Buchtipp: Bodensee

von Stephan Frank

Foto: Ingrid / Pixabay

Stephan Frank hat für unsere Leserinnen und Leser Dietmar Sous‘ Roman „Bodensee“ rezensiert.

Dietmar Sous, geboren 1954, wuchs als Sohn einer Hausfrau und eines Steinbrucharbeiters in Stolberg auf. Nach dem Abitur 1973 arbeitete er im Tiefbau und in Fabriken. Anschließend leistete er Zivildienst als Krankenpfleger. Er studierte Germanistik und Politologie und veröffentlichte 1981 seinen ersten Roman.

In diesem Buch werden wir in die Stadt Duisburg im Jahre 1962 versetzt. Es ist die Zeit von Wirtschaftswunder und Kaltem Krieg. Erzählt wird die Geschichte vom fünfzehnjährigen Protagonisten Matthias, Sohn eines ebenso konservativen wie cholerischen Vater, und einer Mutter, offensichtlich die Schönheit in Person, die arbeiten möchte, um so Geld zur Teilnahme am Konsum zu verdienen. Der Sohn versucht, sich zu behaupten sowohl in einem autoritären und mit körperlichen Sanktionen arbeitenden Schulsystem als auch gegenüber seinem Vater, der seine Aggressionen, insbesondere gegenüber seiner Frau, nicht im Griff hat. Um all dem zu entgehen, fahren Matthias und seine Mutter zu deren Bruder an den Bodensee. Hier existiert eine Art Gegenwelt zu Duisburg: Wohlstand, das Paradies schlechthin, alle materiellen Wünsche werden erfüllt. Matthias lernt hier aber auch ein etwa gleichaltriges Mädchen kennen. Nicht von ungefähr trägt sie den Namen Eva, ist sie doch das erste weibliche Wesen, das auch in Matthias‘ Gefühlswelt eintritt. Seine bisherigen Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht bezogen sich bislang auf das rein Körperliche. In diese vermeintliche Idylle am Bodensee bricht nun der Vater ein und nötigt Ehefrau und Sohn zur sofortigen Rückreise nach Duisburg. Zwangsläufig endet das Ganze in einer Katastrophe.

In dem Buch wird vordergründig die Tristesse einer konservativen Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet zu Beginn der sechziger Jahre dargestellt, die wenig erstrebenswerte Jugend des Protagonisten. Wer diese Zeit selbst erlebt hat, wird vieles wiedererkennen, sich erinnern. Allen anderen wird eine heute kaum vorstellbare Welt vorgeführt, in der man z. B. zum Telefonieren in die Kneipe um die Ecke gehen musste oder es nur ein einziges Fernsehprogramm gab. Gewalt gegen Kinder in der Schule war akzeptiert, in den Familien allgegenwärtig. Frauen sind total abhängig von ihren Ehemännern, die – traumatisiert vom Krieg – wohl gar nicht anders handeln können als der im Text beschriebene Vater und Ehemann.

Das Buch wird vom Autor im Untertitel als Roman bezeichnet, eine mutige Entscheidung angesichts von nur gut einhundertvierzig Seiten. In der Literaturkritik wird „Bodensee“ häufig mir Ralf Rothmanns Roman „Junges Licht“ verglichen. Beide Werke sind im Arbeitermilieu des Ruhrgebietes angesiedelt. Was Sous‘ Buch im Unterschied zu Rothmanns ebenfalls ausgezeichnetem Werk so lesenswert macht, sind die zahlreichen Episoden, die aus der Sicht des Erzählers dargestellt werden, und zwar durchgehend gekennzeichnet durch skurrile Komik bis hin zu äußerst schwarzen Humor. Und so kann man die eigentliche Katastrophe letztlich auch als Happy End betrachten. 

Dietmar Sous: Bodensee. Berlin 2020. ISBN 978-3-88747-380-8

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