Sah die Neanderhöhe einst so aus?

Sah es so ähnlich einst auf der Neanderhöhe aus? Nachbau eines Hauses aus der Eisenzeit. Freilichtmuseum bei Aarhus Dänemark Bild: Sten Porse Lizenz: (CC BY-SA 3.0)

Erkraths Geschichte muss in Teilen neu geschrieben werden. | Das hatten sicher nicht einmal die Gegner erwartet: Auf der Neanderhöhe gibt es Befunde aus der Eisenzeit.

Der letzte Absatz in einer Pressemeldung der Grünen zum Haushalt ließ aufmerken. Darin hieß es: Peter Knitsch, Vorsitzender der Grünen Ratsfraktion: „Darüber hinaus muss geprüft werden, in welcher Form der Bebauungsplan Neanderhöhe angesichts der aktuellen archäologischen Funde aus der Eisenzeit zu ändern und ökologischen und kulturhistorischen Anforderungen anzupassen ist. Es wäre geradezu frevelhaft und geschichtsvergessen, wenn diese auch nach Auffassung der Denkmalbehörden bedeutsamen Funde in unmittelbarer Nähe zum Neandertal durch Gewerbebauten überdeckt und zerstört würden“.

Nun wissen die meisten kommunalpolitisch interessierten Erkrather, das Peter Knitsch die Bebauung der Neanderhöhe in zahlreichen Ausschusssitzungen thematisiert hat. Aber was hat es mit dieser Äußerung auf sich?

Nachdem nun auch die Stadt Erkrath über den Fund informiert, haben wir für unsere Leser alle Informationen zusammengestellt und die Meinungen aus Politik und Verwaltung eingeholt.

Ein Antrag der BmU aus Januar 2019 beinhaltete für die Neanderhöhe unter anderem die Forderung: “Bevor die Oberfläche angegriffen wird, muss die Fläche gepflügt und gegrubbert werden, dann muss sie abregnen und sollte dann durch sachkundige Archäologen ggf. in Zusammenarbeit mit einem Quartärgeologen begangen werden. Ziel ist, ggf. eine Einzelfundeinmessung und -kartierung und Fundbewertung vorzunehmen und dann die Verfahren nach DSCHG anzuwenden.”

Den Antrag hatte die BmU nach einem Gespräch mit der Initiative NSG Neanderhöhe, zu der auch der Archäologe Wolfgang Heuschen gehört, der an dieser Stelle Funde vermutete, verfasst. Die sogenannte Prospektion (Voruntersuchung) wurde im Mai und November 2020 durchgeführt. Der Abschlussbericht liegt inzwischen vor. Durch die Archäologen wurden insgesamt zehn Sondagen, ein archäoligisches Verfahren zur Abklärung von Schichtfolgen, angelegt. Dabei wurden die Archäologen an einigen Stellen fündig und konnten Pfosten und Gruben dokumentieren, die in die Eisenzeit zu verorten sind und auf eine Siedlung auf der Neanderhöhe hinweisen. In Mitteleuropa unterteilt man die Eisenzeit in die frühe Eisenzeit (800 bis 450 v. Chr. = Hallstattkultur) und die späte Eisenzeit (450 v. Chr. bis Ende 1. Jahrhundert v. Chr. = La-Tène-Kultur). Ein langer Zeitraum. Ob sich die Siedlung genauer datieren lässt, könnten weitere Grabungen zeigen. Wie hoch man die Erwartungen aber in Bezug auf weitere Funde stecken kann, ist unklar. Ist die Neanderhöhe doch über Jahrzehnte Ackerland gewesen und wurde immer wieder aufs neue umgepflügt.

Die Neanderhöhe, lange bevor die archäologische Voruntersuchung stattfand.
Foto: TB / Archiv

“Es liegen keine Hinweise vor, die eine derartige Befunderwartung im Plangebiet begründen.”

So äußerte sich ds LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland noch im September 2019. Allerdings bezog sich diese Aussage auf mögliche im Untergrund erhaltene paläolithische Relikte. Was das Paläolithikum (Altsteinzeit) betrifft, mag diese Einschätzung vielleicht auch heute noch gültig sein, aber auf die im Rheinland eher wenigen Funde eisenzeitlicher Siedlungen trifft sie offensichtlich nicht zu. Die Untersuchung wurde nur in Stichproben durchgeführt und die Archäologen gehen davon aus, dass es weitere Funde geben könnte, sich das Siedlungsgebiet möglicherweise noch weiter nach Westen ausdehnt. Dort sind mit dem Wertstoffhof aber bereits befestigte Flächen angelegt, die den Blick in die Tiefe nicht erlauben.

Blick von der unbebauten Neanderhöhe auf den Wertstoffhof. Foto: RG

Bisher ist die Jahreszahl 1050 – abgesehen vom Fund des Neandertalers – für Erkraths Geschichte bestimmend. Das ist die älteste Erwähnung des Hofes Schlickum. Jetzt aber steht fest: Siedler gab es in Erkrath bereits in der Eisenzeit.

Wird auf der Neanderhöhe trotzdem gebaut?

Seit dem 1. August 2019 ist der Bebauungsplan für das Gewerbegebiet Neanderhöhe rechtskräftig. Der Antrag der BmU mündete am 26. Februar 2019 in einen Beschluss, der unter Punkt 3 die archäologische Begleitung regelt, unter die auch die inzwischen durchgeführten Voruntersuchen fallen. Interessant für das weitere Verfahren sind möglicher Weise die Punkte 3.7 bis 3.9 des Beschlusses:

7) Sofern der Aufbau der Bodenschichten von besonderem wissenschaftlichem Interesse sein sollte, ist dem Amt für Bodendenkmalpflege im Rahmen der Ausschachtungsarbeiten die Möglichkeit zu geben den Bodenaufbau zu dokumentieren.
8) Sofern archäologische relevante Schichtungen auftreten, sind ggf. weitergehende archäologische Maßnahmen erforderlich. Daher wird an dieser Stelle bereits auf die §§ 3, 4, 9 und 29 DSchG NRW verwiesen.
9) Soweit bei den Erdarbeiten archäologische Befunde und Funde zutage treten, deren wissenschaftliche Untersuchung, Dokumentation und Bergung durch die Außenstelle Overath des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege gewährleistet wird, sind die durch die archäologischen Untersuchungen bedingten Verzögerungen beim Beginn bzw. bei der Durchführung der Baumaßnahme von Seiten des Bauträgers auf eigene Kosten einzukalkulieren. Die Freigabe des Grundstückes für den Beginn der Baumaßnahmen erfolgt durch die Untere Denkmalbehörde im Benehmen mit der Außenstelle Overath des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland erfolgt.

Auf Rückfrage bei der Pressestelle des LVR-Amts erfuhren wir, dass nach den gesicherten Befunden der Voruntersuchung vor Baubeginn auf jeden Fall eine Dokumentation vor Ort erfolgen muss.

Impressionen der Neanderhöhe im März 2021

Stimmen aus Verwaltung und Politik:

“Muss die Erkrather Geschichte jetzt neu geschrieben werden?”, haben wir Bürgermeister Christoph Schultz gefragt, der schmunzelnd antwortete, dass der Fund des Neandertalers damit wohl nicht zu toppen sei. Auf die Bebauung hätten die Funde in Teilen Einfluss. “Betroffen von den Funden sind etwa 8.000 Quadratmeter. Hier wird in jedem Fall eine Begleitung durch das LVR-Amt und Archäologen stattfinden”, beschreibt er das weitere Vorgehen. Die dadurch zu erwartende Verzögerung wolle man dadurch auffangen, dass man nicht betroffene Flächen vorzieht. “Aber aktuell liegt so oder so noch eine vom Rat verhängte Sperre auf den Flächen und Erkrath hat immer noch keinen genehmigten Haushalt”, erinnert er daran, dass noch keine weiteren Schritte möglich sind.

“Ein bisschen sind wir stolz, denn ohne unseren Antrag hätte gar keine Voruntersuchung auf der Fläche stattgefunden”, äußert sich Bernhard Osterwind von der BmU, der sich aktuell auch einen sensibleren Umgang mit der Information gewünscht hätte, die nun einer Pressemitteilung der Grünen vom 16. März 2021 zu entnehmen war. Eigentlich hatte BmU einen Antrag eingereicht, der weitere Details erst einmal in einer nicht öffentlichen Sitzung behandeln sollte.
Den Antrag zur archäologischen Voruntersuchung der Neanderhöhe hatte die BmU im Januar 2019 nach einem Gespräch mit Wolfgang Heuschen, Mitglied der NSG Neanderhöhe und selbst Archäologe, gestellt. Anders als der Bürgermeister hält Osterwind die Erkenntnis, dass es in Erkrath bereits in der Eisenzeit eine Siedlung gab, für bedeutend. Auch von der Pressestelle des LVR-Amts ist zu vernehmen, dass die Entdeckung einer eisenzeitlichen Siedlung in unserer Region nicht zu den alltäglichen Funden gehört. Die BmU möchte auf jeden Fall vor weiteren Schritten Fachleute mit einbeziehen.

Einige Fakten zu Inhalten dieses Artikels: Die bisher von Funden betroffene Fläche entspricht weniger als einem Drittel der Gesamtfläche von 3,5 Hektar. | Eine westliche Ausdehnung der Funde halten die Archäologen für möglich, dort aber befinden sich schon heute die befestigten Flächen des Wertstoffhofs. | In Ratingen hat ein Verein vor einigen Jahren ein ‘Eisenzeitliches Gehöft’ nachgebaut.| Die Frage, ob die vermehrte Nutzung von Homeoffice-Lösungen künftig mehr Büroraum leerstehen lässt, wurde in den letzten Wochen bereits mehrfach in den Medien im Zusammenhang mit der Umwidmung von Büro in Wohnraum diskutiert.

Die Meinung der Grünen spricht schon ein wenig aus der Pressemeldung. Im Gespräch verrät Peter Knitsch, dass er sich auch eine Aufhebung oder Änderung des Bebauungsplans vorstellen könne, auch wenn er nicht daran glaubt, dass sich eine Mehrheit zum Erhalt der Fläche findet. “Es gäbe auch an anderer Stelle mit mehr Nähe zum Hildener Kreuz noch alternative Flächen”, ist er überzeugt. “Wir kämpfen schon seit sechs Jahren für den Erhalt der Neanderhöhe”, bekräftigt er, dass die Grünen noch nicht aufgegeben haben.

“Das muss natürlich weiter untersucht werden. Das ist interessant für Erkrath und seine Geschichte”, kommentiert Wolfgang Jöbges von der CDU die Ergebnisse der Voruntersuchung und sieht auch kein Problem darin weitere Arbeiten archäologisch begleiten zu lassen. “Wenn man dabei noch etwas findet, ist das ja vielleicht auch fürs Neanderthal Museum oder ein anderes Museum interessant”, mutmaßt er. Und dann schwärmt er ein wenig von anderen Orten, an denen Geschichte anschaulich mit der Anbringung von Glasplatten konserviert wurde. “Wenn sich im Boden noch etwas findet, was eindrucksvoll ist, vielleicht hat ja sogar ein Unternehmer Interesse einen der Funde auf diese Weise sichtbar zu erhalten und Besuchern zu präsentieren?”, fragt er sich.

Markus Lenk von den Linken, glaubt nicht daran, die Neanderhöhe künftig in der geplanten Form wirklich noch als Gewerbefläche benötigt wird. “Das ist unabhängig davon, dass unsere Fraktion aus anderen Gründen gegen die Bebauung der Neanderhöhe war. Die Corona-Krise hat uns allen gezeigt, wie viel Arbeit heute wirklich schon im Homeoffice möglich ist und ich glaube nicht daran, dass künftig weiterhin soviel Flächen benötigt werden.” Er erinnert daran, dass Timocom für Monate dem Kreis große Flächen für das Impfzentrum zur Verfügung stellt und vermutet, dass künftig viele Büroflächen leerstehen.

Werden die Büroflächen schräg gegenüber der Neanderhöhe künftig wieder zu 100 Prozent genutzt oder finden dort vielleicht mehr Firmen mit weniger Büroflächenbedarf Platz?
Foto: Lutz Wulfestieg

Auch Ralf Lenger von der FDP sieht grundsätzlich die Notwendigkeit an den entsprechenden Stellen erst einmal mögliche Funde zu heben und zu dokumentieren. “Ich hoffe sehr, dass das langfristig nicht dazu führt, dass das Gewerbegebiet nicht bebaut wird. Wir haben in Erkrath kaum noch geeignete Flächen”, hofft er aber weiter auf die Bebauung.

Die SPD dürfte nach wie vor in einem Zwiespalt sein. Nicht alle Fraktionsmitglieder waren für das Gewerbegebiet auf der Neanderhöhe und käme es zu einer erneuten Abstimmung, wäre vielleicht nicht auszuschließen, dass die SPD getrennt abstimmt. “Wir sollten tun, was das LVR-Amt für nötig hält und das Gewerbegebiet vermarkten”, meint Detlef Ehlert, dem auch daran gelegen ist, die Diskussion um die Beigeordnetenstelle in der kommenden Ratssitzung zu Ende zu führen, damit der Haushalt beschlossen werden kann.

“Mit weiteren Funden früherer Siedlungen auf dem Grundstück ist laut Gutachten zu rechnen”, erwartet auch Dennis Sauereßig von der AfD, dass es vielleicht noch weitere Funde geben wird. Der Bürgermeister habe die Fraktion informiert, dass eine Abstimmung mit Wirtschaftsförderung, Stadtplanung und Denkmalbehörde erfolge und danach weitere Informationen folgen würden, das sei aber bisher noch nicht geschehen. Die Rückmeldung will man in der Fraktion abwarten. “Nach weiteren Auswertungen und ggf. Ausgrabungen ist das Thema Neanderhöhe möglicherweise aus einem anderen Blickwinkel zu bewerten”, denkt Sauereßig. Man wünsche sich eine offene Diskussion, wie man über die Denkmalschutzgesetze mit dem archäologischen Erbe umgehen will.

Anmerkungen:
Die bisher von Funden betroffene Fläche entspricht weniger als einem Drittel der Gesamtfläche von 3,5 Hektar.
Eine westliche Ausdehnung der Funde halten die Archäologen für möglich, dort aber befinden sich schon heute die befestigten Flächen des Wertstoffhofs.
In Ratingen hat ein Verein vor einigen Jahren ein ‘Eisenzeitliches Gehöft‘ nachgebaut.
Die Frage, ob die vermehrte Nutzung von Homeoffice-Lösungen künftig mehr Büroraum leerstehen lässt, wurde in den letzten Wochen bereits mehrfach in den Medien im Zusammenhang mit der Umwidmung von Büro in Wohnraum diskutiert.

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