Dank der Förderung durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und dem Verein „Erkrath Initial“ ist die Stadtbücherei im Bürgerhaus einer von 30 Orten in NRW, an denen gehörlose und schwerhörige Menschen acht Stücke in einer als „Visual Vernacular“ bezeichneten Gebärdensprache, vergleichbar der Kunstform Pantomime, auf einem Monitor genießen können.
Anne Heimannsberg-Schmidt, Leiterin der Stadtbücherei, hatte mit Unterstützung von Katja Fellenberg, Erkraths ehrenamtlich tätiger Behinderten-Beauftragten, das Projekt mit Namen „Gebärdenspiel“ in die Bücherei im Bürgerhaus holen können, um auch dieser Zielgruppe ein spezielles Angebot offerieren zu können. In der letzten Woche kamen sowohl der Initiator und Produzent, Kai Fobbe, als auch Bürgermeister Christoph Schultz zum offiziellen Startpunkt des Projekts in den Büchereistandort.
Gedichte, Mohnkuchen-Rezept und drei Stücke von Rafael-Evitan Grombelka
Noch bis Oktober können Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen und Gehörlose, aber auch Menschen ohne Einschränkung in Sachen Hören, acht verschiedene Stücke auf dem extra dafür im Erdgeschoss in der Nähe der zu nutzenden PCs aufgestellten Monitor erleben. Drei Beiträge verfasste der gehörlose Darsteller Rafael-Evian Grombelka, der auch mit seinen Stücken auftritt, selbst. Außerdem gebärdet Grombelka in dem so genannten „Motionartfilm“ verschiedene Gedichte der Weltliteratur sowie auch ein Mohnkuchen-Rezept.
Dieser Beitrag wie auch die Idee für das Projekt selbst stammt von Kai Fobbe, der das Projekt auch produzierte. „Ich bin erstmals mit der Gebärdensprache in Kontakt gekommen, als ich einen Tänzer gebärden sah, der dies für seinen gehörlosen Freund bei einer Aufführung im Tanztheater von Pina Bausch in Wuppertal tat“, erzählte Kai Fobbe, der an der Musikhochschule Köln, Abteilung Wuppertal, Gitarre und Kompositionslehre studierte, für Filme und Fernsehen komponiert sowie als Installationskünstler unterwegs ist.
Er bekam den Kontakt zu seinem Darsteller Grombelka durch seine Bekannte Silke Heuser, die als Dolmetscherin für Gebärdensprache u. a. die Nachrichtensendung beim Fernsehsender Phoenix gebärdet. Sie hatte Grombelka als Künstler in der Gebärdensprache „Visual Vernacular“ erlebt und ihn Fobbe empfohlen. Diese Kunstform könnte man mit „dem Poetry Slam in der Welt der Hörenden“ vergleichen, wie Kai Fobbe den Anwesenden erläuterte. „Es ist eine völlig andere Ausdrucksform, die viel mit Pantomime gemein hat, und hat nicht etwa die Gebärdensprache ist, die zur Kommunikation von Gehörlosen sonst benutzt wird.“
Gebärdensprache ist nicht international gültig und anderes Wissenswertes
Im Laufe des Termins hatte Kai Fobbe noch weitere Informationen und Wissenswertes für Bürgermeister, aber auch Behindertenbeauftragte und Leiterin der Bücherei sowie Ulrike Berger vom Förderkreis der Stadtbücherei. Auch die Tatsache, dass es keine allgemein gültige Gebärdensprache gibt, sondern die Gebärden für die verschiedenen Worte in jedem Land verschieden sind, war den Meisten neu. „Es ist auch so, dass Menschen, die die Gebärdensprache beherrschen, nicht automatisch auch Bücher lesen könnten. Die Gebärden sind nicht eins zu eins zu übersetzen. Lesen muss zusätzlich zu der Gebärdensprache erlernt werden“, ließ Fobbe die Anwesenden wissen.
Daher freute sich Anne Heimannsberg-Schmidt laut eigenen Angaben, dass sie mit dem Projekt „Ein Gebärdenspiel“ nun auch dieser Bevölkerungsgruppe ein spezielles Angebot machen kann. „Wir haben einige gehörlose Leser in der Bücherei, mit denen ich mich mit Zettel und Stift verständige“, so die Leiterin der Bücherei, die mit ihrem Team auch Literatur zu Gebärdensprache und anderen für Gehörlose Menschen und die, die sich über diese Art der Einschränkung informieren möchten, zusammengestellt hat.
Wie auch die Leiterin der Bücherei sieht Katja Fellenberg nicht allein Erkratherinnen und Erkrather mit dieser Einschränkung als Zielgruppe für dieses Projekt. „Ich muss zugeben, dass ich mich als ehrenamtlich tätige Ansprechpartnerin für Menschen mit Beeinträchtigung bisher mit dem Thema Gehörlos oder schwerhörig noch nicht so intensiv auseinandergesetzt habe“, so Fellenberg, die aber begeistert erzählt, dass sie nach kurzer „Ratlosigkeit“ immer faszinierter der Darstellung von Rafael-Evitan Grombelka gefolgt sei. „Da es wirklich an Pantomime erinnert, konnte ich im Groben folgen, zumindest, als das Kuchenrezept an der Reihe war.“
Fellenberg wusste zu berichten, dass es kein statistisches Cluster gebe, aus dem hervorginge, wie viele Gehörlose in Erkrath leben. „Es gibt keine spezielle Kennzeichnung mit einer Buchstaben-Kombination auf den Behindertenausweisen wie z. B. bei Mobilitätseingeschränkten Menschen, über die man statistische Werte erheben kann. Daher gibt es auch keine Möglichkeit der Auswertung“, so Katja Fellenberg.
Inklusion: „Nicht über, sondern mit Betroffenen reden, was sie brauchen.“
Diesen Satz sagte im Verlauf der Eröffnung Kai Fobbe auf die Frage, warum er als Hörender eine Produktion für gehörlose Menschen realisierte. „Ich wollte die Menschen mit dieser Einschränkung in der Gesellschaft einfach sichtbar machen. Im Übrigen sprechen doch auch hörende Menschen mit Gebärden und benutzen Zeichen, um etwas nonverbal zu vermitteln, im Alltag eigentlich ständig. Dies ist also ein inklusives Projekt, dass für Gehörlose und Hörende gleichermaßen einen Mehrwert darstellt“, so Fobbe, der frei heraus zugibt, die Gebärdensprache nicht zu beherrschen. „Dies ist für meine Arbeit aber auch gar nicht entscheidend, solange ich zusammen mit denen, für die unsere ‚Motionartfilme‘ hauptsächlich produziert wurden, spreche, was sie benötigen und was sie gern hätten.“
An diesem Punkt setzte auch Bürgermeister Schultz an: „Ich finde es großartig, dass hier in der Stadtbücherei, die nicht nur ein Literatur-, sondern auch ein Ort des Zusammenkommens und Erlebens ist, nun auch ein Angebot für Bürgerinnen und Bürger mit einer Einschränkung beim Hören gemacht wird“, so Schultz, der das Engagement des Bücherei-Teams lobte, das hier einen Ort geschaffen habe, der „nicht nur“ für Lesende einen Mehrwert biete.
Info: „Ein Gebärdenspiel“ – der Motionsartfilm in der Gebärdensprache „Visual Vernacular“ ist noch bis Ende Oktober während der Öffnungszeiten der Stadtbücherei im Bürgerhaus zu sehen, Sedentaler Str. 105 in Hochdahl, siehe: https://www.erkrath.de/stadtbuecherei.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar