Geschichten aus dem Tageshospiz

Von Stella Freitag

Foto: Ria Garcia

Wo fängt man an, eine Geschichte zu erzählen, mit der man ein ganzes Buch füllen könnte? Eine Geschichte, die vom Augenblick lebt – die über zwei Jahre so viele Menschen geprägt haben, dass man tief in seinem Gedächtnis graben muss, um alles noch zusammen zu kriegen.

Ich möchte es trotzdem versuchen und Sie mit auf eine kleine Reise durch unsere Zeit im Tageshospiz nehmen. Eine sehr intensive Zeit, die geprägt ist von den verschiedenen Charakteren, vom Miteinander, in dem Trauer und Sorgen Platz haben, vor allem jedoch gute Gespräche, der ein oder andere mehr oder weniger gute Witz und ganz viel Herz und Humor!

Seit April 2022 bietet unser Tageshospiz Platz für sechs Gäste, die mit ihren lebensverkürzenden Erkrankungen zu Hause leben und an zwei Tagen pro Woche die Möglichkeit haben, dem oft eintönigen Alltag zu entfliehen und Halt und Struktur in einer Gruppe zu finden, in der man sich oft ohne Worte versteht.

Dies ist eine besonders sensible Situation, was auch uns Mitarbeitenden immer wieder bewusst wird, wenn ein Gast verstirbt. Dann bedarf es eines besonderen Feingefühls, den anderen Gästen behutsam die Nachricht des Versterbens zu übermitteln. Dabei hat sich das Ritual etabliert, eine Kerze zu entzünden, wenn jemand verstorben ist, so dass jeder Gast die Möglichkeit hat, zu entscheiden, ob er gerade darüber sprechen mag oder nicht.

Neben dem „unvermeidlichen Gang der Dinge“ überwiegt bei uns die gute Laune und das lebhafte Miteinander. Viele Dinge haben wir schon gemeinsam erlebt: ein Besuch der Kirmes, des Erkrather Wochenmarkts oder des Unterbacher Sees. Wertvoll sind gerade die „kleinen Momente“: Auf Wunsch eines Gastes haben wir zusammen Kohlrouladen gerollt, mit Rhabarber aus dem Garten eines anderen Gastes leckeren Kuchen gebacken, oder uns gemeinsam köstlich amüsiert, wenn beim Rührei und Osterhasen-Zubereiten der Zucker mit dem Salz verwechselt wurde. Oder auf dem Erkrather Wochenmarkt mit dem Händler um den besten Preis fürs Lederportemonnaie gefeilscht.

Herzmomente

Gemeinsam haben wir überlegt, was für uns besondere Herzmomente sind, die uns hier über die Jahre begegnet sind, um festzustellen: Es sind unzählige. Oft sind es Momente, die einen überraschen und ein großes Gefühl auslösen. Was ich damit meine: Im letzten Jahr wurde ein Fernsehbeitrag für den WDR gedreht, bei dem schon gemeinsam die Tränen flossen, als die Gäste über ihre Erkrankung und die damit verbundenen Sorgen und Ängste sprachen. Nach der Ausstrahlung des Beitrages hat einer unserer Gäste eine langjährig vermisste Freundin wiedergefunden, die sie in dem Beitrag gesehen und ganz mutig bei uns angerufen hat. Ein Kontakt, der bis heute besteht!

„Wir füreinander“ wäre in meinen Augen ein guter Slogan für unser Tageshospiz. So hatten wir alle zu Weihnachten ganz feuchte Augen, als ein Gast als Dankeschön jedem eine „Pflegemünze“ mit persönlichem Dank für die tolle Unterstützung geschenkt hat. Auch hier gilt, es sind die kleinen Dinge, die zählen: Ein Gast, der selbst nicht mehr essen kann und für uns alle Kuchen mitbringt. Ein Gast, der sieht, woran es uns an der ein oder anderen Stelle noch fehlt und Salzstreuer aus seinem Fundus zu Hause stiftet. Die Gäste denken aneinander, schenken sich gegenseitig etwas zum Geburtstag, fragen nach, wenn wichtige Arzttermine anstehen, nehmen sich in den Arm und sind füreinander da.

Tanz und Kunst

Etwas Besonderes im Alltag des Tageshospizes ist die Tanztherapie. Edith Ohlendorf leitet die Gäste an, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen, ob im Stehen oder im Sitzen, oder einfach nur beim Lauschen der Musik. Es entstehen immer wieder wunderschöne Momente, in denen sich jeder auf sich fokussiert und in sich hineinhorchen kann. Genauso wertvoll für das Miteinander ist die Kunsttherapie. Oft entwickeln sich dabei tiefgehende Gespräche: Wenn nach dem Malen der Künstler erklärt, was ihn zu seinem Werk inspiriert hat. Es fließen auch mal Tränen – der Trauer, doch ebenso gut auch der Freude.

Ein Projekt mit der Kunsttherapeutin Tina Kreil ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Wir haben uns gegenseitig mit Kolleginnen und Gästen die für die anderen jeweils passenden Eigenschaften auf ein großes Bild geschrieben. So konnte man hinterher „schwarz auf weiß“ sehen, wie einen die anderen sehen. Da blieb kein Auge trocken – im positivsten Sinne. Seitdem hängt mein Kunstwerk zu Hause am Kühlschrank.

Während des Kunstprojekts haben wir ein solches Werk für einen Gast gemalt, der aufgrund seines Gesundheitszustandes oben ins stationäre Hospiz eingezogen war. Gemeinsam mit den anderen Gästen haben wir das Werk diesem Gast überreicht. So konnten sich alle von ihm verabschieden. Was für ein unglaublich emotionaler und schöner Moment.

Verbundenheit

Noch heute besuchen uns die Zugehörigen von ehemaligen Gästen im Tageshospiz. Sie bringen uns Leckereien mit und finden einen Raum, über ihre Trauer zu sprechen oder sich gemeinsam zu erinnern. 

Das Tageshospiz ist ein offener Raum für jeden Menschen und für jedes Gefühl – das macht es für mich zu einem so besonderen Ort. Wir teilen unseren Alltag miteinander, kennen die Zugehörigen der Gäste, begleiten, wenn jemand aufgrund seines Gesundheitszustandes ins stationäre Hospiz einziehen muss. Wir besuchen ihn oder machen es möglich, dass er uns im Tageshospiz, solange es geht, noch  besuchen kann. Was kann es Schöneres geben, als derart füreinander da zu sein?

Wir freuen uns über jeden neuen Gast, der ein Teil unseres Tageshospizes sein möchte!

Ansprechpartner im Tageshospiz:  Sebastian Pietschek und Stella Freitag. Trills 27, 40699 Erkrath. T: 02104-9372-0

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