
Stephan Frank hat für unsere Leserinnen und Leser den Roman „Wohnverwandtschaften“ von Isabel Bogdan rezensiert.
Isabel Bogdan, 1968 in Köln geboren, studierte Anglistik und Japanologie. Sie ist als Übersetzerin, u. a. der Romane von Jane Gardam, bekanntgeworden. Mit „Wohnverwandtschaften“ legt sie nun ihren dritten Roman vor. Ihre ersten beiden Romane, „Der Pfau“ und „Laufen“, sind inzwischen verfilmt worden.
Was geschieht in dem Roman: Jörg, 69 Jahre alt, verwitwet und Vater eines erwachsenen Sohnes, vermietet die Zimmer seiner für ihn zu groß gewordenen Wohnung, um nicht allein leben zu müssen. Seine Mitbewohner sind Anke, jenseits der fünfzig, eigentlich arbeits- und mittellos, da sie als Schauspielerin nicht mehr gefragt ist. Außerdem lebt Murat, knapp über dreißig Jahre alt, in der Wohngemeinschaft (WG). Er ist berufstätig, was er macht, erfahren wir nicht genau, und verbringt viel Zeit in dem ihm von Jörg überlassenen Schrebergarten. Dort züchtet er alles, was er für das Kochen in der und für die WG braucht. Er ist die reinste Frohnatur.
Zu Beginn des Romans zieht Constanze, eine 35-jährige Zahnärztin, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hat, ein. Aus ihrer Sicht ist die WG für sie nur eine Übergangslösung. Sie bringt aber auch frischen Wind in die Gemeinschaft. Es sind also vier verschiedene Charaktere vorhanden, die aus unterschiedlichen Gründen zusammengefunden haben. Wir erfahren, dass Jörg als ehemaliger Autor von Reiseführern noch einen großen Trip nach Georgien plant. Dies wird aber durch eine eigentlich harmlose Operation verhindert, aus der er mit einer beginnenden, aber schnell fortschreitenden Demenz kommt.
Das Thema dieses Romans ist nicht nur diese Erkrankung, sondern vielmehr die Reaktion seiner Mitbewohner darauf. Wir begleiten die WG über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren. Aus den vier Individuen wird, wie der Titel schon sagt, eine Wohnverwandtschaft. Alle fühlen sich für Jörg verantwortlich, sie wollen ihn solange wie möglich in der gemeinsamen Wohnung pflegen, auch wenn letztendlich nach einer Unterbringung in einem Pflegeheim gesucht werden muss.
Erzähltechnisch stellt dieser Roman etwas Besonderes dar. Das Werk ist in zahlreiche Kapitel unterteilt, die jeweils überschrieben sind mit dem bzw. den Namen der Personen, die in dem jeweiligen Abschnitt thematisiert werden. Die vier Hauptpersonen treten jeweils als Ich-Erzähler auf, sodass wir das Geschehen aus vier verschiedenen Blickwinkeln verfolgen. Darüber hinaus gibt es Abschnitte, die in Dialogform wie ein Theaterstück verfasst sind.
Dieser Roman ist ein echter Pageturner. Auch aufgrund der Erzähltechnik ist das Werk spannend, humorvoll und in Alltagssprache geschrieben, ohne je kitschig zu werden. Das Werk lässt den Leser fast zum Mitbewohner der WG werden und stellt ihm indirekt die Frage, wie er sich in einer derartigen Situation verhalten würde. Die vier äußerst sympathisch wirkenden WG-Mitglieder verhalten sich jedenfalls vorbildlich. Obwohl sie teils selbst in existentiellen Problemen stecken, ist es für sie selbstverständlich, den Schwächsten unter ihnen aufopferungsvoll jederzeit zu helfen und ihm beizustehen. So wird, wie schon erwähnt, aus einer normalen WG eine Wohnverwandtschaft.
Fazit: Dieser Roman kann vorbehaltlos zur Lektüre empfohlen werden.

Isabel Bogdan: Wohnverwandtschaften
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024
ISBN 978-3-462-00419-9
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