Lass Bilder für Dich sprechen

von Ria Garcia

Bettina Schöbitz an ihrem Arbeitsplatz, von dem aus sie auch die vielen Aufgaben des Herzensprojekts 'Zeichner bauen Brücken' koordiniert. Foto: Ria Garcia

Zu Beginn des Ukraine-Krieges gab es keine Wörterbücher Deutsch-Ukrainisch. Die Verständigung für Geflüchtete war schwer. Das Projekt ‘Zeichner bauen Brücken’ hat das verändert.

Als Bettina Schöbitz in den Nachrichten vom Ukraine-Krieg hörte, wollten sie und ihr Mann wenige Tage später in Urlaub fahren. “Mein Vater gehörte zu den Menschen, die am Ende des zweiten Weltkriegs aus Breslau vertrieben wurden”, denkt Bettina Schöbitz, dass diese Tatsache vielleicht auch sie geprägt hat und Einfluss auf ihre Reaktionen hat. Sie überlegte mit ihrem Mann, ob sie denn jetzt überhaupt in Urlaub fahren können. Was ist, wenn der Krieg schnell auf Deutschland übergreift und wir vielleicht nicht zurückkommen können, so ihre ersten Überlegungen. “Wir haben alle Daten in eine Cloud gesichert, unsere wichtigsten Papiere zusammengesucht und uns dann entschlossen, wir fahren trotzdem”, erinnert sie sich. Wenn sie nicht hätten zurückkehren können, hätten sie Zugriff auf alles, was zum Überleben an einem anderen Ort nötig ist, dachten die beiden. Aber was heißt, an einem anderen Ort überleben überhaupt? Wie soll man sich verständigen, wenn man die Sprache nicht spricht?

Mit diesen Fragen war Bettina Schöbitz plötzlich bei den Menschen, die gerade auf der Flucht aus der Ukraine waren und stellte fest: Es gibt nicht einmal Wörterbücher Deutsch – Ukrainisch. (Anmerk. der Redaktion: Von April bis August sind erste Wörterbücher erschienen.) Sie kam auf die Idee ein Bildwörterbuch zu entwickeln, damit sich hier ankommende Geflüchtete aus der Ukraine erst einmal verständigen können. “Stellen Sie sich nur mal vor, dass Sie in einem fremden Land, in dem Sie die Sprache nicht verstehen, Babynahrung oder Damenbinden kaufen wollen”, erklärt Bettina Schöbitz, was sie Anfang März bewegte. Einen Tag vor ihrem Urlaub gründete sie eine Facebook-Gruppe, um andere Zeichner und auch Übersetzer zu finden, die mit ihr gemeinsam an dem Projekt arbeiten würden.

Hilfe, ich fahr doch in Urlaub

Gesagt getan, aber plötzlich wurde ihr klar, dass sie jetzt erst mal im Urlaub ist und das eine solche Gruppe ja auch betreut und koordiniert werden muss. Sie rief ihre Freundin Edda Wilkening in Großburgwedel an und fragte, ob sie sich mit um dieses Projekt kümmern würde. Die war sofort begeistert. Als gelernte Druckvorlagenherstellerin, die in ihrer Heimatstadt selbstständig einen Copyshop betreibt, freute sie sich darauf ihr Können einzubringen. “Das alles wäre niemals so professionell geworden, wenn Edda nicht ihr gesamtes Know How mit eingebracht hätte”, ist Bettina Schöbitz dankbar, dass ihre Freundin sofort begeistert von der Idee war.

Humorvoll haben sich Edda Wilkening (l.) und Bettina Schöbitz zeichnerisch im Projektlogo dargestellt.

Während Bettina vom Urlaubsort aus täglich ein bis zwei Stunden mit ihrem Tablett mitarbeitete, war Edda quasi Vollzeit aktiv, koordinierte die Zeichner, deren Anzahl täglich wuchs. Inzwischen sind es 84, die zum Bildwörterbuch beigetragen haben oder auch weiterhin noch beitragen, denn der Bild-Vokabel-Wortschatz wächst immer noch weiter. Einige der Zeichner haben ein Themenblatt erstellt, andere gleich einen ganzen Schwung. Das Copyright der einzelnen Blätter verbleibt beim Zeichner und ist auch im Bildwörterbuch unter jeder Seite einzeln genannt. Alle, die am Projekt mitarbeiten, tun dies zu 100 Prozent ehrenamtlich.

Wir haben den Umfang vorher nicht geahnt

Seit März ist das Bildwörterbuch auf 3000 fertige Bild-Vokabeln gewachsen und es wächst und wächst. Durch die Themenordnung kommen einige Vokabeln doppelt vor, wie etwa bei Jacke, die als Regenjacke, Kinderjacke oder Ski-Jacke enthalten sein kann. Möglich wurde das, weil sich inzwischen 84 Zeichner zusammengefunden haben, die mal nur ein Themenblatt und ein anderes Mal gleich einen ganzen Schwung Blätter zeichnen. Inzwischen zeichnen auch einige Ukrainerinnen Themenblätter. In der Facebook-Gruppe, die Bettina Schöbitz im März gründete, findet der Austausch statt. Dort werden die Themen veröffentlicht, für die Zeichner gesucht werden.

Enger ist es bei den Übersetzern, die Hoch-Ukrainisch beherrschen müssen. “Wenn wir mehr Menschen finden, die beim Übersetzen helfen, würde das Bildwörterbuch noch schneller wachsen”, so Bettina Schöbitz. 240 fertig gezeichnete Themenseiten mit jeweils 20 Begriffen warten noch auf die Übersetzung. “Weitere 60 Blätter befinden sich derzeit im Zeichenprozess – weitere Zeichnende und – vor allem auch – Übersetzende sind jederzeit willkommen und können an diesem sinnvollen Herzblut-Projekt aktiv mitwirken”, lädt Bettina Schöbitz zum Mitwirken ein, denn es gibt ein Ziel: Es soll das weltweit größte handgezeichnete Bildwörterbuch Deutsch – Ukrainisch entstehen.

Inzwischen haben drei Teammitglieder zu den bereits fertigen Themenseiten auch Audiofiles eingesprochen, mit denen Geflüchtete die Aussprache üben können. Ein QR-Code auf jeder Seite ermöglicht den einfachen Zugang zum Audiofile. Außerdem gibt zu vielen Bildblättern bereits liebevoll programmierte Lernspiele, die den Faktor Gamification beim Spracherwerb unterstützen und ein Alphabet-Memory soll auch noch folgen. “Das ist natürlich kein Sprachkurs, aber ein multimedialer Vokabeltrainer”, erklärt Bettina Schöbitz.

Zwei Beispielblätter aus den aktuell schon 150 fertiggestellten Seiten

Was Mitwirkende und Unterstützer möglich machen

Was die vielen Zeichner, Übersetzer, Programmierer und administrativ im Projekt Tätigen in nicht einmal fünf Monaten geleistet haben, haben wir schon beschrieben, aber es kommt auch zusätzliche Unterstützung. So unterstützen der Bürgermeister von Münster, Markus Lewe (Präsident des Deutschen Städtetages), Sandra Pietschmann, Bürgermeisterin von Mettmann (Heimatstadt von Bettina Schöbitz) und Ortrud Wendt, Bürgermeisterin der Stadt Burgwedel (Heimatstadt von Edda Wilkening) das Projekt mit einem Grußwort in der aktuellen Druckausgabe.

Die gibt es Dank KonicaMinolta, einem großen Hersteller von Druckmaschinen und Betreiber von Druckcentern demnächst auch im handtaschentauglichen Format DIN A5 mit 120 alltagsrelevanten Bildblättern. KonicaMinolta hat sich entschieden, weltweit den Druck und die logistische Verteilung weiterer Ausgaben über den eigenen Vertrieb zu übernehmen. “Damit werden die Bildvokabelbücher für eine deutlich größere Zahl von Geflüchteten und Helfenden in räumlicher Nähe verfügbar sein”, freut sich Bettina Schöbitz.

Interesse gibt es bereits aus Österreich. Bald soll es eine Übersetzung geben. Übersetzt werden soll das Bildwörterbuch auch noch ins Russische, damit es eine Ausgabe Deutsch – Russisch gibt. Warum? “Wir haben festgestellt, dass es zum einen inzwischen auch viele Geflüchtete aus Russland gibt, die mit diesem Krieg nicht einverstanden sind und dann gibt es auch Ukrainer aus Landesteilen der Ukraine, die tatsächlich nur Russisch sprechen”, so Schöbitz. Auch gedruckte Plakate und Visitenkarten mit dem QR-Code verdankt das Projekt Unterstützern, die auf der Homepage aufgeführt sind.

Kostenloser Download der jeweils aktuellen Ausgabe des Bildwörterbuchs

Unabhängig von der nächsten gedruckten Auflage, die Mitte bis Ende August erscheinen soll, können Geflüchtete und Helfer jederzeit kostenlos zur nicht kommerziellen Nutzung die aktuelle Version (mit allen fertigen Seiten) von der Projektseite als PDF herunter laden. Zur Wahl stehen eine hochauflösende Variante, die für den Ausdruck geeignet ist und eine niedrigauflösende als Webversion. Jede Seite enthält oberhalb eine Ordnungskennziffer und seitlich eine farbliche Markierung mit Veröffentlichungsdatum, die es ermöglichen bei neu erscheinenden Ausgaben die hinzugekommen Blätter auch einzeln auszudrucken und einer bereits ausgedruckten Ausgabe hinzuzufügen.

Download mittels QR-Code

Mehr über das ehrenamtliche Projekt ‘Zeichner bauen Brücken’: ZeichnerBauenBruecken.de | Facebook-Gruppe | Facebook-Seite | Instagram-Kanal | Spenden für das Projekt: via PayPal an mail@visutrainment.de oder auf anderen Wegen nach Rücksprache mit den Projektleiterinnen Bettina Schöbitz oder Edda Wilkening.

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