Einblicke in Fluchterfahrung

von Susann Krüll

'Träum das mal nach' in der Stadthalle Erkrath. Foto: Susann Krüll

Anrührende und nachdenklich stimmende Einblicke in Fluchterfahrung gab es vor kurzem in einer Veranstaltung in der Stadthalle, die der Freundeskreis für Flüchtlinge unter dem Titel ‘Träum das mal nach’ organisiert hat.

Der Freundeskreis für Flüchtlinge in Erkrath e. V. zeigte vor Kurzem die mit Fördermitteln der UNO-Flüchtlingshilfe gedrehte Dokumentation ‘Träum das mal nach – was Menschen im Krieg und auf der Flucht erlebt haben’. Erkrather Neubürger aus dem Iran, dem Irak, Syrien und der Ukraine gaben einen Einblick in ihre persönlichen Erlebnisse mit Krieg, Vertreibung sowie Flucht. Auch ließen sie die Zuschauer wissen, was ‘Heimat’ für sie bedeutet.

Begrüßung und Projektvorstellung

Zu der Premiere der eindrucksvollen Dokumentation kamen rund 200 Zuschauer in die Erkrather Stadthalle. Das musikalisches Rahmenprogramm gestalteten Mitglieder des Düsseldorfer Sinfoniker, die ukrainische Sopranistin Anna Percevaya, die Tilman Wohlleber am Klavier begleitete, sowie der Projektchor Vocal Delight. Im Foyer zeigten Mehrdad Rashidi und Kasem Al Nablsi, wie sie malerisch ihre persönlichen Erfahrungen von Vertreibung und Ankommen in der neuen Heimat verarbeiten.

Dieter Thelen, der engagierte 1. Vorsitzende des Freundeskreises, begrüßte die Gäste und äußerte im Namen aller Akteure, die zum Gelingen des Abends im Vorfeld und bei der Durchführung am Abend beigetragen haben, die Freude darüber, „dass so viele den Weg zu unserer heutigen Veranstaltung gefunden haben“. Thelen, der sich selbst als „Ehrenamtler aus Leidenschaft“ bezeichnet – eine Einschätzung, die alle teilen, die ihn kennen – übernahm es, aufzuzeigen, wie Idee zu dem Film entstand.

„Wir haben miterlebt, dass unter den Geflüchteten, die ab 2015 vor dem Bürgerkrieg aus Syrien, der Verfolgung durch die Taliban aus Afghanistan oder der totalitären Regime aus dem Iran, Irak oder vielen afrikanischen Ländern bei uns Schutz fanden, der Eindruck entstanden ist, dass die ukrainischen Kriegsflüchtlinge ‚bevorzugt behandelt werden‘. Auch wir im Verein hatten damit unsere Schwierigkeiten, denn uns ist eine Gleichbehandlung aller wichtig. Wir wünschen uns die erleichterten Verfahren, die für die Geflüchteten aus der Ukraine gelten, für alle Menschen, die wir betreuen. Wir haben mit den Vertretern der Stadt und der Politik in zahlreichen Gesprächen über die Doppelstandards bei der Behandlung von Geflüchteten gesprochen und Bürger darauf hingewiesen, um ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen“, so Thelen. Daher habe man sich entschlossen, allen Geflüchteten, die Krieg, Vertreibung und Flucht erlebt haben, „Räume zum Austausch zu öffnen“ und „Brücken zwischen den verschiedenen Erfahrungswelten zu öffnen“. Dies habe dazu beigetragen, dass das „Aufzeigen der strukturellen Gründe für die ungleiche Behandlung dabei half, Verständnis füreinander zu wecken“, so Dieter Thelen.

Er übergab dann das Wort an die Organisatorinnen des Abends: Ewa Łączkowska und Lyralyn Helling. Sie berichteten, dass sie den Projektantrag im März 2022 bei der UNO-Flüchtlingshilfe gestellt und kaum zu hoffen gewagt hätten, eine Bewilligung der Mittel zu erhalten, geschweige denn, sogar die bestätigte Verlängerung bis Mai 2024. „Es war eine emotionale Reise, bei der wir unsere Klienten noch einmal von anderen und neuen Seiten kennengelernt haben. Es war eine Ehre, ihre Fluchtgeschichten zu erfahren“, so Ewa Łączkowska. Sie berichtete ebenso, dass für ihre Kollegin Lyralyn Helling, die zunächst als Ehrenamtlerin zum Freundeskreis gestoßen sei, Dank der Fördermittel eine halbe Stelle finanziert werden konnte. Denn allein mit ehrenamtlicher Arbeit sei das Projekt, das auch andere Veranstaltungen wie Workshops und Sprachkurse für ukrainische Geflüchtete umfasse, nicht zu stemmen gewesen. Beide forderten die Besucher auf, sich in der Pause nach der Vorführung des Films miteinander auszutauschen und sich bei den Mitgliedern des Freundeskreises über die ehrenamtliche Arbeit zu informieren. Im Foyer standen Boxen bereit, um Zettel mit Fragen aufzunehmen, die dann in der Podiumsdiskussion nach der Pause beantwortet wurden.     

Sieben Flucht-Schicksale – ganz individuell und doch auch ähnlich

Die rund 200 Zuschauer, darunter leider nur wenige Vertreter aus Rat und Verwaltung, hörten nicht nur bedrückende wie beklemmende Erfahrungen von Krieg und Flucht. Sie durften auch teilhaben, wie die Interviewten davon berichteten, in ihrer neuen Heimat Erkrath in Sicherheit und mit einer Perspektive leben zu können. Stellvertretend für viele Zuschauer fasste Besucherin Heike Russi, die beim Verein „Du-Ich-Wir“ als eine von vier Koordinatoren den Förderunterricht organisiert, im Nachgang auf Facebook ihre Empfindung zusammen: „Ich war froh, dass das Licht während der Vorführung des Films nicht an war. Ich konnte die eine oder andere Träne nicht zurückhalten, so nah ist es mir gegangen, die Schicksale der einzelnen zu hören.“ Das dürfte ihr nicht allein so gegangen sein, denn das, was die Interviewten zu berichten hatten, ging unter die Haut. In der Pause konnten wir mit einigen der Erkrather Neubürger ein Gespräch führen.

„Heimat ist für mich dort, wo meine Familie ist, wo ich mich sicher fühle und ich eine Zukunft habe. Deutschland ist ein sicheres Land und ich fühle mich hier zuhause“, bringt es der junge syrische Familienvater auf den Punkt, der nach langen bürokratischen Hürden, mit Hilfe der Ehrenamtler des Freundeskreises eine Lizenz als Uber-Fahrer hat und seine Familie, zu der seine Frau, die drei Kinder sowie seine Eltern, die er inzwischen auch nachholen konnte „in Sicherheit“, ernähren kann. „Mein Vater hat bereits im Iran immer davon gesprochen, einmal nach Europa zu gehen. Denn auch vor dem Bürgerkrieg waren unsere Lebensbedingungen immer schlecht, ich konnte selbst nur bis zur neunten Klasse zur Schule gehen und musste dann arbeiten gehen, um ihm zu helfen, die Familie zu ernähren. Nun sind wir alle hier in Sicherheit. Erkrath ist unsere neue Heimat.“   

Malerei und Fluchterfahrung

Im Saal der Stadthalle fiel der Blick der Besucher sofort auf die fünf Meter lange und einen Meter breite Zeichnung des iranischen Malers Mehrdad Rashidi. „Das Bild trägt den Namen ‚Eines Tages‘. Dies ist der Titel des bekannten Lieds „Ye Roozi“, das der iranische Sänger Karoush mit der Band Sami Low Raha geschaffen hat. Es wurde zur illegalen Hymne gegen die Unterdrückung meiner Landsleute, vor allem der Frauen durch die Sittenwächter. Darin wird u. a. die Hoffnung darauf geäußert, dass Frauen, ohne eine Verhaftung fürchten zu müssen, ihr Haar unbedeckt tragen und im Wind wehen lassen können“, so der Künstler, und zeigt auf den Frauenkopf auf seinem Bild, der genau diese Szene beschreibt.

Rashidi verließ seine Heimat bereits 1994 als 20-Jähriger aufgrund seiner politischen Ansichten. Mit Tusche – und zu Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit 2006 mit Bleistiften, Füller und Buntstiften – schafft der Autodidakt prägnante Köpfe und Körper, die sich in verschiedenen Posen zu Gruppen zusammenfügen. Für seine, anfangs vielen kleinformatigen Werke, erhielt er 2013 den prestigeträchtigen Grand Prix Award auf der 16. Biennale für naive und marginale Kunst. Er stellte vielfach international – auch in New York und London – aus und ist seit 2021 im Centre Pompidou in Paris mit seinen Werken vertreten.    

Kasem Al Nablsi und seine farbigen, oft verstörenden Bilder, ob der oft gequält wirkenden Figuren, mit denen man sofort Schmerz und Leid assoziiert, konnten die Erkratherinnen und Erkrather bereits bei einer Ausstellung in den Räumen des Hand in Hand kennenlernen. Im Foyer der Stadthalle stand der Maler, der in Damaskus an der Universität ein Kunststudium absolvierte und zuletzt als Dozent für den Bereich Kunst am dazugehörigen Institut für Lehrerausbildung tätig war, für ein Gespräch zur Verfügung. Auch er berichtete für die Dokumentation über seine Geschichte. „Ich bin zunächst ohne meine Familie geflohen, mit einem Schlepper und in einer Gruppe. Wir waren Fuß unterwegs, jeden Tag sind wir sechs bis sieben Stunden gelaufen, bis nach Belgrad. Mir war immer kalt, oft hatten wir nichts zu essen“, so seine Erinnerungen, die er im Film schilderte.

Bis er seine Familie – seine Frau und die drei Kinder waren in Syrien geblieben, denn die Flucht wäre für sei zu gefährlich gewesen – im Rahmen der Familienzusammenführung nach Erkrath holen konnte, vergingen drei Jahre. „Meine Frau und meine drei Kinder sind hier nun endlich in Sicherheit. Hier haben wir eine Zukunft und ich hoffe, dass ich eines Tages wieder meine Lehrtätigkeit aufnehmen kann“, so Al Nablsi, der noch einmal betont, wie schwer es sei „die Bilder aus dem Kopf zu bekommen“. Alle ausgestellten Bilder entstanden in Erkrath. Das Malen helfe ihm, die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. „Es ist wichtig, meine Geschichte zu erzählen, denn wir leben hier und so verstehen uns unsere neuen Nachbarn besser.“

Mögen die Werke der beiden Künstler auch noch so unterschiedlich sein, gemeinsam haben sie doch, dass sie bei den Besucherinnen und Besuchern des Abends sicher noch lange nachklingen werden.

Unterstützungsmöglichkeiten für die Arbeit des Freundeskreis für Flüchtlinge in Erkrath e. V.

Als Ehrenamtliche: Für die Beratungstätigkeit in der Begegnungsstätte Hand in Hand, die allen Erkrather Bürgerinnen und Bürgern offensteht, die Hilfe im Umgang mit Behörden wie JobCenter, Rentenkasse, Stadtwerke, Vermieter oder auch Sozialamt haben. Die Räumlichkeiten befinden sich am Europaplatz und es werden weitere ehrenamtliche Beraterinnen und Berater gesucht. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, neue Beratende werden ausführlich geschult.
Mit einer Mitgliedschaft oder durch Spenden: Da der Verein sich ausschließlich aus Spenden, Zuwendungen der Stadt und Fördergeldern der öffentlichen Hand, für die oft aufwändige Anträge gestellt werden müssen, finanziert, ist jedes neue Mitglied, dass sich „nur“ finanzielle engagieren möchte willkommen. Auch über Spenden freuen sich die Mitglieder des Vereins jederzeit (z. B. einer Sammlung zugunsten des Vereins bei runden Geburtstagen oder anderen Anlässen), damit die Arbeit fortgeführt werden kann.

Kontakt und Spendenkonto: Begegnungsstätte Hand in Hand, Sedentaler Str. 16g am Europaplatz in Erkrath-Hochdahl. Öffnungszeiten: montags 9h bis 18h, dienstags bis donnerstags 9h bis 14h. Beratungen können nur nach Terminvereinbarung stattfinden (Kontakt über Telefon/WhatsApp: 0157-37946318). Weitere Infos: https://freundeskreis-fluechtlinge-erkrath.de.
Spendenkonto: IBAN DE69 3015 0200 0002 1072 74 bei der Kreissparkasse Düsseldorf, BIC: WELADED1KSD.

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