Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke.

von Timo Kremerius

Ach diese Lücke. Foto: © Altonaer Theater

Die Lücke zeigte sich leider auch in den Zuschauerreihen der Stadthalle.

Am Mittwoch, dem 22. Februar war das Altonaer Theater mit dem Schauspiel „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ in der Stadthalle zu Gast. Also nach den himmlischen Zeiten, mal wieder was Ernstes. Das Schauspiel erzählt die Geschichte von Joachim, der auszog, Schauspieler zu werden – und bei den Großeltern einzieht:

Joachim erlebt seine Kindheit auf dem Gelände einer riesigen Psychiatrie und absolvierte als Schüler in Amerika ein Austauschjahr. Als er die Schulzeit beendet hat wird er vor dem Antritt des Zivildienstes auf der Otto Falckenberg Schauspielschule in München angenommen. Er zieht zu seinen Großeltern in die großbürgerliche Villa in Nymphenburg und wird zum Wanderer zwischen den Welten. Seine Großmutter eine ehemalige Schauspielerin und schillernde Diva, so wie sein Großvater ein emeritierter Philosophieprofessor und strenge und ehrwürdige Erscheinung bestimmten Joachims Tage durch abenteuerliche Rituale, bei denen Alkohol eine wesentliche Rolle spielt. Tagsüber wird Joachim an der Schauspielschule systematisch in seine Einzelteile zerlegt, abends ertränkt er seine Verwirrung auf dem opulenten Sofa in Rotwein und anderen Getränken. Aus dem Kontrast zwischen großelterlichem Irrsinn und ausbildungsbedingtem Ich-Zerfall entstehen die den Erzähler völlig überfordernden Ereignisse – und gleichzeitig entgeht ihm nicht, dass auch die Großeltern gegen eine große Leere ankämpfen, während er auf der Bühne sein Innerstes nach außen kehren soll und dabei oft grandios versagt.

Joachim Meyerhoff hat in seinem dritten Roman die Kunst, Komik und Tragik miteinander zu verbinden, noch verfeinert. Sein Held nimmt sich und seine Umwelt immer genauer wahr und erkennt überall Risse, Sprünge und Lücken. Man muss dazu sagen, dass es sich um eine Autobiographie handelt.

Ach diese Lücke. Foto: © Altonaer Theater

Spärlich gefüllte Stadthalle

Mit knapp über 230 Zuschauer war die Stadthalle sehr dürftig besucht. Wie das Stück auch sagt, war der Zustand in der Stadthalle nicht entsetzlich, hatte aber doch Lücken …

Zum Stück kann man anmerken, dass es sich um ‘schwere Kost’ handelte, die nicht jedem schmeckt. Das konnte man daran erkennen, dass sich zur Pause die entsetzliche Lücke erkennbar vergrößerte, da viele Zuschauer die Stadthalle verließen. Ihnen hatte sich nicht erschlossen, was mit diesem Stück vermittelt werden sollte. Ein Programmheft des Tourneetheaters hätte das ändern können. Vielleicht hätte der ein oder andere den Sinn des Stückes, bei dem es sich um ein autobiographisches Stück von Joachim Meyerhoff handelt, verstanden. Letztendlich musste auch ich mich im Nachhinein in die Thematik einlesen. Der Titel von Meyerhoffs autobiografischem Roman und des Stücks ist Teil eines Zitats aus Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werthers“.

„Ach diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle! – Ich denke oft, wenn du sie nur einmal, nur einmal an dieses Herz drücken könntest, diese ganze Lücke würde ausgefüllt sein.”
Der Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe erschien 1774 in einer ersten Fassung. Protagonist ist Werther, ein junger Mann, der in der bereits verlobten Lotte die Verkörperung seiner Ideale sieht. Werther verliert sich in einer schwärmerischen und hoffnungslosen Liebe, die ihn in den Selbstmord treibt. Quelle: Die Leiden des jungen Werther • Zusammenfassung auf Inhaltsangabe.de
https://www.inhaltsangabe.de/goethe/werther/

Mit diesen Informationen hätten die Zuschauer zu mindestens ansatzweise verstanden, warum der Hauptdarsteller am Anfang des Stückes auf die Bühne kam und seinen Selbstmord simulierte. Im weiteren Verlauf des Stückes durchlebte der Schauspieler Joachim das Leben seines Autors Joachim Meyerhoff. Durch die Zugehörigkeit zur Schauspielschule in München, einer Ansammlung sonderbarer Schauspielschüler und Ausbilder sowie die Unterbringung bei seinen Großeltern, zwei äußerst verstörten, alkoholabhängige Senioren, konnte man bezweifeln, dass sein psychischer Zustand sich zum Besseren wandelte.

Obszönitäten, die bei vielen Erkrathern nicht ankamen

In einer Szene des Stückes liefen die Schauspielschüler, animiert von einem Ausbilder, mit überdimensionierten Geschlechtsteilen onanierend und Geilheit simulierend über die Bühne. Um eventuelle Absonderheiten einer Schauspielschule zu demonstrieren hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben. Für die älteren Theaterzuschauer war es nur peinlich. Auch ich bin keine Spaßbremse, aber es war einfach daneben und unnötig Zustände zu beschreiben.

Diese ganzen Eindrücke verschlechterten Joachims Geisteszustand zum Negativen und vermittelten dem Zuschauer, die den Sinn des Stückes verstanden, dass er ein ewiger Looser ist. Im Nachhinein war Joachims Leben ein einziger Alptraum. Auch bedingt durch den Tod des Bruders in seiner Kinderzeit. Beginnend mit seiner Jugendzeit über die Schauspielschule bis zu seinen Großeltern. Allerdings im Gegensatz zu dem jungen Werther begeht Joachim keinen Selbstmord und arrangiert sich mit der Situation. Ironischerweise wird ihm als erstes Engagement eine Stelle in Schleswig, dem Ort seiner Jugend, angeboten.

Um nicht Gefahr zu laufen der Einzige zu sein der nichts verstanden hat, habe ich während der Pause Zuschauer nach ihren Eindrücken gefragt. Ich fühlte mich bestätigt, auch anderen erschloss sich das Stück nicht wirklich. Die Zuschauer, die in der Pause das Theater verließen, bestätigten den Eindruck zusätzlich.

Festzustellen ist, dass die Schauspieler und auch der Musiker einen exzellenten Job ablieferten, welcher die negativen Punkte ein wenig in den Hintergrund rücken ließ.

Persönlicher Kommentar des Autors: Ich werde nie müde zu wiederholen, dass es in Erkrath im Gegensatz zu anderen kreisangehörigen Städten noch Kunst in Form von Theater und Kabarett gibt. Liebe Erkrather, setzt dieses Zuckerstückchen doch bitte nicht aufs Spiel. Angesichts der Tatsache, dass schon Beratungsfirmen auch beim Kulturangebot durchaus Sparpotential für den städtischen Haushalt sehen und nicht jeder Kommunalpolitiker das Kulturangebot in dieser Stadt zu würdigen weiß, wäre es schön, wenn wir gemeinsam zeigen, dass uns dieses Kulturangebot wichtig ist.

„Kulturpause‘‘ im Foyer der Stadthalle

Für diese Theaterveranstaltung hat sich zum Bedauern des Fördervereins MS-Treff Erkrath e.V. kein Künstler angemeldet. Der Förderverein hofft auf regen Zuspruch für die nächsten Veranstaltungen.

Demnächst: Am Mittwoch, dem 10. März 2023 präsentiert das Popkabarett ‘Alte Mädchen’ sein Programm „Aufgetaucht“ in der Stadthalle Erkrath. Die Abteilung Kultur der Stadt verschickt die Karten auch kostenfrei nach Hause. Telefon 0211 240740 09.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*