Erkrather Hochwasserhilfe fürs Ahrtal

Von 'Normal' ist man im Ahrtal immer noch weit entfernt, wie unsere Kollegin Susann Krüll auf der Fahrt mit Marten Wirtz feststellte. Foto: SK

Marten Wirtz ist einer von unzähligen Helfern, die sich den ‘Ahr-Helfer-Virus’ eingefangen haben. Im Gegensatz zu dem weltweit grassierenden Sars19-Covid-Virus ist dies aber einer, dem man eine große Ansteckungskraft wünscht.

Auch mich hat es gepackt, als ich Marten begleiten durfte. Der engagierte Erkrather brachte kürzlich die von der Hochwasser-Hilfe Erkrath nicht mehr benötigten Sachspenden ins zentrale Sachspenden-Verteilerzentrum nach Geldorf. Nicht nur dort wird die Unterstützung durch ehrenamtlich Helfende weiterhin dringend benötigt. – Ein Bericht von einer Tour voller bedrückender, aber auch mutmachender Eindrücke.

Auch sechs Monaten nach der verheerenden Flutkatastrophe, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli das schmale, landschaftlich reizvolle Tal zerstörte, ist trotz riesiger Fortschritte bei den Aufräumarbeiten kaum ein Haus nicht von der unvorstellbaren Zerstörungskraft des Wassers gekennzeichnet. Viele sogar so stark, dass sie wohl nicht mehr aufgebaut werden können. Oder ihren Besitzern fehlen die Mittel, dies zu finanzieren. Nicht nur sind zugesagte Hilfsmittel des Landes noch nicht angekommen, viele Einwohner des Ahrtals hatten auch keine Versicherung, die Hochwasser-Schäden abdeckt. In Dernau sprachen wir im Versorgungszelt, das Linda Koll mit ihrer Cateringfirma „Formbar“ aus Hilden noch immer betreibt, mit einem Betroffenen. „Linda? Das ist eine Gute. Wenn man ihr sagt, dies oder das bräuchten wir, dann besorgt sie das irgendwie und bringt es am nächsten Tag mit“, so ein Anwohner, dessen Urteil über Landesmutter Malou Dreyer sehr viel weniger begeistert ausfällt. „Die und andere Politiker kommen doch nur zu Presseterminen hierher. Da wird vorher noch schnell aufgeräumt und gefegt, damit die sich ihre Schuhe ja nicht dreckig machen“, so sein bitterer Kommentar. Zwar wolle er nicht klagen, und wenn könne er das auch nur auf hohem Niveau. “Andere bei uns im Tal hat es weitaus schlimmer getroffen als meine Familie und mich.“ Schließlich hätte er im Gegensatz zu vielen anderen eine Versicherung gehabt. „Die hat alles, was der Sachverständige an Empfehlung abgegeben hat, anstandslos bewilligt. Allerdings bin ich da einer der Wenigen am Ort, bei dem das so reibungslos funktioniert hat“, weiß er aus den Berichten anderer. Er glaube nicht, dass alle, die jetzt irgendwo anders untergekommen sind, weil ihre Häuser noch immer unbewohnbar seien, auch irgendwann zurückkehren werden. Seiner wenig optimistischen Sicht auf die Zukunft widersprechen zahlreiche handgeschrieben Schilder oder gesprühte Nachrichten an beschädigten Hauswänden: „Aufgeben ist keine Option“ oder „Wir kommen wieder“.

Eine bedrückende Fahrt durch das Ahrtal

Marten Wirtz war seit August mehrfach zusammen mit seiner Frau und Tochter sowie Freunden und Bekannten aus Erkrath im Ahrtal, um zu helfen. Seit dem letzten Einsatz sind einige Monate vergangen. Als er jetzt durch die Orte im Tal fährt, ist er einerseits überrascht, wie viel Schutt, Erde und Schrott, der überall angespült war, durch professionelle und ehrenamtliche Helfer inzwischen weggeräumt wurde. Anderseits ist er sichtlich betroffen, wie viel noch zu tun ist, damit die Bewohner der kleinen Orte wieder hier leben können.

Auf der Fahrt von Ahrweiler aus nach Mayschloß bis hinter Laach ist die Straße zumindest so wieder hergerichtet, dass sie ampelgeregelt einspurig befahrbar ist. Aber man sieht immer noch überall, wie zerstörerisch die Kraft des Wassers war. Besonders deutlich zeigt sich diese beim Blick auf die Reste einer Fußgänger- und Fahrradbrücke hinter Laach, deren Reste nach wie vor über die Ahr ragen. Nachdem wir umdrehen müssen, weil die Straßenbauarbeiten noch im vollen Gange sind, halten wir auf der Rückfahrt noch in Walporzheim. Hier führt Marten mich hinunter zur Ahr, vorbei an einer Klinik, deren schöne alte Parkanlage noch immer die Sprache der Zerstörung spricht. „Unterhalb des Klosters von Ahrweiler auf der anderen Seite hat sich der Fluss auf ein neues Bett gesucht, weil sich im alten Verlauf in der Schleife, die er dort macht, jede Menge Schlamm und Sedimente, die er mitgeführt hat, aufgehäuft haben“ erzählt Marten und zeigt auf die vom Fluss aufgeschüttete Fläche, auf der bereits Gras und andere Pflanzen wachsen. „Der gesamte Boden ist kontaminiert, keiner weiß so genau, was der Fluss alles mit sich geführt hat in der Nacht der Katastrophe,“ so Marten mit sorgenvollem Blick auf zwei Mandarin-Gänse, die dort Grünzeug abzupfen.

Foto: SK

Mit seiner Frau Nina und Tochter Leonie hat er ein Stück weiter das Ufer hinauf den Schrebergarten eines älteren Ehepaars von der kontaminierten Erde befreit. „Erst haben wir nicht ganz verstanden, warum uns die Verantwortlichen vom Helfer-Shuttle dazu eingeteilt haben. Als uns die Beiden dann aber erzählt haben, dass sie alles verloren haben und ihr Zuhause nicht mehr bewohnbar ist, haben wir verstanden, dass ihnen hier ein Stück Normalität wiedergegeben werden sollte.“ Vorher sind wir bereits an einem Feld mit Rebstöcken vorbeigekommen, wo der gelernte Gärtner ebenfalls eingesetzt war. „Mit einer größeren Gruppe Helfer haben wir den Boden zwischen den Rebstöcken zwanzig Zentimeter tief abgetragen, sonst hätte der Winzer seine ganzen Rebstöcke, die er in der Ebene angepflanzt hatte, verloren. Der Schlamm, mit dem hier alles überzogen war, war auch mit allem Möglichem belastet, das man nicht in den Trauben finden möchte“. Nach wie vor kann man das, was an Flutwein noch übrig ist, in den Winzerein, z. B. bei der Genossenschaft in Mayschoß, oder auch in Ahrweiler erwerben und den gebeutelten Winzern hoffentlich die Existenz in Deutschlands kleinstem Rotwein-Anbaugebiet sichern.

Freude im Verteilerzentrum

Anlass für diesen eindrucksvollen Tag im Ahrtal war der Transport von bei der Hochwasserhilfe Erkrath nicht mehr benötigtem Equipment. Marten Wirtz hatte sich nach Rücksprache mit den Ehrenamtlern bereit erklärt, diese nach Geldorf zu bringen. Durch seine Kontakte zu den Verantwortlichen des Helfer-Shuttles hatte er den Kontakt dorthin vermittelt bekommen. Dort angekommen wurden wir von Sabine der Leiterin des Versorgungszentrums in Empfang genommen, die uns direkt wissen ließ, dass nur das, was sie für gut befindet, auch in die Halle gelangt. Als Marten die Hintertüren des geräumigen Transportes, den Christoph Plante ihm kostenfrei für die Tour zur Verfügung gestellt hatte, öffnete, huschte ein breites Lächeln über ihr Gesicht. Die mitgebrachten Gerätschaften und das Reinigungsmaterial, für das der Verein Erkrath hält zusammen, der die Hochwasserhilfe in Erkrath koordiniert, keinen Bedarf mehr hatte, fanden ihre Zustimmung. Alles wurde von den herbeigerufenen Ehrenamtlichen auf eine Palette geladen und in das Innere der riesigen Lagerhalle gefahren, die das Land Rheinland-Pfalz im Gewerbegebiet von Geldorf aufstellen ließ.

Philip, einer der Freiwilligen, die dort arbeiten, führte uns dann durch die Halle und erklärte, wie die Organisation funktioniert. Zwei Tafeln direkt hinter dem großen Rolltor, durch das die gelieferten Waren in die Halle kommen, erregten unsere Aufmerksamkeit. „Wir haben uns überlegt, wie das neue Jahr für die Betroffenen gut beginnen kann. Also haben wir die Wunschzettel-Aktion gestartet bei dem jede und jeder einen Wunsch aufschreiben konnte“, erklärte Philipp, der von Beruf Sanitäter ist. Er hat direkt nach der Hochwasser-Nacht an zahlreichen Orten unten im Tal geholfen. Seit Oktober arbeitet er immer im Versorgungszentrum, wenn es die Zeit zulässt. Denn bis auf Sabine, die als studierte Touristik-Fachfrau bereits auf Kreuzfahrtschiffen als Verantwortliche für Service- und Reinigungspersonal und zuletzt in einer großen Catering-Firma gearbeitet hat, sind hier nur Freiwillige tätig. „Das ist mein bisher bester Job, auch wenn ich sieben Tage die Woche jeweils rund 10 Stunden hier bin,“ so Sabine, der man ob des Glänzens in den Augen, sofort glaubt, wie befriedigend diese Arbeit für sie ist.

Auch die Ehrenamtlichen, die zurzeit hauptsächlich aus dem Ahrtal selbst oder aus der näheren Umgebung stammen, sind Wiederholungstäter. So auch die beiden Frauen, die am Eingang die so genannten Berechtigungsausweise sowie Personalausweis und 2G-Zertifikate überprüfen. Einmal die Woche kommen die Berechtigten hierher zum ‘Einkaufen’. Natürlich erhalten sie das, was sie an Lebens-, Kosmetik- und Reinigungsmitteln sowie Kleidung, Einrichtungsgegenständen bis hin zu gespendeten Waschmaschinen brauchen, kostenlos. „Nur Getränke-Pfand und Bier müssen bezahlt werden. Von diesen Einnahmen können wir dann zum Beispiel die Wünsche von der ‚Wunschwand‘ erfüllen oder Dinge, die wir gerade nicht gespendet bekommen, dazukaufen“, erklärt Phillipp bei dem Rundgang vorbei an gut gefüllten Regalen und Kleiderstangen. „Die Kleiderspenden stammen noch aus der großen Sammelaktion am Nürburgring direkt nach dem Hochwasser. Es gibt noch einige Übersee-Container voll mit Kleidung. Wir fordern daraus an, wenn wir Nachschub benötigen.“

Auch an der Abteilung mit den Büchern kommen wir vorbei und verstehen, angesichts der vorhandenen Menge, dass Sabine eine Warenzugangskontrolle betreibt. Mit einem guten Gefühl und Bewunderung dafür, wie die Ehrenamtlichen unter Sabines Leitung die noch immer benötigte zentrale Versorgungsstation für die Betroffenen managen, ging es von Geldorf weiter zum Helfer-Shuttle-Standort in Grafschaft oberhalb des Ahrtals.   

Helfer-Shuttle–Transfer-Neustart  ab 1. März

Als Marten vor dem Gelände im Grafschafter Gewerbegebiet steht, staunt er nicht schlecht, was sich hier getan hat. Er hat das Gelände als durchweichte Wiese in Erinnerung, auf der zahlreiche Helfer campten, in Wohnwagen schliefen und sich zum Essen im Versorgungszelt ohne Boden trafen. Eine ganze Zeltstadt, in der sowohl Materialzelt als auch das riesige Versorgungszelt inzwischen einen festen Boden aus Betonplatten erhalten haben, ist hier entstanden, bzw. wird gerade aufgebaut, mit Containern für Material und einem Büro für das Organisationsteam.

Zutritt in die Zelte erhält man bei unserem Besuch nur mit 2G und tagesaktuellem Test, den Marten vorsorglich gemacht hatte, ich aber nicht. Doch konnte ich diesen direkt im Zelt bei Brigitt, einer gelernten Krankenschwester, die seit dem letzten Jahr immer wieder aus Niedersachsen zum Helfen anreist, machen lassen. Heute ist sie mit Dagmar zum Zeltdienst eingeteilt. Anders als Birgitt stammt diese aus der Gegend und hilft von Beginn an bei der Essensausgabe für die Helferinnen und Helfer. „Brigitt zaubert die leckersten Nachtische, wie hier heute den Joghurt mit Früchten“, lobt sie. Die warmen Mahlzeiten werden einmal am Tag von einem Caterer geliefert, Süßes und Obst stammt aus den Vorräten im Geldorfer Verteilerzentrum. Beide kommen ins Plaudern, als Marten sich als Helfer outet, der noch die alten Zustände kennt.

„Der Zusammenhalt zwischen den Helfern macht süchtig“, sagen beide auf die Frage, warum sie nun schon seit Juli ehrenamtlich helfen. „Damals war die Stimmung wie bei einem Festival. Wie in Wacken, da wie hier haben die Helfer im Schlamm gezeltet“, versucht Dagmar zu beschreiben, wie trotz der Strapazen der Zusammenhalt und die Stimmung unter den Helfenden Festival-ähnliche Züge aufwies. In den Monaten nach der Katastrophe kamen hunderte oder auch schon einmal mehr als 3000 Hilfswillige, die von hier aus mit Bussen zu den Einsatzgebieten ins Tal gefahren wurden. „Hungrig und verdreckt kamen sie dann zurück hierher und holten sich eine warme Mahlzeit. Und jede Menge Süßigkeiten aus der nebenliegenden Haribo-Fabrik“, erinnert sich Marten und wird von Birgitt auf einen Korb mit Tüten voller Süßem, bzw. in dem Fall Saurem, aufmerksam gemacht. „Die bekommen wir immer noch direkt aus dem Werk“, so ihr Kommentar.

Als zwei Neuankömmlinge das Zelt betreten, werden auch sie nach 2G und einem aktuellen Test gefragt. Letzteren können beide nicht vorweisen, so dass Birgitt wieder in Aktion tritt. Als sich herausstellt, dass sie ihren Sohn Leon, der hier seit einigen Monaten fest angestellt ist, besuchen wollen, sind die beiden Frauen voll des Lobes für den jungen Maschinenführer, der gerade mit einem Kollegen das Zelt betritt. Etwas schüchtern verrät er, dass heute sein Geburtstag ist und seine Eltern mit selbstgebackenem Kuchen gekommen sind. Er gehört zu dem Trupp Helfer, die auch jetzt, wo das Helfer-Shuttle Pause macht, hier sind und die betreuen, die eigenständig zum Helfen ins Tal fahren. Leon, der aus Lemgo stammt, ist mit Unterbrechung seit der zweiten Woche nach der Hochwassernacht immer wieder zum Helfen im Tal. „Früher habe ich als Fahrer die Leute zum Einsatz gefahren, jetzt bin ich im Organisationsbereich tätig“, erzählt er. „Wir helfen den Betroffenen zum Beispiel bei Umzügen oder bei Stemm- und Aufräumarbeiten. Es gibt immer noch mehr als genug zu tun“, so der gerade 24 Jahre alt gewordene Maschinenführer. Auch er sei ‘süchtig nach dem Helfer-Shuttle’, wie die beiden Frauen, die sich mit Kaffee zu Leon und seinen Eltern gesetzt haben und sich den Geburtstagskuchen schmecken lassen.

Marten und einige seiner Freunde und Bekannten hatten sich in einer WhatsApp-Gruppe zusammengetan, um Fahrgemeinschaften zum Helfer-Shuttle-Einsatzort in Grafschaft zu bilden. Im März, wenn es wieder losgeht mit der dort koordinierten Hilfe, wollen sie wiederkommen. „Gern können sich per Mail weitere Interessierte melden. Nachdem ich gesehen habe, wie viel hier noch zu tun ist, wird wirklich jede Hand gebraucht“, lädt er zum Helfen ein.

Wer, wie ich, keine körperlich schweren Arbeiten verrichten kann, meldet sich dann vielleicht auch bei Sabine im Sachspenden-Verteilerzentrum. Denn auch hier sind sie, besonders am Wochenende, froh über zusätzliche Helferinnen und Helfer.   

Infos

Sachspenden-Verteilzentrum: Albert-Einstein-Str. 8¸53501 Geldorf. Welche Spenden aktuell benötigt werden, findet sich auf deren Website: verteilerzentrumahrtal.de. Wer ehrenamtlich beim Annehmen und Ausgeben der Sachspenden helfen möchte, ist sehr willkommen. Kontakt: info@verteilerzentrumahrtal.de oder mobil: 0171 6 94 49 45.

Helfer-Shuttle: Infos auf deren Facebook-Seite unter helfer-shuttle.de

Kontakt zu Marten Wirtz zur Aufnahme in die WhatsApp-Gruppe für Erkratherinnen und Erkrather, die ab März, wenn das „Helfer-Shuttle“ seine Arbeit wieder aufnimmt, ins Ahrtal zum Helfen fahren wollen, per Mail an: martenwi@aol.com. 

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