Poetry Slam eroberte Unterfeldhaus

von Timo und Marion Kremerius

Poetry Slam in Stockies Bistro in Unterfeldhaus. Foto: Timo Kremerius

Im Neanderland ist Jan Schmidt längst über Stadtgrenzen hinaus für seine Poetry Slam Veranstaltungen bekannt. In Erkrath erlebte man ihn erstmals während der Pandemie im Autokino am Neanderbad. Nun hat der den Poetry Slam nach Unterfeldhaus gebracht.

Der Veranstaltungsort war gut gewählt und ideal für den Poetry Slam: Stockies Bistro. Für die Zuschauer fast wie bei einer Veranstaltung im Kino, denn auch in Stockies Bistro können vor der Vorstellung Getränke und Snacks gekauft werden, die die Zuschauer dann mit an ihren Platz nehmen konnten. Mit den ersten Poetry Slam Veranstaltungen in Wülfrath gestartet, ist Jan Schmidt inzwischen regelmäßig mit seinen Veranstaltungen auch im Weltspiegelkino in Mettmann zu Gast. Auch bei der diesjährigen neanderland Biennale fehlte er nicht. Dort konnte man ihn am 9. September in Langenfeld beim neanderland SLAM 23 erleben.

Über Poetry Slam:
Ein Poetry-Slam (alternative Schreibweisen: Poetryslam,Poetry Slam) ist ein literarischer Wettbewerb, bei dem selbstverfasste Texte innerhalb einer bestimmten Zeit vorgetragen werden. Die Zuhörer küren anschließend den Sieger. Die Darbietung wird häufig durch performative Elemente und die bewusste Selbstinszenierung der Vortragenden ergänzt. Der Begriff Poetry-Slam wird englisch ausgesprochen; sinngemäß lässt er sich mit „Dichterschlacht“ oder „Dichterwettstreit“ übersetzen. Die Veranstaltungsform entstand 1986 in Chicago und verbreitete sich in den 1990er Jahren weltweit. Die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene gilt als eine der größten der Welt. 2016 wurden die deutschsprachigen Poetry-Slams in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Quelle: Wikipedia

Nun ist der Poetry Slam auch in Erkrath angekommen und wie Jan Schmidt uns wissen ließ: Diese erste Veranstaltung wird nicht die letzte gewesen sein. Auch für 2024 laufen schon Planungen für einen Poetry Slam in Stockies Bistro.

„Dieser Abend gehört euch und ihr werdet ihn garantiert nicht mehr vergessen“, ließ Jan Schmidt das Publikum wissen, bevor die Bühne Dieter Schubert aus Unterfeldhaus, Jeremy Chavez (Schweiz-Meister), Aylin Celik (Halbfinalistin der deutschsprachigen Meisterschaften) und Björn Rosenbaum (zweifacher NRW-Vize-Meister) gehörte. Vor Beginn wurden dann noch fünf Juroren aus dem Publikum ausgewählt, die Punktetafeln, je nach Lautstärke und Länge des Applauses hochhalten sollten.

Der gebürtige Wülfrather und Teilnehmer am NDR-Comedy-Contest, Jan Schmidt, moderierte die Veranstaltung. Man kann seine Moderation mit der von Michael Buffer vergleichen, welcher vielen Boxfans bekannt ist.  Buffer wurde mit seinem markanten Ausspruch und rollendem „R“, „Let’s get ready to rumble!“, weltberühmt. Er kündigte bereits die größten Boxer wie Mike Tyson, die Klitschko-Brüder oder Henry Maske an. Jans äußeres Kennzeichen sind ein weißes Hemd, das von seiner Großmutter frisch gebügelt wurde, und eine kurze Kakihose. Das ist auch ein Merkmal von Poetry Slam, bei dem KünstlerInnen in Alltagskleidung auftreten. Es gibt keine besondere Kulisse, keine edle Garderobe und keine Requisiten. Auch keine niedlichen Meerschweinchen werden ans Publikum verteilt, um sich einzuschmeicheln (OTon Jan Schmidt). Nur der Text, der Inhalt und die Vortragsweise sollen wirken.

Runde Eins

Björn Rosenbaum gebürtiger Bielefelder, er meinte, ihn gäbe es gar nicht (der alte Witz über Bielefeld), wohnt nun in Dortmund und erzählte, wie es für ihn war von einer damaligen Dorfschule mit Lehrern, die Gitarre spielten und freie Meinungen unterstützten in eine Großstadt in eine Schule zu kommen, wo erst einmal die Disziplin wichtig war. Diese Gegensätze und die vielen Missverständnisse zwischen ihm und dem Lehrpersonal beschrieb er so bildlich und so überzogen herrlich, dass das Publikum aus dem Lachen fast nicht mehr herauskam.

Der 2. Künstler war eine Überraschung und auch ein Glück für die Veranstaltung. Jule Weber, die eigentlich dabei sein sollte, musste sich leider kurzfristig krankmelden. Das Publikum rief ihr über Schmidts Handy gute Besserung zu. Dieter Schuster aus Unterfeldhaus kam eigentlich als Besucher, aber er ist vielen Erkrathern dadurch bekannt, dass er immer Kurzgeschichten in seiner Tasche hat und so meldete er sich zur Freude aller spontan als Teilnehmer. Er durchleuchtete das Wort Entschuldigung, wann und wo es oft fraglich angewandt wird, mal nachdenklich mal lustig. „Überraschender Besuch. Entschuldigung, ich hab nicht aufgeräumt. Was will derjenige einem sagen? Ich soll jetzt mit aufräumen?“ Oder er beschrieb den Genderismus in der Tierwelt und fragte sich, was mache er jetzt bei dem Dobermann oder beim Dompfaff? Auch die Überlegungen welche Urne die preiswerteste und praktischste sein könnte waren einfach herrlich und begeisterten die Zuhörer. Daran sah man auch, dass man noch mit über 80 Jahren ein guter Slammer sein kann.

Dann kam Jeremy Chavez, er hatte den weitesten Weg und kam direkt aus Basel. Mit dem Zug. Aber nicht über die Bahnfahrt erzählte er schon vorher, sondern, dass es ihm nicht möglich war, am Bahnhof 50 € zu wechseln. Weder der Bäcker noch der Kiosk, auch nicht der Busfahrer, der ihn aber freundlicherweise dann kostenlos mitfahren ließ.  Der Schweizer wundert sich, über die Deutschen, statt Kleingeld, kostenlos. Seine eigentliche Geschichte handelte von Ausreden, wenn man auf der Straße oder an der Uni angebettelt wird, egal ob um Geld, einen Gefallen, eine Unterschrift. Sein Motto ist „Im Großen die Welt verändern, im Kleinen ein Arschloch sein“. Hier beschrieb er sehr bildlich und mit ganzen Körpereinsatz wie er sich aus verschiedenen Situationen herauswindet. Meist mit Erfolg, aber mit großem Aufwand und es funktioniert halt nicht immer. An den Begeisterungsstürmen des Publikums hörte man, dass die Tipps gerne aufgenommen wurden.

Die Düsseldorferin Aylin Celik war die letzte in der Runde, sie sprach sehr gefühlvoll über das Erwachsen werden. Und man kann sich sehr gut vorstellen, dass, wie sie erzählte, bei einem ihrer Auftritte die Duisburger Symphoniker als Untermalung dazu ein Stück von Maurice Ravel spielten. Der Refrain „Ich hab das mal gespürt, ich hab das mal gewollt, das Gefühl und die Erinnerung“ ging schon sehr unter die Haut.  Die Publikumsjury honorierte das, wie auch bei Celik, mit der höchstmöglichen Punktzahl von 5×10 Punkten.

Die zweite Runde begann in umgekehrter Reihenfolge der Teilnehmer

Celik klärte den Begriff „Karen“, der aus den USA kommt und ursprünglich einen bestimmten Frauentyp beschreibt. Mittlerweile wird dieser Begriff geschlechtsneutral als Sammelbegriff für den einen Freund im Freundeskreis, den eigentlich niemand mag, verwendet. Für jemanden, der häufig versteckt seinen Rassismus anderen unterschiebt. Oh ja, nachdenklich und sehr gut. Sei keine Karen.

Chavez rappte das Thema SmalTalk und sinnierte, dass er dies nicht mag und welche Alternativen es gibt. Muss man sich immer unterhalten, auch wenn man nichts zu sagen hat? Andererseits ist ein belangloser Satz manchmal ein Türöffner, aber was macht man, wenn einem nichts einfällt? „Immer, wenn ich Worte meine, bleiben Worte in mir drin.“ Die Versuche eine Kommunikationslösung zu finden, brachte manchen Lacher und viel zustimmendes Klatschen.

Schuster, der Spontane, sketchte über Missverständnisse, über Verwechslungen und auch über die falsche Nutzung von Fachbegriffen, so kann schon einmal der Urologe mit dem Uhrmacher verwechselt werden. Zu schön, ein Gespräch zu verfolgen, indem beide von was anderem reden, aber es erst am Schluss bemerken. Außerdem machte er den Vorschlag aus Unterfeldhaus einen eigenen Staat zu machen. Als naheliegenden Vergleich nahm er Lichtenstein, dort wäre auch nur 39.000 Einwohner und Unterfeldhaus könne ja noch wachsen. Da die Hälfte des Publikums zumindest aus Erkrath kam, nahm man die Idee wohlwollend auf.

Zum Schluss begann Rosenbaum mit der Überschrift „Papa, mein Schal riecht nach Kotze“, er berichtete über die Probleme, besonders vor Weihnachten und auch zur kalten Jahreszeit, mit seiner 5jährigen Tochter zu diskutieren. Über den Versuch kein typisches Mädchengeschenk auszusuchen und sie, entgegen jeglichen gewünschter nonkonformen Geschenkideen, auf ihrem rosa Pona bestand. Er beschrieb so typische, so lustige Szenen, dass das Publikum grölte und sich auf die Schenkel klatschte vor Lachen.

Gut waren sie alle, bei allen fühlte sich das Publikum erstklassig unterhalten und mit knappem Punktesieg, gab es Zwei Sieger Celik und Rosenbaum. Aber es darf nur eine /n geben und es gab ja auch nur eine Tasche als Preis! Ein Stoffbeutel, der durchs Publikum gereicht wurde und jeder spontan irgendetwas hineinwarf, z.B. 500gr. Schwarzbrot, eine Kaffeetasse, eine Tüte Haribo. Was mal halt so bei sich trägt, wenn man zu einer Veranstaltung geht.

Stichwahl

Also mussten Beide, zur Freude des Publikums noch einen Slam vortragen. Celik erzählte von ihren türkischen Wurzeln, von ihrer Heimat in Düsseldorf und von dem Gefühl hier und dort ein zu Hause zu haben, aber immer schwebt über allem die Sehnsucht nach dem anderen, das Vermissen. Hasret, Sehnsucht, brachte sie den Zuhörern auch mit einer kleinen Gesangseinlage sehr nah. Der Rhythmus, der Inhalt, das Publikum war begeistert.

Björn berichtete aus einem Tagebuch einer Familie während der ersten Tage in der Lockdownphase unter Corona. Die Erinnerung wurde wachgerufen und im Nachhinein konnte man sich schütteln vor Lachen über manch seltsames Verhalten in dieser Zeit. Es wurde sehr knapp. Nachdem Jan mit den mehr als 70 Zuschauern Klatschorgien veranstaltete, um auf Grund der Intensitäten den Sieger zu ermitteln, stand nach längerem Klatschen und wunden Händen die Siegerin Aylin Celik fest.

Es war ein rundum erfolgreicher Abend mit bester Unterhaltung fürs Publikum und für uns können wir sagen: Wir freuen uns schon aufs kommende Jahr.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*