Poetry Slam macht süchtig. Das feine Spiel mit den Worten fasziniert. Einmal Poetry Slam – Immer Poetry Slam.
Zum dritten Mal nach September 2023 und März 2024, veranstaltet Jan Schmidt, der längst über die Grenzen des Neanderlands hinaus für seine Poetry Slam Veranstaltungen bekannt ist, am vergangenen Dienstag in Unterfeldhaus ein Poetry Slam Event. Die Poeten der Poetry Slam Karawane machten halt in „Stockis Bistro“, eine für diese Veranstaltung ideale Location. Eine feine Wohlfühlzone mit Verwöhn Charakter. Man kann diese Veranstaltung und auch den Ort inzwischen als festen Bestandteil des Kulturprogramms in Erkrath bezeichnen. Wie im Kino können sich die Zuschauer vor der Vorstellung mit Getränken und Snacks eindecken und sich dann dem Dichterwettstreit der Poetry Slamer hingeben.
Interpretation Jan Schmidt : Poetry Slam ist ein angesagtes Bühnenformat der Gegenwart im weiten Feld zwischen Lyrik, Comedy, Kabarett und Prosa – wortgewaltig, divers und interaktiv: mitreißende Bühnenliteratur, fesselnde Performance, bewegende Texte, mal witzig, mal ernst, mal kritisch. Einst ein Geheimtipp, hat sich dieses Format zu einer der angesagtesten Literatur-Performances – und zu einer der größten Szenen der Welt entwickelt – und nicht nur das: Seit 2016 sind die modernen Dichterwettstreite ganz offiziell und zu Recht als immaterielles UNESCO Kulturerbe anerkannt.
Jan Schmidt, gebürtiger Wülfrather und Teilnehmer am NDR-Comedy-Contest, erklärte zu Beginn die drei wichtigsten Regeln des Poetry-Slams: Erstens, die Texte müssen selbst geschrieben sein. Zweitens, es gilt ein Zeitlimit von sechs Minuten „danach wird der oder die Vortragende von der Bühne geschubst“ und drittens, es gibt keine besondere Kulisse, keine edle Garderobe und keine Requisiten. „Es dürfen auch keine niedlichen Meerschweinchen ans Publikum verteilt werden, um sich einzuschmeicheln.“ Nur der Text, der Inhalt und die Vortragsweise sollen wirken. Aber das Wichtigste steht noch über diesen drei Grundregeln: „Respect the poets!“
Jeder Wettbewerb braucht eine Jury. „Hierfür können sich spontan fünf Zuschauer aus dem Publikum melden. Wer sich angestrengt weg duckt, wird genommen“, erklärte Schmidt. Die Jury werde mit Zahlentafeln von eins bis zehn ausgestattet und solle, je nach Stärke des Applauses ihre Punkte vergeben. Ungefähr 60 Zuschauer und Zuhörer waren gekommen. Viele waren auch das erste Mal dabei, aber das Erkrather Publikum war unglaublich motiviert und voll Vorfreude. Der Testapplaus für die Jury in einer Stärke der Punktzahl zehn fegte den Moderator fast von der Bühne. Wunderbar, so beginnt ein begeisternder Abend.
Da dieses Mal sechs Poeten teilnahmen, traten in der ersten Runde jeweils zwei im Duell gegeneinander an. Die drei Gewinner aus Runde eins zogen später ins Finale.
Duell Nummer 1: Sandra da Vina und Marabu
Sandra da Vina lief kichernd aufs Podium und stimmte das Publikum auf ihren albernen Vortrag ein. (Was durchaus positiv gemeint ist.) Das Publikum lachte zurück und Sandra äußerte trocken: „Ich berichte über den Herbst.“ Und schon legte sie los: „Die Wespen fliegen nach Süden, der Sommer geht“. Sie malte den Herbst mit ihrer ganz eigene Wahrnehmung aus. Ihr gruselte bei dem Gedanken, dass wieder die Kürbisse ausgehöhlt werden, die Diskussion mit den Messern geht los. Der Herbst mache müde und sie schläft im Zug ein, mit offenem Mund, jeder kann ihr Innerstes sehen und ein Scherzbold meinte ihr einen Döner in den Mund stecken zu müssen. Sie stellte sich vor, dass Günther Jauch auch der Herbstmüdigkeit zum Opfer fällt. Sie fand der Herbst brächte alles durcheinander. Der Herbst bereite auf den Winter vor, wenn man zusammenrückt und die Pärchen an ihr gemeinsames Lied denken. Der Herbst mache sie traurig, sie habe kein gemeinsames Lied, nur „Geräusche die in der Müslischale kratzen“. Die Zuschauer lachten begeistert über ihre gedanklichen Kapriolen und die Jury belohnte sie mit 24 Punkten.
Sandra da Vina: Bekannt durch Auftritte bei Ladies Night oder auch mal bei Nightwash, Alfons und Gäste oder anderen TV-Comedyshows. Sandra hat die einzigartige Gabe den Alltag so pointiert zu analysieren, dass man Tränen lacht und sich gleichzeitig ertappt fühlt. Das alles gepaart mit einem wundervollen Hang zum Absurden, einem unvergleichlichen und eindrucksvollen Schreib- und Vortragsstil macht die NRW-Slam-Siegerin von 2014 zu einer der besten ihres Fachs. Sie stand schon auf der Bühne der Elbphilharmonie und moderiert den Konrad-Duden-Journalistenpreis.
Da hatte es der Newcomer Marabu schwer sich gegen einen solchen Profi zu bewähren. Aber auch er schlug sich ehrenhaft und trug fünf kleine Gedichte vor. Er begann mit einem sehr zweideutigen zum Thema Liebe und löste sich auf in die Zuneigung zur Schweinehaxe. Dann, ganz im Sinne von Eugen Roth, ließ er sich über fragwürdige Heilmittel aus. Er stellte die Salbe Quak vor und beschrieb die wundersame Wirkung je teurer sie wurde. Auch beschrieb er die Deutschen Urlauber mit ihren Eigenheiten. Bezeichnete sie als die Träger einer Leitkultur, deren Tugend am meisten geschätzt würde, wenn sie wieder abreisen. Auch über das Filmen und die Unken hatte kleine Gedichte und bekam nach viel Applaus 20 Punkte von der Jury.
Marabu: Lokalheld aus Erkrath. Unter seinem Künstlernamen Marabu wird eine seiner ersten Bühnenerfahrung beim Poetry Slam in Stockies Bistro machen. Er selbst beschreibt seinen Stil als satirische Gedichte und Sprachspielereien, angelehnt an Heinz Erhard und Eugen Roth.
Duell Nummer 2: Lea Weber und Marvin Suckut
Lea Weber nannte ihren Vortrag in Reimform „rot, blau, braun und gelb“. Sie beschrieb ohne Manuskript die Entstehung blauer Flecken bei Verletzungen. Dass sie sich als Kind immer wieder blaue Flecken geholt habe, dass sie immer vorsichtiger wurde, dass jeder ihr sagte, dass sie aufpassen müsse. Sie beschrieb, wie sie Gesellschaft mied, um nicht anzuecken und wies daraufhin, dass diese blauen Flecken nicht immer nur äußerlich passieren, sondern, dass es sie auch innen gibt. Es war ein beeindruckender, sehr gut vorgetragener Beitrag. Es war kein Mucks aus dem Publikum zu hören, so nahm sie alle in ihren Bann. Das wurde mit einem tosenden Applaus und 28 Punkten von der Jury belohnt.
Lea Weber: Seit 2015 tourt sie mit ihren Texten über die Poetry Slam-Bühnen Deutschlands und zeigt den Menschen wie eindrucksvoll Lyrik und Spoken Word sein kann. Sie wurde 2022 hessische Vizemeistern, nachdem sie bereits 2017 hessische U20 Meisterin wurde. Im Jahr 2023 erhielt sie den Wilhelm-Fabry-Förderpreis und war Preisträgerin beim Wettbewerb „Slammt Tacheles! Poetry Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“. Lea schafft es einen feinen Seiltanz aus Spoken Word und Geschichten zu spannen, der ihr Publikum immer wieder aufs Neue komplett in ihren Bann zieht. Mit feinsten Beobachtungen seziert sie die Gefühle der Welt und löst gleichzeitig viele aus.
Marvin Suckut sagte nur „Mallorca“ und das Publikum lachte schon in der Erwartung, dass jetzt ordentlich über deutsche Urlauber hergezogen wird. Und es wurde nicht enttäuscht. Die Szenen, die sich schon im Flugzeug auf dem Hinflug abspielten, waren zu komisch, es gipfelte in der Ansage des Flugkapitäns: „Hier spricht nicht die Deutsche Bahn, wir werden pünktlich landen.“ Über Junggesellenabschiede landete er bei Renate (60), die unter Drohungen, jünger geschätzt werden will auf Abenteuer wartet und ihrem Ehemann Herbert, der ab Hüfte aufwärts nach Party aussieht und ab Hüfte abwärts mit Zipper Hosen über Tennissocken und Sandalen sowie Karabinerhaken am Gürtel für sein Portemonnaie „alles safe“ signalisiert. Der Vortrag war ein Schenkelklopfer, das Publikum lachte Tränen und die Jury belohnte den Vortrag mit 30 Punkten.
Marvin Suckut: Aus Konstanz reist der Mann mit dem kargen Haupthaar zu uns nach Erkrath und seine Mission dabei ist klar: das Publikum bis zum Bauchmuskelkrampf in Lachekstase versetzen. Marvin Suckut liest eigentlich nur ganz normale Geschichten vor, aber seine Eloquenz und Beobachtungsgabe machen jede noch so gewöhnliche Szene zu einem absoluten Highlight. Er ist zweifacher Vize-Meister Baden-Württemberg, wurde einmal BaWü-Meister und stand bereits im Finale der deutschsprachigen Meisterschaften.
Duell Nummer 3: Deborah Lemaître und Florian Stein
Deborah Lemaître hatte ein ernstes Thema, sie sprach in Reimform über Depressionen. Darüber wie die Gedanken hin und her gehen, die Schlaflosigkeit, wach liegen und gerädert aufwachen, dass sie die Krankheit morgens erdrückt, weil die Nacht wieder so schwer war. Die ständige Angst die Kontrolle zu verlieren, nicht loslassen können. Die Zerrissenheit über die Widersprüche in der Welt. “Fragen über Fragen, die Last kann man nicht alleine tragen.” Es war still im Saal, es war so gut, so treffend formuliert und dann erst kam der verdiente heftige Applaus. Die Jury belohnte den Vortrag mit 26 Punkten.
Deborah Lemaître: Wir freuen uns immer riesig, wenn wir Lokalheldinnen aus der Region bei ihren ersten Auftritten begleiten dürfen und auch dieses Mal findet sich eine Newcomerin auf unsere Bühne wieder. Aus Langenfeld kommt Deborah und nimmt nun ihren Mut zusammen, um uns ihre gefühlvollen Texte zu präsentieren.
Florian Stein trug sein “Heldenepos” von Äpfeln und Birnen theatralisch und höchst genüsslich – als sei es ein Stück von Shakespeare – in Reimform vor. Das Königreich der Äpfel erhob sich über das Reich der Birnen, jede Frucht pries ihre Vorzüge. Es wurde immer wilder, die Sprache ging in einen Rapp über, es wurde unglaublich Wortgewand und wortgewaltig, dass sogar Zwischenapplaus aufkam. Auf jeden Fall entwickelten am Ende die Äpfel und Birnen eine Fruktose Toleranz mit der Feststellung, sie seien ja beides Obst. Großer Applaus und 29 Punkte waren das Ergebnis.
Florian Stein: Der Wahl-Essener ist ein wahrer Wirbelwind auf der Bühne. Leichtfüßig balanciert der Performance-Poet zwischen Politik und Alltag, zwischen Realität, Philosophie und Unsinn. Immer energiegeladen und bissig, doch auch nie um ein Augenzwinkern verlegen, spricht der NRW-Slam-Finalist von 2017, 2018 und 2023 über das Mit- und Gegeneinander unserer Welt und sicherte sich damit innerhalb kurzer Zeit völlig zurecht seinen verdienten Platz in der Top-Etage der Slam-Landschaft.
Das Finale
Mit jeweils neuen Vorträgen zogen Sandra da Vina (r.), Marvin Suckut (m.) und Florian Stein (l.) ins Finale. Foto: Timo Kremerius
Sandra Da Vina berichtete von ihrem Eulenproblem. Dass sie als Kind mal erzählt hatte, sie hätte eine Eule gesehen, die war ganz niedlich. Das war die Schublade, aus der sie nicht mehr rauskam. Zu jedem Geburtstag, zu jedem Anlass bekam sie nun irgendetwas mit Eulen geschenkt. Sie hasste mittlerweile Eulen, stellte die geschenkten Sachen auf ebay ein und erwischte Verwandte die stolz ihr ein Geschenk mitbrachten, welches Seltenheitswert hat und nur noch über ebay zu bekommen sei. Sie verzweifelte über diese Eulenepidemie und beklagte sich bei ihrer Oma. Doch Oma meinte, da müsse jeder durch, sie hätte auch damals 10 Jahre lang Selbstgemachtes von ihr bekommen und es gehasst. Oh je, wie kam das alles dem Publikum bekannt vor…
Marvin Suckut erzählte, dass er in Zürich mit anderen Literaten in den Zoo eingeladen worden wäre. Dort bekam jeder ein Tier zugewiesen, über das er schreiben und bei Führungen reden sollte. Suckut erhielt den Flamingo. Seine Überlegung war, es gäbe Superman, Batman, warum gibt es keinen Flamingo man. Also kreierte er den Flamingo man. Und damit es dem Publikum leichter fiel sich an den neuen Superhelden zu gewöhnen, rief er “Fla” und das Publikum rief “Mingo man”. Er überlegte laut, was für Superkräfte er wohl haben könnte. Es scheiterte an den Zahnstocher Beinchen, obwohl die Eleganz auf einem Bein, das könnte Mikel Jackson unter den Tieren sein. Aber auch rosa war nicht gerade eine Tarnfarbe. Alle amüsierten sich köstlich bei diesem Blödsinn.
Florian Stein erzählte von einem Mister Ele mit Nachnamen Fant, der einen kleinen, aber feinen Porzellanladen liebte. Er ging hinein und erwartungsgemäß zerbrach er eine Vase. Mister Ele war außerdem sehr kontaktfreudig und seines gleichen interessierte es gar nicht wo sie waren, sie zerbrachen immer mehr. Es wurden Horden, die Mister Ele besuchten und am Ende alles kaputt machten. Was war die Moral der Geschichte? “Wer nichts von Zerbrechlichem versteht, sollte sich nicht mit Zerbrechlichem umgeben.”
And the Winner was: Marvin Suckut
In guter Tradition wartete auf den Sieger ein Beutel mit Gegenständen, die zuvor im Publikum eingesammelt wurden. Jan Schmidt erwähnte, dass sich in diesen Beuteln über die Jahre schon alles befunden hätte, ein BH, eine Dose Gulaschsuppe, gekochte Eier, halt alles, was das Publikum so zufällig in der (Hand-)Tasche hat, wenn es zu einer Veranstaltung geht. Gestern war es unter anderem ein Paket Glückskekse und das war doch ein schöner Abschluss für eine gelungene, unterhaltsame Veranstaltung, die aufgrund des zeitgleich stattfindenden Länderfußballspiels Deutschland gegen Holland dieses Mal nicht ganz so gut besucht war, wie gewohnt.
Jan Schmidt wies noch daraufhin, dass er die NRW Poetry-Slam Meisterschaften in den Kreis Mettmann holen konnte. Diese werden 2026 in allen 10 Städten des Kreises Mettmann dann stattfinden.
Zuschauer Feedback
„Wir haben Sandra da Vina vor Jahren mit einem Soloprogramm im Road Stopp in Mettmann gesehen und kommen seit dem immer wieder zu ihren Vorstellungen, wenn sie in der Nähe ist“, outeten sich Vera und Stefan als Fans. Als sie sahen, dass Sandra da Vina in Stockies Bistro auftritt, hätten sie sich sofort Karten gekauft. „Wir sind heute zum ersten Mal bei einem Poetry Slam. Aber das war bestimmt nicht das letzte Mal“, zeigten sich Cora und Steffi begeistert. Auch Annegret und Rolf Schneeweiß waren auch zum ersten Mal beim Poetry Slam. „Cool und empfehlenswert“, resumierten sie und werden sicher zu Wiederholungstätern.
Auch erstmals dabei waren Cornelia und Gerd. „Gerd hat die Tickets zu meinem Geburtstag besorgt“, verriet Cornelia. „Ich fand es sehr unterhaltsam“, sagte Claudia. Einzig, dass Jan Schmidt zu laut und amerikanisiert rüberkam, hätten sie als ein wenig störend empfunden. Aber da waren die beiden wohl so ziemlich die Einzigen, denn neben den „Ersttätern“ des Abends waren viele schon zum wiederholten Male bei einem Poetry Slam, der von Jan Schmidt moderiert wurde.
Fazit: Geniale Unterhaltung. Gelegenheit unsere modernen Dichter und Denker kennen zu lernen. Für das leibliche Wohl war gesorgt und die Besucher gingen nach einem schönen und unterhaltsamen Abend entspannt nach Hause.
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