
Nach drei Jahren schmicklerlose Zeit gab es in der Erkrather Stadthalle endlich wieder scharfsinnige Satire und sprachgewaltige Gesellschaftskritik. Wilfried Schmickler war stark verschnupft, politisch, aber leider auch medizinisch, das tat seinem Auftritt aber keinen Abbruch. Er war wie immer genial.
Die ca. 350 Zuschauer wurden wie immer, wenn Wilfried Schmickler nach Erkrath in die Stadthalle kommt, belohnt. Wilfried Schmickler ist, und das kann man mit Fug und Recht sagen der Ruhrgebietsliterat. Bekannt unter anderem auch von der WDR-Kabarettshow Mitternachtsspitzen, die aber seit der Umgestaltung ohne Ihn Jürgen Becker und Uwe Lyko stattfindet. Er war eine prägende Figur der Mitternachtsspitzen. Besonders in Erinnerung bleiben Loki und Smoky. Aber seine Präsenz in den Mitternachtsspitzen, so genial sie auch waren, war gestern. Sein Auftritt in der Stadthalle Erkrath war wieder erste Sahne und hätte gerne länger dauern können. Die Zuschauer waren dazu bereit.
Wilfried Schmickler ist auch Träger des Deutschen Kabarettpreises. Er spricht zielsicher gesellschaftliche Missstände, politische Absurditäten sowie alltägliche Kuriositäten an und nimmt sie aufs Korn. Mit sprachlicher Präzision und unnachgiebigem Scharfsinn bringt er dabei regelmäßig all jene Dinge zur Sprache, die ihm an die Nieren gehen. Leidenschaftlich ruft er für mehr Toleranz und Mitgefühl auf. Schmickler möchte einen Beitrag zur „Verfreundlichung der Welt“ leisten, und das gelingt ihm bei jedem Auftritt.
Eingangs entfaltete er mit Professionalität und Leidenschaft sein zweistündiges Programm, das eine breite Palette an sozialkritischen Texten, Gedichten, Liedern und weiteren Elementen umfasste. Viele der vorgetragenen Worte und Melodien stimmten die Anwesenden nachdenklich. Anders als das politische Kabarett früherer Tage zielte seine Performance weniger auf reine Unterhaltung ab, sondern weckte im Publikum ein stärkeres Bewusstsein für gesellschaftliche Fragen.
Es hat einen Wandel vom Schenkelklopfen, wenn Politiker oder Missstände angesprochen wurden, zum Raunen und Begreifen der Missstände zu Lasten der Gesellschaft stattgefunden. Das ist auch richtig so. Politisches Kabarett soll nicht nur Belustigen, sondern zum Verarbeiten und Nachdenken anregen.
Wilfried Schmickler ist einer der großen letzten Mahner, der immer wieder versucht. die Sicht des Publikums auf das Wesentliche zu lenken. Dafür muss man ihm danken. Wie eigentlich immer brachte Wilfried Schmickler das Gedicht die Gier. Besser kann man einen Großteil der Gesellschaft nicht beschreiben. Leider.
Nach der Veranstaltung gingen die Besucher, man möchte glauben und es auch erkennen, mit einem Lächeln, tiefenentspannt, aber nachdenklich nach Hause.
Zwei Gedichte von Wilfried Schmickler
(Mit freundlicher Genehmigung von Wilfried Schmickler)
Die Gier
Was ist das für ein Tier, die Gier?
Es frisst an mir,
Es frisst in dir,
Will mehr und mehr
Und frisst uns leer.
Wo kommt das her,
Das Tier, und wer
Erschuf sie nur,
Die Kreatur?
Wo ist das finstre Höllenloch,
Aus dem die Teufelsbestie kroch,
Die sich allein dadurch vermehrt,
In dem sie dich und mich verzehrt?
Und wann fängt dieses Elend an,
Dass man genug nicht kriegen kann
Und plötzlich einfach so vergisst,
Dass man doch längst gesättigt ist
Und weiter frisst und frisst und frisst?
Und trifft dann so ein Nimmersatt
Auf jemanden, der etwas hat,
Was er nicht hat und gar nicht braucht,
Dann will er’s auch.
Wie? Das soll’s schon gewesen sein?
Nein, einer geht bestimmt noch rein!
Und überhaupt – da ist doch wer,
Der frisst tatsächlich noch viel mehr.
Und plötzlich sind sie dann zu zweit:
Die Gier und ihre Brut der Neid.
Das bringt mich noch einmal ins Grab,
Dass der was hat, das ich nicht hab,
Dass der wo ist, wo ich nicht bin,
Das will ich auch, da muss ich hin!
Wir sind wir
ich bin wir und du bist wir
und er ist wir und sie ist wir
wir vier sind wir
so ist das hier
doch die von da und der von da
sind nicht von hier und nicht wie wir
denn ich und du und er und sie
wir vier sind eben nicht wie die
und weder die noch der von da
kann sein wie wir das ist doch klar
selbst wenn er irgendwann vergisst
dass er von ganz woanders ist
und glaubt er wäre jetzt von hier
und wär jetzt auch genau wie wir
dann geht das nicht
denn wir bin ich und wir bist du
und er gehört da nicht dazu
und so zu sein wie du und ich
das will er in der Regel nicht
und ist ja auch richtig
und unwahrscheinlich wichtig
dass jeder weiß
wer er ist
und niemals vergisst
dass da da und hier hier
und die die und wir wir
weil das ist klar
dass die von da
und wir halt von hier
und zwar alle vier
ich
du
er und sie
und wären wir wie die
dann wärn wir ja von da
und daran scheitert’s ja
wärn wir von da und die von hier
dann wärn die wir und wir wärn die
und wir wüssten nie
wie es ist dieses hier sein
dieses ganz und gar wir sein
und weil nicht sein darf was nicht sein kann
fangen wir das erst gar nicht an
ich bleib ich
du bleibst du
er bleibt er
und sie bleibt sie
wir vier bleiben wir
und die bleiben die
und so bleibt alles irgendwie
genauso wie es immer war
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