Buchtipp: Diese eine Entscheidung

von Stephan Frank

Foto: Ingrid / Pixabay

Stephan Frank hat für unsere Leser Karine Tuils Roman ‘Diese eine Entscheidung’ rezensiert.

Karine Tuil wurde 1972 in Paris als Tochter tunesischer Eltern geboren. Sie studierte Kommunikations- und Informationswissenschaften sowie Jura. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Paris. Sie hat bislang elf Romane veröffentlicht, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden sind. Sie setzt sich in ihren Werken mit sozialen, politischen, juristischen und ethnischen Fragen auseinander.

Erzähltechnisch ist der Roman insofern auffällig, als dass in einer Art Prolog das Ende der Geschichte vorweggenommen wird. Das mag zwar die Spannung nehmen, lenkt aber den Blick des Lesers umso konzentrierter auf die wesentliche Aussage des Textes. Anzumerken ist noch, dass der Roman durchaus distanziert die handelnden Personen zeichnet und laufend Ermittlungsprotokolle zitiert werden. Durch die Einarbeitung dieser Protokolle und durch den Bezug auf tatsächlich in Paris stattgefundene Terroranschläge wirkt dieser Roman besonders realistisch. Darüber hinaus merkt man, und das ist durchaus positiv zu verstehen, dass die Autorin auch Juristin ist.

Der Inhalt ist kurz erzählt. Eine auf terroristische Gewalttaten spezialisierte Ermittlungsrichterin muss entscheiden, ob ein aus Syrien zurückgekehrter Moslem unverdächtig ist oder ob er Terroranschläge plant und somit in Haft genommen werden muss. Vor ihrer Entscheidung hängt die Sicherheit des Staates und seiner Bürger ab. In ihrer Funktion steht die Ermittlungsrichterin ständig unter Stress. Sie kennt keine geregelten Arbeitszeiten, sie muss im In- und Ausland tätig werden, ist aus Sicherheitsgründen selber bewaffnet und steht unter dauerndem Polizeischutz. Parallel zu den beruflichen erfahren wir auch einige private Probleme. Die Neunundvierzigjährige ist (noch) verheiratet und Mutter von drei Kindern. Ihr Ehemann, ein Schriftsteller, dessen erstes Buch ein Bestseller war, lebt nun mangels weiteren Erfolgs vollkommen frustriert mit den Kindern in einer anderen Stadt, die Eheleute treffen sich allenfalls am Wochenende oder auf Kurzurlauben. Die Ermittlungsrichterin hat inzwischen eine neue Beziehung begonnen, und zwar ausgerechnet mit dem Anwalt, der im aktuellen Fall den potentiellen Terroristen vertritt. Die dadurch entstehende Verquickung von Beruflichem und Privatem nimmt ihren unheilvollen Verlauf. Mehr soll hier nicht verraten werden.

In den Roman stehen Fragen der Moral im Mittelpunkt: Es geht um Recht und Gerechtigkeit, Sicherheit und Freiheit, Verantwortung und individuelle Schuld. Im wesentlichen geht es um die Frage, wieviel Freiheit räumt der Staat dem Einzelnen ein unter der Berücksichtigung der Freiheit aller. Oder am konkreten Beispiel: Muss jeder aus Syrien heimgekehrte Moslem gleich in Haft genommen werden, weil er, möglicherweise dort entsprechend ausgebildet, ein potentieller Terrorist sein könnte. Es geht darüber hinaus aber auch um die Frage, was ein Staat seinen Beamten zumuten kann bei der Verbrechensbekämpfung- bzw. -aufklärung. Ist ein Arbeitsplatz zumutbar, wo man alleine Entscheidungen treffen und verantworten muss, die unermessliche Auswirkungen auf den Staat und seine Bürger hat? Und welche Auswirkungen hat ein solcher Arbeitsplatz auf das Privatleben? Die Darstellung dieser Fragestellungen am konkreten Beispiel der Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo und den Club Bataclan in Paris machen diese Problematiken besonders evident. Fazit: Ein sehr zu empfehlendes Buch.

Karine Tuil: Diese eine Entscheidung. München 2022 ISBN 978-3-423-29036-4

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