So manchem Hausbesitzer können sie zum Verhängnis werden: Die Straßenbaubeiträge in NRW, auch ‚Strabs‘ genannt. In Erkrath sollten sie eigentlich gerade durch eine neuen Satzung kräftig steigen.
Auf den Tagesordnungen von Mobilitätsausschuss, Haupt- und Finanzausschuss sowie Rat steht eine Satzungänderung, die für viele Anwohner eine deutliche Steigerung der Straßenbaubeiträge beim geplanten Ausbau mit sich bringt, wenn sie so vom Rat beschlossen wird. Treffen würde das vor allem Anwohner der Hauptstraße / Prof.-Sudhoff-Straße, Bergstraße, Wielandstraße und Morper Allee.
In 8 von 16 Bundesländern zahlen Anwohner überhaupt keine Straßenbaubeiträgen. Dort wurden sie bereits abgeschafft, in Baden-Württemberg sind sie noch nie erhoben worden. Hamburg begründete die Abschaffung damit, dass die Ausgaben für die Erhebung der Beiträge die Einnahmen überschritten. In sechs Bundesländern ist die Erhebung der Straßenbaubeiträge freiwillig, bedeutet: Die Kommunen entscheiden selbst, ob sie sie erheben oder nicht. In Rheinland-Pfalz ist die Erhebung von Straßenbaubeiträgen für alle Kommunen Pflicht.
Auch in NRW gab es Bestrebungen zur Abschaffung. Der Bund der Steuerzahler sammelte rund ein halbe Millionen Unterschriften und die SPD stellte 2019 ein Antrag, der die Abschaffung der Straßenbaubeiträge forderte, aber nicht die notwendige Mehrheit fand. Gegen die Stimmen der Opposition wurde statt dessen Ende 2019 eine Reform der Straßenbaubeiträge beschlossen, die vorsieht, dass die Landesregierung jährlich 65 Millionen Euro zur Verfügung stellt, mit denen die Bürger zu 50 Prozent entlastet werden sollten. Theoretisch. Denn weder gibt es eine Garantie, dass die Entlastung ankommt, wenn der ‚Topf‘ fürs laufende Jahr leer ist, noch eine Pflicht für Kommunen den Antrag auf Förderung zu stellen. Das erklärt vielleicht auch, warum in den Jahren 2020 und 2021 nur 8,8 Mio. von den insgesamt 130 Mio. Euro abgerufen wurden, die zur Verfügung gestanden hätten. „Das zeigt einmal mehr, dass das System der Straßenausbaubeiträge nicht reformierbar ist. Sie gehören schlichtweg umgehend abgeschafft“, schreibt Stefan Kämmerling (MdL), der auch schon in Erkrath im Rahmen einer von der örtlichen SPD organisierten Veranstaltung zum Thema referierte, am 18. November 2021 dazu auf seiner Homepage.
Straßen- und Wegekonzept als Voraussetzung für die Beantragung entlastender Förderung
Im Mobilitätsausschuss und im Rat wurde im Frühjahr 2021 ein vorläufiges Straßen- und Wegekonzept beschlossen, das Voraussetzung dafür ist, dass die Stadt Förderungen zur Entlastung der Beitragszahlenden beantragen kann.. Eine Anlage zur Verwaltungsvorlage führt auf, welche Straßen und Wege beinhaltet sind. Als beitragspflichtige Maßnahmen sind hier die Hauptstraße / Prof.-Sudhoff-Straße, Bergstraße, Wielandstraße und die Morper Allee aufgeführt.
Beratungsfolge des vorläufiges Straßen- und Wegekonzept, Vorlagennummer 86/2021. Niederschriften zur Beratung und Abstimmung im Mobilitätsausschuss am 6. Mai 2021 und in der Ratssitzung vom 29. Juni 2021.
Vor Entlastung eine Anhebung der Straßenbaubeiträge?
Wähnten sich die betroffenen Anwohner im Frühjahr zumindest auf einem halbswegs guten Weg, weil sie auf Entlastung durch die von der Stadt geplante Beantragung der Förderung des Landes hofften, kam für viele gerade der Schock, der möglichen kräftigen Anhebung der Straßenbaubeiträge in Erkrath. Enthalten sind im Verwaltungsvorschlag auch Ausbaumaßnahmen, die bisher überhaupt nicht in die Berechnung eingeflossen sind, wie etwa unselbständige Grünanlagen (wie etwas im Zuge des Ausbaus angelegtes Straßenbegleitgrün), Wendeanlagen oder kombinierte Rad- und Fußwege. Bei den bereits in der alten Satzung geregelten Beiträgen sind an vielen Stellen deutliche Anhebungen vorgesehen.
Die Verwaltung argumentiert die Anhebung damit, dass die Satzung noch der alten Mustersatzung des Städte- und Gemeindebundes von 1976 entspricht und dass neun von zehn Städten im Kreis ihre Straßenbaubeitragssatzungen angepasst hätten. Das ist nach unserer Recherche nicht ganz richtig, es sind bisher nur acht. Auch die entsprechende Satzung der Stadt Velbert enthält noch die niedrigeren Beitragssätze.
Geplante Beratungsfolge der Satzungsänderung unter Vorlagennummer 26/2021: Mobilitätsausschuss am 9. Dezember 2021, Haupt- und Finanzausschuss am 14. Dezember 2021 und Rat am 16. Dezember 2021.
Unerwartete Wende im Mobilitätsausschuss
Schon bevor der Mobilitätsausschuss gestern begann, war aus Meinungsäußerungen von Grünen, BmU und Linken klar, dass sie die Erhöhung ablehnen würden. Aus der Vorgeschichte, wie der Veranstaltung mit Stefan Kämmerling in Hochdahl im Dezember 2019, war zu erahnen, dass auch die SPD in diesem Punkt nicht einheitlich mit der CDU abstimmen würde. Die Mehrheiten waren also nicht wirklich abzuschätzen. Und so war es am Ende ein Antrag der CDU, der forderte, dass der Tagesordnungspunkt abgesetzt und erst nach der Landtagswahl erneut behandelt werden sollte. Gegen den Antrag stimmten Grüne, BmU, Linke und FDP. Sie hätten die Satzungsänderung gerne an diesem Tag schon abgelehnt und sahen gute Chancen, dass es dafür eine Mehrheit geben könnte.
Am Ende fand sich jedoch eine Mehrheit für die Absetzung und Vertagung des Tagesordnungspunkt. Betroffene Anwohner müssen also weiter befürchten, dass sie im nächsten oder übernächsten Jahr zur Kasse gebeten werden und dann vielleicht die Straßenbaubeiträge höher ausfallen, als in der bisherigen Satzung vorgesehen.
Anwohnerstimmen
„Wir sind stinksauer“, spricht Kay Uwe Holzkamm (Blumen Holzkamm) von der Bergstraße sich zu einer möglichen Erhöhung der Straßenbaubeiträge aus. „Ich wohne hier seit 51 Jahren und kann mich nicht erinnern, dass hier mal wirkliche Sanierungsmaßnahmen stattgefunden haben. Die einzige größere Baumaßnahme war 1990 eine Erneuerung der Gasleitung.“ Dann sei da auch die Unsicherheit, dass kein Immobilienbesitzer genau wüsste, wie viel er für geplante Maßnahme aus Straßenbaubeitrag einzuplanen habe, ganz abgesehen davon, dass es vielleicht für einige kaum möglich sei, überhaupt noch größere zusätzliche Ausgaben einzuplanen. Damit spricht er sicher Immobilienbesitzern auf der Morper Allee aus dem Herzen. Die hatten im Sommer zum Teil schon erhebliche Zusatzausgaben durch die Flutschäden.
„Ich bin erschüttert, dass die Erhöhung hier so schnell und ohne große öffentliche Wahrnehmung beschlossen werden sollte“, ist auch Klaus Sauerwein von der Millrather Apotheke entsetzt. „Wir haben ja praktisch keinen Einfluss darauf, was vor unserer Türe gemacht wird und wie hoch die Straßenbaubeiträge für jeden Einzelnen ausfallen“, beschreibt er, was auf Immobilienbesitzer zukommen könnte. Die Bergstraße sei gewerblich genutzt und Gewerbetreibende würden schon über die Grund- und Gewerbesteuer einen erheblichen Beitrag leisten. „Noch viel schlimmer ist eigentlich, dass das jetzt unter Corona-Bedingungen geschehen sollte, die für viele schon eine finanzielle Belastung bedeuten. Ganz zu schweigen von der Flut und den Betroffenen auf der Morper Allee“, macht er die mögliche Mehrfachbelastung deutlich.
Straßenbaubeiträge im Wahlkampf zur Landtagswahl?
Keine Frage: Die Straßenbaubeiträge sind auch noch der Reform, die CDU und FDP gegen die Opposition im Landtag durchsetzten, ein heißes Eisen. Wir haben in den vergangenen Tagen mit den Wahlkreis-Direktkandidaten Matthias Stascheit (SPD) und Ina Besche-Krastl (Bündnis 90/Die Grünen) über das Thema gesprochen und beide gefragt, was sie darüber denken und wie sie und auch ihre jeweilige Partei mit dem Thema umgehen, wenn sie im Frühjahr möglicher Weise in den Landtag einziehen.
„Unser Wahlprogramm liegt noch nicht vor, aber ich bin zuversichtlich, dass die Abschaffung der Straßenbaubeiträge auch künftig Thema ist“, erklärte Matthias Stascheit (SPD) im Telefonat. Ganz persönlich hält der die Straßenbaubeiträge für längst überholt und sieht wenig bis gar keine Vorteile beim Straßenausbau für einzelne Anwohner. „Wollen wir es darauf ankommen lassen, dass Bürger künftig jeden Riss in einer Straße regelmäßig nachmessen und fotografisch dokumentieren, um den Kommunen dann später nachweisen zu können, dass sie die Straße so lange vernachlässigt haben, bis keine Sanierung mehr möglich war?“, nennt er ein Beispiel.
„Wir sind ganz klar für die Abschaffung der Straßenbaubeiträge“, spricht sich Ina Besche-Krastl für die Abschaffung aus. Auch sie ist der Meinung, dass der notwendige Aufwand mit den zu erwartenden Erträgen nicht im passenden Verhältnis steht (siehe oberhalb Abschaffung in Hamburg). Daran, dass von den 130 Mio. Euro, die das Land im Rahmen der Reform zur Entlastung bereitgestellt hat, nur 8,8 Mio. abgerufen wurden, sähe man, dass die Reform – außer mehr Bürokratie und Unsicherheit – offensichtlich wenig bringt.
Auch der Bund der Steuerzahler in NRW setzt sich auch nach der Reform weiter für eine Abschaffung der Straßenbaubeiträge in NRW ein.
Es ist sehr bedauerlich, dass auch SPD und AfD zusammen mit der CDU den Punkt vertagt haben, statt die vom Bürgermeister vorgeschlagene Erhöhung der Belastung für die Bürgerinnen und Bürger direkt abzulehnen. Auf Landesebene für die Abschaffung zu plädieren, in Erkrath aber sogar eine drastische Erhöhung bis zur Landtagswahl offen zu halten, passt nicht zusammen. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass hier frühzeitig Klarheit geschaffen wird.