfgang Hoke seiner Gitarre selbst ‘Marschklänge’ entlockt, ist Birgit Beutler für den Liedteil zuständig, der passend zur Handlung auch mal ein wenig ‘schräg’ wird. Auch sie verwandelt sich dabei zusehends zum ‘Nashorn’ und unterstreicht das mit ‘grau, grau, grau das ist meine …’. Poetische Texte werden auch während der Handlung eingesprochen. Geschrieben von Erik, der selbst als Autist nicht spricht, aber Teil der Handlung ist. Er ist der Logiker.

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Neu entdeckte Liebe

Bettina wartet, nachdem sie über die Feuerwehrleiter gerettet ist, auf ihre ängstliche Kollegin Daisy, die schließlich zittern unten eintrifft. Auf den Schreck gehen die beiden ins Café, wo es dann ‘zur Beruhigung’ einen Pastis gibt und die beiden entdecken ihre Liebe füreinander. “Für mich ist unsere Liebe der größte Überraschungsgast in meinem Leben”, gesteht Bettina. Daisy fragt, was mit Jeanette sei und erfährt, dass diese seit der Schulzeit eine Freundin von Bettina ist. Daisy spricht an, dass Bettina sich entschuldigen sollte und den Streit ins Reine bringen müsse. Mit dem Vorsatz verlassen beide das Café und wollen sich später wieder treffen.

Das Lebensmittelgeschäft und Bettinas Besuch bei Jeanette

Derweil haben sich die Produkte im Lebensmittelgeschäft von Charly und Rudi immer mehr verändert. Es gibt graue Brötchen, Nashorn-Creme und -Shampoo, graue Mäntel und ‘Nashon-Geist’. Jeanette deckt sich ein und bittet Rudi ihr die Dinge nach Hause zu liefern. Derweil ist auch Bettina erst einmal zu Hause eingetroffen und wartet ebenfalls auf eine Lieferung von Rudi. Als er eintrifft, wundert sie sich über den Inhalt der Tüte, lauter Artikel, die sie nicht bestellt hat. Schließlich stellt sie fest, dass es Jeanettes Tüte ist und erklärt sich bereit, ihr diese mitzunehmen.

Bettina findet Jeanette ‘krank’ vor und wundert sich. Während sie versucht sich zu entschuldigen stellt sie nicht nur ein merkwürdiges Verhalten an Jeanette fest, auch ihr Aussehen verändert sich zusehends … Als sie zu Jeanette sagt “Klaus-Dieter ist zu einem Nashorn geworden” antwortet ihr diese “Dann ist er jetzt glücklich”. Jeanette sagt, er könne sich jetzt endlich durchsetzen. “Die Moral muss überwunden werden.” Bettina verteidigt die menschlichen Werte. Schließlich verlässt sie die Wohnung von Jeanette, um sich mit Daisy zu treffen. “Ich glaube, ich habe meine Freundin verloren”, sagt Bettina zu Daisy, die wissen will, was geschehen ist. “Daisy, wir müssen hier weg. Irgendwo hin, wo keine Nashörner sind.” In diesem Moment marschieren die Nashörner an den beiden vorbei. Daisy hört ihr nicht mehr zu und schließt sich den Nashörnern an. Bettina bleibt zurück. Sie bleibt standhaft.

Das Stück endet mit einem Text von Eric, der beschreibt, dass das Nashorn eine Fiktion ist, die Menschen Angst vor neuen Wegen haben. Corona ist ein Nashorn. Der Krieg ist ein Nashorn.

Das inklusive Theater ‘Mittendrin’

Nicola Glück hatte nach dem Stück gesagt, es sei das bisher schwerste Stück gewesen. Erarbeitet hat es sich die Gruppe mitten in der Pandemie, oftmals via Zoom, weil reale Proben nicht möglich waren. Das Ergebnis ließ die Zuschauer nach dem Applaus erst einmal sprachlos zurück, sodass zuerst Nicola Glück und die Schauspieler zu Wort kamen. Die freuten sich darüber, dass sie Karin Färber aus der Gemeinde als ‘Mitspielerin’ gewonnen hatten und hofften, dass sie der Theatergruppe treu bleibt. Damian ‘rührte die Werbetrommel’ und sagte den Gemeindemitgliedern und Gästen, dass noch Mitspieler gesucht werden.

“Es ist unsere innerste Chemie, dass alle gleich viel wert sind und alle gleichberechtigt entscheiden”, beschreibt Nicola Glück, was die Theatergruppe ausmacht. Karin Färber beschreibt die Proben und Aufführungen für sich als ‘bewusstseinserweiternd’. “Man geht in der Gruppe sehr vorsichtig miteinander um.” Vorsichtig äußerten sich dann nach und nach einige Zuschauer über Inhalte und Botschaften des Stücks. “Das muss man auch aushalten. Das Selbstbewusstsein haben ‘bunt’ zu sein und sich gegen graue Uniformiertheit zu wehren. Wenn jemand bunt sein möchte, darf er nicht aus Bequemlichkeit grau werden”, heißt es unter anderem aus dem Publikum. “Ich fand spannend, dass Daisy viel Angst hat und mitläuft, um weniger ängstlich zu sein”, sagt Karin Färber zu ihrer Rolle.

Spannend ist auch die Entstehung der Musik zum Stück. “Wir kommen immer erst in der Endphase dazu, wenn das Textbuch vorliegt”, sagt Birgit Beutler. Bei diesem Stück hatte Nicola dazu gesagt, sie bräuchten Propaganda und leichte Marschmusik. “Ich habe noch nie in meinem Leben einen Marsch gespielt und ich habe auch noch nie Udo Jürgens gespielt”, verriet Wolfgang Hocke. Was die beiden am Ende aber aus diesen Vorgaben gemacht haben, war die perfekte Ergänzung zum Stück.

Die ‘innerste Chemie’, die Nicola Glück als wesentlich für die Theatergruppe Miteinander beschrieb, war spürbar. Erik, der als Autist nicht spricht, kommt mit seinen geschriebenen Texten über die Stimme eines anderen zu Wort. Damian, Julian und Jacqueline (Downsyndrom) habe für sich die perfekten Rollen gewählt und in der anschließenden Gesprächsrunde selbstbewusst erzählt. Regieassistentin Hilal hat ihre Aufgabe im Hintergrund beschrieben und von Nicola Glück das Kompliment erhalten: “Ich kenne keine, die schneller schreibt als Hilal, sie schreibt die Texte mit, wenn wir das Stück erarbeiten.” ‘Eriks Stimme’ ist übrigens die, von Nicola Glücks Mann Rolf A. Schneider und Eriks Assistenz im Leben, Tanja Bußmann, ist ganz automatisch auch Teil der Theatergruppe. Noch ein wenig mehr über das Stück und die Schauspieler, zu denen neben Karin Färber auch Gudrun Weyer, Marion Jurican und Helma Schwenzer gehören, und alle anderen Beteiligten, ist dem unten eingefügten Teil des Programmhefts zu entnehmen.

Das inklusive Theater ‘Mittendrin’ ist ein Projekt der mebus kormann stiftung. Die künstlerische Leitung hat Regisseurin Nicola Glück, für die es ‘ihr Herzensprojekt’ ist.

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