Späte Verabschiedung einer Visionärin

Bei der späten Verabschiedung von Nora Baumgarten 'menschelte' es in vielen Reden. Foto: Ria Garcia

Keine Blumen! Damit begann eine der Festreden. Jede Menge bunter Blumensträuße gab es für Nora Baumgarten, die sehr viele Menschen vor ihrem Ruhestand als Norbert Baumgarten kannten, zur Verabschiedung natürlich dennoch.

Viele Wegbegleiter waren der Einladung gefolgt, zu der der SKFM im Namen von Nora Baumgarten eingeladen hatte. Das Café 28 hatte zu diesem Anlass am gestrigen Freitag für Besucher etwas früher als gewohnt geschlossen. Nachdem Nora Baumgarten jeden ankommenden Gast an der Türe persönlich begrüßt hatte, übernahm als erster SKFM Vorstand Michael Inden das Wort. Nora, die als Norbert Baumgarten ein halbes Jahr nach dem Umzug ins Forum Sandheide erst krankheitsbedingt aus dem Dienst ausschied und dann übergangslos in den Ruhestand wechselte, ist vor allem als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit in Erinnerung. „Du warst nicht immer ein Gesprächspartner der beliebt war“, ließ Inden den Blick zurück schweifen und erinnerte an vieles, was unter dem Geschäftsführer Norbert Baumgarten umgesetzt wurde. Oft waren es Leuchttürme, wie Zündstoff für Schulverweigerer. Das größte darunter ist aber wohl das Forum Sandheide.

SKFM Erkrath Vorstand Michael Inden | Foto: RG

„Was für eine Utopie verschiedene Vereine unter einem Dach. Dafür hattest Du Mitstreiter, die jetzt vielleicht von oben zusehen“, erinnerte Inden auch an Bruno Witthoff (†) und Manfred Wege (†). Als Geschäftsführer des SKFM habe Norbert Baumgarten immer wieder gekämpft, wenn es hieß, das Projekte nicht weiter finanziert werden können. „Bin ich froh, dass ich nicht Bürgermeister war.“ Schließlich dankte er ihm für die 35 Jahre im SKFM. „Danke für Deinen Einsatz, Deine Visionen, Deine Tatkraft, Deine Menschlichkeit.“ Die Blumen überreichte Michael Inden dann Barbara Baumgarten mit den Worten: „Du hast uns Deinen Mann, jetzt Deine Frau, 35 Jahre überlassen und er kannte keinen Feierabend.“ Für Nora gab es ein Buch, dass sie sich gewünscht hatte. „Für die Umsetzung haben wir noch etwas in die Karte gesteckt.“

Bürgermeister Christoph Schultz | Foto: RG

Bürgermeister Christoph Schultz löste ihn am Rednerpult ab und stellte mit einem Blick in die Runde fest, dass aus der Politik die Fraktionsvorsitzenden, Michael Pfleging aus der Verwaltung und viele Ehrenamtlichen gekommen waren. „Ich bin gekommen, um zu sehen, dass Sie nicht wirklich weg sind“, erklärte er seine Motivation der Einladung zu folgen und löste Gelächter aus. „Sie haben nicht nur den Finger in die Wunde gelegt, Sie haben auch noch Salz reingestreut“, griff er Worte seines Vorredners auf. Es sei nicht immer leicht gewesen, aber inzwischen habe auch er „Frieden mit der Sozialen Stadt Sandheide“, von der das Forum Sandheide ein Teil ist, geschlossen. „Wir erwarten, dass das Geld, das wir hier ausgegeben haben, auch gut genutzt wird.“ Für den (Un-)Ruhestand wünsche er Nora Baumgarten zuzulassen, dass das Leben nicht nur Kampf ist, wünschte Ihr mehr Gelassenheit und versicherte, dass er sich und sie nie als Feinde gesehen hätte, dass Vieles in der Kommune so schwierig sei, weil Land und Bund immer mehr aufbürden, es aber nicht ausreichend finanzieren. Zum Abschied überreichte er dann einen bunten Blumenstrauß.

Dr. Klaus Wiener
(MdB) | Foto: RG

Dann sprach Bundestagsabgeordneter Dr. Klaus Wiener, der die Patenschaft für das Projekt Zündstoff von seiner Vorgängerin Michaela Noll übernommen hatte, ein paar Worte. Er betonte, dass Zündstoff ein gutes Projekt sei und es Perspektiven für junge Menschen geben müsse. Das Projekt wolle er weiter begleiten, auch wenn nun vielleicht nicht die „sieben fetten Jahre“ anstünden und vielleicht die „sieben mageren Jahre“ dran seien. Man müsse sich fragen, wie man mit weniger die besten Ergebnisse erreiche. Nora Baumgarten wünschte er alles Gute. „Die Blumen werden nachgeschickt“, entschuldigte er, dass er es aufgrund seiner Termine nicht geschafft hatte, persönlich welche mitzubringen.

Ausgewählte Worte der Belegschaft

Andrea Bleichert | Foto: RG

Andrea Bleichert übernahm die Rede im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SKFM. „Am besten, Sie nehmen sich schon einmal Kaffee und Getränke“, witzelte sie zu Beginn, dass das jetzt etwas länger werden könnte. Sie erklärte, wie wichtig es ihnen allen gewesen sei, diesen Abschied gemeinsam zu begehen. Sie habe alle gebeten ein paar Sätze und Wünsche beizusteuern. Daraus habe sie dann die Rede zusammengestellt, aus der „die Wertschätzung deutlich wird, die Dir von allen Kolleginnen und Kollegen des SKFM Erkrath entgegengebracht wird“. Und die Wertschätzung wurde dann auch an jeder Stelle deutlich. „Nora, Du bist eine unglaublich engagierte Persönlichkeit mit einer klaren Haltung, die für ihre Themen brennt. Dein unermütlicher Einsatz für Soziale Gerechtigkeit, die Menschen, die Familien dieser Stadt, insbesondere für die, die das Leben nicht geküsst hat, aber auch fü rdie Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz hat uns alle inspriert, uns manchmal aber auch schwer gefordert. Und ich denke nicht nur uns …“ Nora sei ihrer Zeit und der anderer oftmals einen Schritt voraus gewesen, habe schon Lösungen gesucht, wo alle anderen vielleicht noch gar kein Problem gesehen hätten oder zumindest nicht in der Deutlichkeit, wie Nora es schon abschätzen konnte. „Nora hat die Fähigkeit mehr als die berühmten 10-25 % ihres Gehirns zu nutzen.“

Foto: RG

Ein paar Zitate der Kollegen griff Andrea Bleichert im Wortlaut auf. „Und das ist es vielleicht letztlich, was ihre Persönlichkeit für mich ausmacht: Überzeugt, konsequent und auch etwas kompromisslos für die eigenen Überzeugungen eintreten. Besonders freut mich, dass sie es jetzt auch für ihre ganz persönliche private Überzeugung geschafft hat.“ […] „Besonders beeindruckt hat mich ihr Mut, diese persönliche Veränderung zu vollziehen und dabei hier in Erkrath präsent zu bleiben.“ […] „Ansonsten bewundere ich die Entscheidung sich zu outen gerade im katholischen Umfeld.“ […] „An Nora habe ich den Sinn für die soziale Gerechtigkeit sehr geschätzt. Ich weiß nicht, ob ich das immer besonders geschätzt habe, aber ihre Sturheit war bewundernswert.“ Small Talk sei nie seins jetzt ihrs gewesen. „Verlorene Zeit.“ Für die Kolleginnen und Kollegen wäre der Small Talk manchmal wichtig gewesen, denn über ihn finde man auch zu einem vertrauensvollen Konsenz. Sie selbst habe dennoch immer das Gefühl des vertrauensvollen Miteinanders gehabt. Sie erinnerte an das Ritual, das schon legendär sei, wenn sie über den Flur brüllte „Hallo Chef“ und er immer „Hey Große Meisterin“ geantwortet habe. Andrea Bleichert dankte Nora Baumgarten im Namen der ganzen Belegschaft herzlich und schloß ihre Rede mit dem Gelassenheitsgebet:

Gott gebe mir die Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut Dinge zu ändern, die ich ändern kan und die Weisheit das eine vom anderen zu unterscheiden. Gott gebe mir die Geduld mit Veränderungen, die ihre Zeit brauchen und Wertschätzung für alles, was ich habe.

„Keine Blumen!“

Andreas Sellner | Foto: RG

Mit dieser Feststellung begann Andreas Sellner, Leiter der Abteilung Gefähr­detenhilfe beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln, seine Rede. Man hätte ihn wissen lassen, dass es der besondere Wunsch von Nora Baumgarten gewesen sei, dass er an diesem Tag dabei sei. „Ich komme gerne hierher.“ Er erinnere sich an die Sturheit, an das nachhaltig bohrende und an viele, viele Telefonate. „Herr Baumgarten ist am Telefon. Haben Sie Zeit“, habe seine Sekretärin oft aus dem Nebenzimmer gerufen. „Wenn es um Geld ging, haben Sie sich an die Spitze gekämpft“, richtete er seine Worte an Nora Baumgarten. Er hätte dann oft von der Spitze den dezenten Hinweis erhalten „das abzubiegen“. Am Ende hätte man dann doch Wege gefunden. „Was mich gewundert hat, dass Sie sich wünscht, dass ich dabei bin. Nora Baumgarten kenne ich nicht“, plaudert er munter darüber, was er dachte, als er die Einladung erhielt. Erst am Abend vorher hätte er von der einzigen, die offensichtlich im Caritas Diözesanverband davon wusste, erfahren, dass Nora Baumgarten vorher Norbert Baumgarten war. Deshalb habe er sich entschieden keine Blumen mitzubringen, sondern Mumm und hielt die Flasche hoch. „Ich habe noch nie mit einem Mann angefangen und ihn dann als Frau verabschiedet. Ich finde das ganz toll. Mumm wünsche ich Dir.“

„Nora, Du stehst jetzt zwischen dem Kaffee“, machte Michael Inden humorvoll darauf aufmerksam, dass Nora Baumgartens eigene Worte vielleicht nicht ganz so lange ausfallen sollten, was sie beherzt umsetzte. Ein Chinesisches Sprichtwort besage: Ein Geschäft aufmachen ist eine Seite, ein Geschäft offen halten eine andere Seite. In kurzer Zusammenfassung ging sie auf ihren eigenen Weg ein, vergass nicht dankende Worte für Karin Fink zu finden, die sie immer fragen konnte. An den Bürgermeister adressierte sie, dass sie bei allem was war, die Kommune immer im Blick behalten habe. Lobende Worte fand sie auch für Reinhard Knitsch Einsatz im Jugendhilfeausschuss. Dann kam sie auf ihr Coming Out: „Ich freue mich wirklich, dass ich als Nora unter Euch sein darf. Das tut gut.“

Nora erzählte von einem Vortrag in Leverkusen, den sie besucht hatte. Dort hatte ein Prof. berichtet, dass es Geschlechtsumwandlungen schon vor 4.000 Jahren gegeben habe. Sie appellierte an alle Vertreter der Jugendhilfe und der Politik sich dafür einzusetzen jungen Menschen im Unterricht nicht nur das übliche in Sachen Sexualität zu vermitteln, sondern auch darüber zu reden, dass es nicht nur klar abgegrenzt Mann und Frau gäbe. Sie hätte sich das in ihrer Jugend gewünscht und sie habe in den Jahren auch erlebt, dass es Menschen Suizid begangen hätten, weil sie keine Unterstützung gefühlt oder erfahren hätten.

Und während anschließend alle bei Kaffee und Kuchen zusammensaßen und Small Talk pflegten, war Nora Baumgarten möglicher Weise in Gedanken vielleicht schon wieder dabei, wie man zeitnah junge Menschen rechtzeitig im Leben darüber informiert, dass es mehr gibt, als auf den ersten Blick sichtbar ist oder wie man in „den sieben mageren Jahren“ erreicht, dass die soziale Gerechtigkeit erhalten bleibt. Ein bisschen gelassener als bisher. Sie ist ja jetzt im (Un-)Ruhestand und noch einmal 35 Jahre wird Barbara Baumgarten sie „nicht ausleihen“.

Ein Foto mit allen … Das hat Nora Baumgarten sich gewünscht. Keine leichte Aufgabe auf kleinem Raum.

Foto: RG

1 Kommentar

  1. Ein wundervoller Artikel für einen wunderbaren, engagierten Menschen. Ein Mensch mit Tatkraft und Empathie.
    Ich bin froh, dass ich ihm begegnet bin und mit ihm/ihr zusammen arbeiten durfte. Viel Glück für den weiteren Weg.

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