‘Letzte Glaubwürdigkeit’ – Gemeinde diskutiert in St. Lambertus

Monsignore Herbert Ullmann und Moderator Markus Königs. Foto: Susann Krüll

Anja Rauh, aktives Mitglied der Mettmanner Gemeinde, hatte nach der Veröffentlichung des „Münchner Gutachtens“ Monsignore Ullmann um ein Gespräch gebeten.

Beide beschlossen, die eigenen Zweifel, Bedenken, aber auch Wut und Enttäuschung bei einem Gesprächsforum in der Gemeinde anzusprechen und zu diskutieren.

Nachdem die Plätze im ursprünglich als Austragungsort vorgesehenen Johannes-Flintrop-Haus fast umgehend ausgebucht waren, wurde am Mittwochabend die Veranstaltung in St. Lambertus abgehalten. Corona-bedingt standen 120 Plätze zur Verfügung, die ausnahmslos besetzt waren.

Die Moderation hatte Marcus König übernommen, Mitglied des Pfarrgemeinderats und Präventionsbeauftragter der Gemeinde. Der Sozialpädagoge, der wie er sagt ‘hier in der Gemeinde großgeworden ist’ und auch bei den Pfandfindern und in der Kolping-Familie aktiv ist, führte kurz ein, wie es zu der Veranstaltung kam. Bevor er Monsignore Ullmann das Wort überließ, forderte er die Anwesenden auf, alles zu sagen, was ihnen unter den Nägeln brennt oder auch eigene Eindrücke und Gefühle zu schildern. Und weiter bekannte er: „Auch ich vermisse den fehlenden Dialog auf Augenhöhe, besonders in unserem Bistum Köln.“ Im Übrigen könne die Veranstaltung nur „ein Einstieg in das Thema sein“.

Pfarrer Ullmann und Antje Rauh

Eigentlich habe er nicht an exponierter Stelle stehen wollen, sondern nur als Einladender wirken wollen, sei der Austausch doch auf Initiative von Antje Rauh zustande gekommen. Ullmann bekannte, dass er vielmehr unterschätzt habe, wie groß der Redebedarf, besonders nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens, in der Gemeinde gewesen sei. Besonders nachdem herausgekommen sei, dass der emeritierte Papst Benedict XVIII zugeben habe, doch bei einer der im Gutachten beschriebenen Befragungen eines der überführten Täter anwesend gewesen zu sein. Das habe er vorher bestritten.

„Ich habe gelernt, Verteidiger der Kirche zu sein im Laufe meiner Ausbildung“, so Ullmann, der hinzufügte: „Ich könnte Ihrer Liste noch viel mehr hinzufügen.“ Doch auch für ihn stehe fest, dass es so nicht mehr geht. Er schätze Kirche als Gemeinschaft des Glaubens, als kritische und differenzierte Gemeinde. Er fügte mit bewegter Stimme hinzu: „Ich möchte nicht für das System, nicht für die Institution stehen.“ Zum Schluss versprach er: „Lassen Sie uns zusammentun, das darf nicht nur Theorie bleiben, das tragen wir weiter, das hat Gewicht.“

Danach gab er das Wort an Antje Rauh, der man ihre Emotionen deutlich anmerkte, als sie ihre Gedanken verlas, die sie öffentlich gemacht hatte. (Siehe Text unterhalb.) Sie bedankte sich bei Monsignore Ullmann für das Gespräch, das er ihr auf den Erhalt anbot und aus dem die Veranstaltung folgte. Auch sie machte deutlich, dass ihr die örtliche Gemeinde immer noch Heimat sei. Doch habe sie entsetzt, dass die Ereignisse nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens nicht in der Predigt am darauf folgenden Sonntag veröffentlicht worden seien. „Die Zeit des passiven Schweigens muss vorbei sein“, lautete ihr Aufruf, bevor sie ihr eindrückliches, pointiertes Schreiben verlas. Auf ein kurzes Atemholen nach dem Gehörten, quittierten die Zuhörenden das Gehörte mit anhaltendem Beifall.

Zahlreiche Wortbeiträge – von wütend bis beschwichtigend   

Als erste Rednerin mahnte eine Dame dazu, nicht immer nur auf Fehler zu klopfen und auch denen Barmherzigkeit zu gewähren, die Fehler gemacht haben. Sie erhielt im Gegensatz zur nachfolgenden Dame wenig Applaus für ihre Meinung. Diese dankte zunächst, dass diese Veranstaltung möglich gemacht wurde, widersprach ihrer Vorgängerin aufs Heftigste und setzte hinzu: „Wenn ihrem Kind so etwas widerfahren wäre, würden sie nicht so gnädig mit den Bischöfen umgehen.“ Ihr Schlussappell lautete: „Erneuerung muss von innen kommen.“

Noch weniger Zuspruch erhielt ein Herr, der das Leiden der Opfer in den Ohren zahlreicher Zuhörender verharmloste, indem er anmerkte: „Wir sind alle kleine Sünderlein.“ Auch auf seine Relativierung kam der Widerspruch postwendend: „Ich lasse mich nicht mit den Tätern in einen Topf werfen“, platze es aus einer Frau heraus und ein Mann, der vorher in Gerresheim wohnte und zu einer der zahlreichen Gemeinden gehörte, in der Täter beschäftigt waren, machte deutlich: „Ich habe das Münchner Gutachten gelesen. Von Buße und Reue keine Spur.“ Er forderte auch, dass das, was in der Gemeinde besprochen werde, ‘nach Köln gehen muss’. Die folgende Rednerin hob darauf ab, dass es ihr als Frau immer schwerer falle, ihren Freunden zu vermitteln, warum sie noch in der Kirche sei. “Wir dürfen nicht relativeren.“ 

Sehr persönlich wurde Martin Müschenich, der sich als ‘altes katholisches Urgestein’ bezeichnete und dazu aufforderte ‘die Dinge beim Namen zu nennen’ und dies auch tat: „Die haben keine Fehler begangen, das sind Verbrecher!“ Diese alle einzeln zu benennen, forderte Petra Richter, die seit 30 Jahren in der Gemeinde aktiv ist. „Ich bin Kirche. Wir sind Kirche. Und das lasse ich mir durch die nicht kaputtmachen. Die Organisation Kirche schützt die Verbrecher.“ Sie habe Hoffnung geschöpft, als 125 quere Mitarbeiter sich geoutet haben. Sie forderte, an die Öffentlichkeit zu gehen und jede Verfehlung zu benennen. Eine Psychologin, die bereits mit kindlichen Missbrauch-Opfern zu tun gehabt hätte (nicht aus der Gemeinde), bemerkte ironisch: „Die Täter werden nicht vor Gericht gestellt, aber Kommunionsmütter müssen ein Führungszeugnis vorlegen, wenn sie als Katechetin unterrichten möchten.“

Einen weiteren Aspekt brachte die nächste Rednerin ein: „Ich habe mich in letzter Zeit öfter entschieden zu bleiben. Wer draußen ist, kann nichts mehr bewirken.“ Ihre Idee: Pro Bistum zwei Staatsanwälte einzusetzen, damit da mal Schwung reinkommt. Man dürfe die Taten nicht mehr bemänteln. Das langjährige Pfarrgemeinderatsmitglied Hans-Jürgen Wagner forderte auf, sich als Gemeinde zusammenzufinden und sich mit deutlichen Worten nach Köln zu wenden, bevor Woelki am 2.3. zurückkommt. Ihm warf er vor verbrannte Erde hinterlassen zu haben. Auch zwei Gemeindemitglieder aus Wülfrath meldeten sich zu Wort, einer mit den Worten: „Ich bin stocksauer auf Köln.“ Sie regten Gemeinde-übergreifende Gespräche an. Martin M. Richter, ehemaliger Kreisdirektor in Mettmann, drückte sein Mitgefühl für die Situation von Monsignore Ullmann aus: „Ich möchte nicht wie Sie zwischen den Stühlen zerrieben werden.“ Er hob darauf ab, was es alles Tolles gibt in der Kirche, so dass er  sich nicht die Heimat wegnehmen lassen will.

Sehr emotional fiel der Redebeitrag eines pensionierten Religionslehrers aus: „Ich habe keine Chance mehr, meinen Glauben zu verteidigen, wenn meine Kinder, die ausgetreten sind, mich fragen: Papa, wie kannst Du noch Mitglied sein. Das tut verdammt weh.“ Auch Andrea Rottmann bekannte, schon kurz vor einem Austritt gewesen zu sein, sich dann aber dagegen entschieden zu haben. Sie griff aber noch einmal den Ausdruck von den ‘kleinen Sünderlein’ auf: „Das sind Schwerstkriminelle. Das dürfen wir nicht vertuschen und verzeihen kann nur der, dem es geschehen ist.“
Margarete Conrads, die als Kirchenmusikerin aktiv in der Gemeinde ist, die ihr ‘Glaubens-Wohnzimmer’ sei, mahnte an, dass vieles, wie die Stellung der Frau in der Kirche, die Frage des Zölibats und andere Änderungsvorschläge, die durch den Synodalen Weg angesprochen werden, verschlafen worden seien. „Wir können uns hier abstrampeln, der Vatikan muss aber zustimmen. Ich fühle mich in der Gemeinde wohl. Bin aber ratlos, wie die Kirche sich ändern soll.“

Veränderung, die aus der Gemeinde kommen müsse, forderte eine Frau, die bereits einmal ausgetreten war, dann wieder bewusste eingetreten sei: „Wir sind ja Kirche. Wir müssen an die da oben rangehen und fragen, was erwartet Ihr von uns hier unten? Wir müssen aktiv werden.“ Hier brandete Applaus auf und Monsignore Ullmann ergriff erneut das Wort, um beizupflichten: „Ich wünsche mir in den drei bis sechs Jahren, die mir als Seelsorger noch bleiben, dass die Gemeinde klare Position bezieht und sagt, das und das geht nicht, wie die Aufrechterhaltung von Machtstrukturen oder die Geringschätzung von Laien. Das würde ich mit Ihnen durchbuchstabieren.”  

Kritische Äußerungen kamen von Martin Klein, seines Zeichens Religionslehrer, den, wie er sagte, das Thema seit 2010 beschäftigt. Er stellte die Frage: „Gibt es einen Webfehler in unserer katholischen Identität?“ Und zuletzt merkte er an: „Ich erlebe den Gottesdienst nicht so, dass ich gesehen werde.“
Barbara Gerlach bekannte, dass es sie an der Kirche als Institution zweifeln lässt, wenn Würdenträger, die sich um die Schutzlosesten kümmern sollten, sich an diesen vergehen.

Auch eine Aufforderung zum zivilen Ungehorsam gab es zum Schluss durch einen Teilnehmer: „Lassen Sie uns an diesem Sonntag schwule Paare segnen. Denn sonst passiert nichts. Da oben sitzen Männer, die können alles verschleiern.“

Ausblick durch Markus Königs und Monsignore Ullmann

Moderator Königs mahnte zum Schluss an, keine Fronten zwischen Köln und der Gemeinde aufzubauen. „Es gibt keine Lösungen, mit denen wir nach Hause gehen. Aber die Energie des heutigen Abends wird nicht verpuffen.“

Monsignore Ullmann hatte, wie er sagte, nicht vorgehabt, das Schlusswort zu sprechen, wurde dann aber noch einmal sehr deutlich: „Wir sind eine Männerkirche, die auf Frauen aufgebaut ist. Ohne sie gäbe es uns schon lange nicht mehr.“ Er befürchte System hinter der Schaffung von Großgemeinden. „Bei 1.800 Katholiken in Mettmann und Wülfrath, setzt irgendwann die Trägheit der Masse ein. Eine bessere Vernetzung der Pfarrgemeinderäte ist daher wichtig.“ Er versprach, dass er solidarisch mit allem, was geäußert wurde sei. Auch er müsse in den kommenden Tagen verarbeiten, er werde aber offene und ehrliche Gespräche in den Pfarrgemeinderäten und im Seelsorger-Team führen. Der Dialog werde weitergehen.

Antje Rauh beim
Verlesen ihres
Schreibens.
Foto: Susann Krüll

Redebeitrag von Antje Rauh:

„Letzte Glaubwürdigkeit verspielt?
Gedanken zum Forum in St. Lambertus, Mettmann

Ich stelle mir immer häufiger die Frage, ob diese römisch-katholische Kirche wirklich noch meine Kirche ist und mir weiterhin eine Glaubensheimat sein kann.

Eine Kirche, deren Würdenträger bis in die jüngere Vergangenheit hinein abscheuliche Missbrauchstaten begangen haben, deren Aufarbeitung mich zum Teil fassungslos zurücklässt. Bischöfe, die unterstellen, interessierte Kreise würden den „Missbrauchsskandal“ ihrerseits für die Durchsetzung dringend notwendiger Reformen missbrauchen.

Eine Kirche, die den Zugang zu Weiheämtern vom Vorhandensein eines bestimmten Chromosomensatzes abhängig macht und in der sich die Inhaber genau dieses Chromosomensatzes verzweifelt an ihre Macht klammern,

eine Kirche die Menschen, die Sexualität nicht katholisch-konform leben ausgrenzt und diesen gegenüber ein Klima der Angst verbreitet,

eine Kirche, die Menschen die Kommunion vorenthält, die nicht katholischem Weltbild entsprechen. Wenn dann hier vor Ort eine wahrscheinlich gut gemeinte Einladung ausgesprochen wird, man möge doch trotzdem nach vorne kommen, die Hand auf die Brust legen und einen persönlichen Segen empfangen, wird hierdurch diese Ausgrenzung meinem Empfinden nach nur weiter zementiert.

Und so könnte man diese Liste noch beliebig weiter ausführen und um weitere Punkte ergänzen.
Für mich persönlich war aber mit Veröffentlichung des Münchner Gutachtens eine rote Linie überschritten:

Wenn ein (wenn auch emeritierter) Papst hergeht und den Missbrauch von Kindern dadurch relativiert,

es habe sich ja nicht um einen Missbrauch im engeren Sinne gehandelt, da ja keine Berührung stattgefunden habe (wobei ich nicht verkenne, dass er das in einen damaligen rechtlichen historischen Kontext setzt, sich davon aber in keiner Weise distanziert),

es rechtfertigt, dass die Eltern eines missbrauchten Kindes sich aus seiner Sicht zurecht nicht an die Kirche gewendet haben, weil ja der Täter nicht als Priester sondern als Privatperson gehandelt habe

und dann auch noch einer Falschaussage überführt, diese mit einem redaktionellen Versehen begründet,

dann lässt mich das fassungslos zurück und es stellt sich mir die Frage, wer uns da als Stellvertreter Christi auf Erden präsentiert worden ist.

Ich habe in der Vergangenheit immer betont, dass ich mich so lange noch als Mitglied dieser katholischen Kirche sehe, wie meine örtliche Gemeinde mir die Überzeugung gibt, ich könnte eine Mitgliedschaft trotz der vorgenannten Punkte immer noch vor mir selbst rechtfertigen. Diese Überzeugung ist gewaltig ins Wanken geraten, nachdem am Sonntag nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens die neuen Erkenntnisse hier in Mettmann mit keinem Wort erwähnt wurden. Umso dankbarer bin ich Ihnen, Herr Pfarrer Ullmann, dass Sie mir ein offenes Ohr geschenkt und im Nachgang diese Versammlung einberufen haben.

Die Zeit des passiven Schweigens muss vorbei sein! Wer jetzt noch schweigt oder die Dinge relativiert, macht sich zum Mittäter! Wir müssen hier vor Ort die Ärmel hochkrempeln und endlich dafür sorgen, dass uns niemand UNSERE Kirche wegnimmt!

Ich erwarte nicht, dass der heutige Abend auf alle aufgeworfenen Fragen eine Lösung bringt.
Ich erwarte vielmehr dass der heutige Abend der Beginn eines Weges ist, der Perspektiven eröffnet, wie wir ganz konkret hier vor Ort Opfern von Missbrauch, Gewalt und Ausgrenzung wieder eine Glaubensheimat geben können.
Wir müssen in einen Austausch eintreten, ob das Aushängen von Regenbogenfahnen oder das Verhüllen von Kruzifixen oder die Absage von Sonntagsmessen bloßer Aktionismus oder Symbolpolitik sind, oder dringend notwendige äußere Zeichen des Protestes darstellen.
Hierbei kann es aber aus meiner Sicht auch nicht bleiben.
Wir brauchen hier vor Ort Seelsorger und aktive Gemeindei(m)tglieder, die bereit sind verkrustete Strukturen und Denkmuster aufzubrechen und neue Wege zu denken und zu gehen. Hierfür werden wir einen langen Atem brauchen und vielleicht einige  Erfolge gar nicht selbst erleben. Ich möchte allerdings den nachfolgenden Generationen eine katholische Kirche hinterlassen die es wieder wert ist, dass man sich gerne als ihr Mitglied bezeichnet.“

Antje Rauh

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