Willkommen in Schilda am Neuenhausplatz

von Ria Garcia

Die aufgemalten Abstandsbegrenzungen lassen so gut wie keinen Raum mehr für Fußgänger. Foto: privat

Anwohner und Ladenbetreiber am Neuenhausplatz haben in der letzten Woche nicht schlecht gestaunt. Arbeiter malten gelbe Rechtecke vor Hauseingängen und auf Gehwegen auf. Neue Parkplätze für die Postfiliale? Weit gefehlt.

Da sind sie nun: viele neu aufgemalte gelbe Rechtecke. Einige umrahmen Haus- oder Ladeneingänge, andere scheinen einen Fußgängerdurchgang auf einen schmalen Spalt zu begrenzen. Was bedeuten sie? Eine Anwohnerin machte uns darauf aufmerksam. Eine Information, wer diese ‘Malerarbeiten’ beauftragt hatte und was sie bedeuten, hatte sie als Anwohnerin nicht erhalten. “Wir wissen nicht einmal, ob das jetzt von städtischer Seite veranlasst ist oder ob die Hausverwaltung den Auftrag gegeben hat. Die Rechtecke sind um die am Haus befindlichen Blitzableiter angebracht worden. Zusätzlich wurde ein Schild angebracht, dass auf Lebensgefahr hinweist. Man solle 3 Meter Abstand halten”, berichtet sie uns. Nur: Wenn Passanten und Anwohner das neue Schild und die Begrenzung ernst nehmen, dürften sie einige Haus- und Ladeneingänge überhaupt nicht mehr betreten. “Neu sind nur die Schilder und die Begrenzungen, die Blitzableiter am Haus sind hier schon solange ich hier wohne”, weiß sie und fragte sich nach den Hintergründen. Sie hat vor dem Wochenende einmal Passanten mit den Worten ‘Sie dürfen hier nicht durchgehen’ angesprochen, um die Reaktionen einzufangen. Die meisten hatten sich zwar über die gelben Rechtecke gewundert, dass dahinter auf der Hauswand, oberhalb des Blitzableiters, angebrachte Schild hatte jedoch keiner von ihnen registriert. “Die Passanten hatten dafür nur ein Kopfschütteln übrig”, erzählt sie uns von den Reaktionen.

Wir haben Fußpflegerin Sabine Müller gefragt, die ihre Praxis am Neuenhausplatz hat. “Das wurde vorher überhaupt nicht kommuniziert. Auch das Schild ist relativ neu. Das ist mir allerdings erst wirklich aufgefallen, als die Arbeiter hier morgens meinen Werbeaufsteller beiseite stellten und mit dem anbringen der Begrenzungslinien begannen”, erzählt sie uns. Mit der ebenfalls am Neuenhausplatz ansässigen Friseurin witzelte sie noch: “Jetzt hat die Post einen neuen Parkplatz.” Sie resümiert: “Das ist so ein typischer Schildbürgerstreich.”

Aber was hat es denn nun mit den neuen Schildern und Begrenzungen auf sich?

Zuerst einmal haben wir recherchiert, welche Verordnungen es zu Blitzableitern, die im Sinne der Erdung an Häusern angebracht sind, gibt. Das war nicht ganz so einfach, aber dann stießen wir auf einen Artikel aus dem Jahr 2008 auf der Homepage des VDE (VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.). Dort ist nachzulesen, dass unter bestimmten Bedingungen die Annäherung an die Ableitung des Blitzschutzsystems lebensgefährlich sein kann. Die Gefahr sei auf ein annehmbares Maß verringert, wenn folgende Bedingungen erfüllt seien:

  • Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Personen nähern oder lange nahe der Ableitungen aufhalten, ist gering.
  • Der spezifische Widerstand der Oberflächenschicht des Erdbodens im Umkreis von 3 m um die Ableitung ist nicht geringer als 5 kOhm m.

Dort fanden wir zum ersten Mal den Hinweis auf die 3 Meter. Offensichtlich sind die oben genannten Bedingungen am Neuenhausplatz nicht erfüllt, weshalb man nun ‘Schutzmaßnahmen’ ergriffen hat. Die sind im oben zitierten Artikel ebenfalls erwähnt:

Foto: privat
  • Ummantelung der freiliegende Ableitung mit einer Isolierung – Eine Schicht Isolierstoff, z. B. Asphalt mit 5 cm Dicke (oder eine Schicht Kies mit 15 cm Dicke), reduziert im Allgemeinen die Gefahr auf ein annehmbares Maß.
  • Absperrungen und/oder Warnhinweise

Am Neuenhausplatz hat man die zweite Variante gewählt, bei der allerdings der Hinweis ‘bei Gewitter’ fehlt, sodass Anwohner und Passanten – sofern sie das angebrachte Schild überhaupt lesen – annehmen müssen, dass immer Lebensgefahr besteht und dieser Abstand einzuhalten ist. Das würde bedeuten, dass einige Fußwege, aber vor allem Haus- und Ladeneingänge nicht mehr betreten werden können.

Der oben zitierte Artikel auf der Homepage des VDE bezieht sich auf ein Toilettenhäuschen an einer Autobahnraststätte. Dort wäre die Alternative ‘ins Gebüsch hocken’ oder ‘einhalten bis zur nächsten Raststätte’. Was aber ist die Alternative zur eigenen Wohnung?

Nachgefragt

Wir haben für Anwohner und Passanten bei Ingo Hempe, Objektbetreuer und Gebäudetechniker in der zuständigen Hausverwaltung Sapientis, nachgefragt, was es mit den Schildern und Begrenzungen auf sich hat. “Das hat die Blitzschutzfirma vorsorglich angeregt. Da sich unterhalb eine Tiefgarage befindet, wird der Blitz über die Erdung im Boden nicht senkrecht nach unten geleitet. Stattdessen verteilt sich in der Bodenfläche. Die Beschilderung und Flächenkennzeichnung ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Gefahr besteht für Bewohner und Passanten nicht. Sie sollten sich bei Gewitter nur nicht längere Zeit in der Nähe der Blitzableiter aufhalten”, erklärt er. Darauf hingewiesen, dass auf den Schildern oberhalb der Blitzableiter der Hinweis ‘Bei Gewitter’ fehle, antwortete er: “Wir setzen voraus, dass jedem klar ist, dass das für den Fall eines Gewitters gilt, wenn das Schild über einem Blitzableiter angebracht ist.”

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