Die Laborantin – Düstere Vision in der Stadthalle

von Timo Kremerius

Foto: Hamburger Theater | © Bo Lahola

Der Mittwoch in der Stadthalle startete mit dem Schauspiel „Die Laborantin“. Sehr schwere Kost für den ein oder anderen Besucher und hochbrisant. Es ging um die Frage, welche Auswirkungen die moderne Gendiagnostik auf die Gesellschaft hat.

Es war leider einmal wieder ein Theaterabend, der vom Publikumsbesuch her sehr dürftig war. Knapp 230 Zuschauer fanden den Weg in die Erkrather Stadthalle, denn es erwartete den Zuschauer ein ernstes Schauspiel.

Was soll Theater leisten? Was kann Theater leisten?

Ablenkung vom Alltag, Ablenkung von den negativen Botschaften und Informationen, mal wieder herzhaft lachen lassen. Ganz sicher wünschen wir uns das. Aber ist es nicht auch wichtig, dass Visionen gezeigt werden, dass etwas Aktuelles zu Ende gedacht wird und, dass dies nicht unbedingt fröhlich und lustig sein muss. Ja, das Theaterstück „Die Laborantin“ bespielte ein sehr ernstes, ethisch sehr nachdenklich stimmendes thema. Der Inhalt des Stücks dachte tatsächlich mal zu Ende, was seit Jahren möglich und zum Teil auch schon vollzogen wird.

Natürlich achtet das Kulturamt sehr genau darauf, und das ist auch richtig und wichtig, dass jedes Genre während der Saison vertreten ist. Dieses Mal war kein ‚Schenkelklopfer‘ an der Reihe, sondern ein zum Nachdenken anregendes Schauspiel. Das Stück wurde 2018 von einer jungen Engländerin geschrieben, Ella Road, und 2020 ins Deutsche übersetzt und in Hamburg uraufgeführt.

„Die Laborantin“ entführt die Zuschauer in eine (erschreckend) nahe Zukunft, in der genetische Bluttests bestimmen, wie sich das Leben eines Menschen entwickelt. Ob Bildung, Karriere oder Kreditwürdigkeit – nichts geht mehr ohne das Rating auf einer Skala von 1 bis 10. Einst als Fortschritt für die individuelle Gesundheitsvorsorge gefeiert, dient der Test nun als Grundlage einer rigorosen Zwei-Klassen-Gesellschaft. Laborantin Bea ist dank ihres soliden Ratings eine von jenen, die für die Durchführung und Auswertung dieser Tests zuständig ist. Als jedoch ihre Freundin lediglich mit einer 2,2 abschneidet, wittert Bea eine Möglichkeit, mit gefälschten Ratingergebnissen Geld zu verdienen. Doch während sie auf diese Weise nicht nur das soziale Standing ihrer Kundschaft, sondern auch ihre eignen Finanzen verbessert, zahlt sie dafür alsbald einen hohen Preis…
Ella Road, die für TV-Serien und renommierte Theater wie das Hampstead Theatre und The Almeida in London schreibt, lieferte mit „The Phlebotomist“ – so der Originaltitel, der die Praxis des Aderlasses beschreibt – eine faszinierende Mischung aus Science-Fiction, Dystopie und Beziehungsdrama. Wie weit dürfen Medizin und Politik in der genetischen Diagnostik gehen? Und welche Konsequenzen ergeben sich für eine Gesellschaft, die den „gläsernen Menschen“ bereits realisiert hat?
Quelle: Aus der Ankündigung des Kulturamts der Stadt Erkrath

Eine nicht undenkbare düstere Zukunft

Die Schauspieler Julia Berchtold, Lilli Fichtner, Flavio Kiener und Alexander Klages lieferten eine hervorragende Performance ab. Sie spielten so überzeugend, dass einem Angst und Bange werden konnte. Sie spielten die Fortsetzung dessen, was heute schon möglich ist. Wenn man feststellt, dass ein Fötus im Mutterleib krank ist und behindert auf die Welt kommt, hat man die Möglichkeit einen induzierten Abort vornehmen zu lassen. Sollte jemand dieses nicht wollen, wird eine ach so „liebenswürdige Gesellschaft“ ihm immer sagen: “Das bist du ja selber schuld, du hättest das Kind ja nicht zu bekommen brauchen. Nebensatz: „Jetzt muss die Gesellschaft für deine Fehlentscheidung bezahlen“.

In dem Stück gab es dann die Steigerung. Man wollte die Zwei-Klassen Gesellschaft und deswegen musste ein Rating durchgeführt werden. Das Ergebnis eines Bluttestes zeigte genau auf, welche Krankheiten sich unter Umständen in Jahren entwickeln würden, welche Bildung man voraussetzen konnte, welchen Beruf man dementsprechend bekommen konnte oder und auch, wen man heiraten sollte, um möglichst gesellschaftskonforme Kinder zu zeugen. Das Rating von 1 – 10 war also der Messpunkt. Wer wollte schon einen Deppen zum Partner.

Laborantin Bea verhalf ihrer Freundin Char zu einem besseren Rating, da deren Blutergebnis die Erkrankung an Huntington in 6 Jahren ergab. Eine seltene, vererbbare Erkrankung des Gehirns, die zu Bewegungsstörungen, sowie psychischen Veränderungen mit Verhaltensstörungen führt. Deswegen tauschte Bea nach langer Überredung das Ergebnis aus, indem sie nur eine leichte Diabetes als Prognose stellte. So waren ihre kriminellen Geschäfte vorprogrammiert.

Die Laborantin Bea wird von Aaron im Labor angerempelt, initiiert, damit dieser seine Blutprobe unbemerkt austauschen kann. Es entwickelt sich eine Zuneigung und Liebe und letztendlich heirateten sie. Aber es war eine Ehe, die von dem Lügengerüst von Aaron zusammengehalten wurde. Er hatte sich ein Rating von 9.0 erschlichen. Letztendlich kam am Schluss heraus, inzwischen war Bea nach langen Jahren schwanger, dass Aaron nur ein Rating von 2.0 hatte und sein Vater eine schizophrene Psychose hatte. Eine genetisch vererbbare Erkrankung.  Alle Dämme brachen und es gab kein Happyend. In dieser Zukunft war es möglich auch ein schon geborenes Kind, welches behindert zur Welt kam oder ein Rating von unter 2.0 hatte bis zu 72 Stunden nach der Geburt töten zu lassen. Diese Vorstellung verlangt dem Zuschauer einiges ab. Bea trennte sich von Aaron, wissend, dass er die Schizophrenie seines Vaters geerbt hat und ihr ein vermeintlich krankes Kind gezeugt hat. Aaron verlässt fluchtartig das Labor, läuft vor ein Auto und stirbt.

Theaterstücke, auch Schauspiele ohne Happy End ’sind doof‘. Bei diesem Schauspiel gab es ein Happy End zweiter Klasse. Bea, die beabsichtigte einen induzierten Abort vornehmen zu lassen, bekam im letzten Moment einen Ruck und entschied sich für das Baby. Es war ein Schauspiel, das einen sehr nachdenklich stimmte. War es noch Utopie?  Wenn man berücksichtigt, wie weit die Wissenschaft schon ist, macht einen die Zukunftsvision sehr nachdenklich und ängstlich. Haben doch 2020 zwei Wissenschaftlerinnen den Nobelpreis für ihre Entdeckung der Genschere erhalten. Eine Schere, mit der sich Erbmaterial punktgenau schneiden und nach Wunsch umbauen und ergänzen lässt. In der Hoffnung, schlimme Krankheiten auszumerzen, kann man schnell über das Ziel hinausschießen. Hier entwickelte sich eine Gesellschaft, die sich freiwillig einem Raster unterzieht. Verkürzt gesagt, nützlich und lebenswert oder unwert und nutzlos.

Allein die Tatsache, dass ein Rating, bezeichnenderweise nennt die Autorin dieses Stückes dies „Ratismus“ über das Leben und über die weitere Zukunft des Menschen entscheidet, und auch die Tatsache, dass diese Entscheidung vom monetären Vermögen eines Menschen abhängt, stimmt einen mehr als nachdenklich.

Das Fazit des Stückes: Es waren vier hervorragende Schauspieler, die genau das in den Zuschauerraum transferierten, was das Schauspiel aussagte. Diese Nachricht kam aber nicht unbedingt bei allen Zuschauern an, was man daran feststellen konnte, da es zur Pause einen nicht unerheblichen Aderlass gab. Nicht jedem lag die ’schwere Kost‘.

Der verdiente Schlussapplaus des Publikums fiel etwas schmaler aus, aber war doch sehr herzlich und so wurden zwei Vorhänge generiert, die den Schauspielern doch ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht zauberten.

Am Mittwoch, den 05.02.25 erwartet die Zuschauer das Schauspiel „Dinge, die ich sicher weiß“ nach dem Roman von Andrew Bovell. Mit Maria Hartmann, Nina Petri, Christoph Tomanek, Rune Jürgensen, Mathias Renneisen, Helen Barke. Die Abteilung Kultur der Stadt verschickt die Karten auch kostenfrei nach Hause. Telefon 0211 240740 09.

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