
Ausverkaufte Spotlight Premiere am vergangenen Samstag mit Autorin Corina Rues-Benz Joachim-Neander-Haus. Auch die zweite Vorstellung am Sonntag war ausverkauft.
Wie nicht anders erwartet, haben hervorragend aufgelegte Schauspieler und ein hochaktives Backstage-Team für einen gelungenen Abend gesorgt. Leider konnte der Autor dieses Artikels das Stück erst am Sonntag besuchen, sodass er die extra zur Premiere aus Süddeutschland angereiste Autorin des Stücks, Corina Rues-Benz, nicht traf.
Eine Stunde vor Beginn vor Ort, nutzten wir die Zeit, trotz etwas ‚angespannter Lage‘ vor dem Auftritt, für den einen oder anderen Small Talk mit den Schauspielern. Die hatten ihre Feuertaufe bereits bei der Premiere am Vortag hinter sich gebracht. Schließlich war es soweit.
Vorhang auf
Eddie betrat die Bühne und peitsche das Publikum zur atemberaubenden Spielshow. “Big Spender – die Show mit Herz” auf. Hinter Eddie verbarg sich kein geringerer als Michael Kastner, der nicht nur Regie führte, sondern auch als Überraschung im Stück auftrat. Nach ihm betraten die wortgewaltige Moderatorin Fiona Norden und Dr. Rahel Steinhausen die Bühne. Es folgten die Kandidaten die als Teilnehmer der Show jeder eine Geschichte mitbrachten, warum sie das Spenderherz für jemanden gewinnen wollten.
Die Kandidaten der Show
Victor Leiss:
Victor, erfolgreicher Inhaber eines Fitnessstudios, erklärte (sächselnd), dass er das Herz für Günther, seinen mit ihm inzwischen sehr eng verbandelten Freund, benötige, weil er ohne ihn nicht mehr leben könne.


Martha Braun:
Martha, alleinerziehende Mutter, benötigt das Herz dringend für ihren 15jährigen Sohn. In bewegenden Worten schilderte sie den Zustand ihres Sohnes. In der Show wirkt sie distanziert.
Justine Mertens:
Traurig auch die Geschichte von Justine, die das Herz für ihre Zwillingsschwester benötigt, ohne die sie nicht leben kann und will. Hier wurde das besondere Verhältnis zwischen Zwillingen hervorgehoben. Justine ist die eher schüchterne Kandidatin in der Show.


Regina (Ani Princess of Mayumi):
Ani ist PC freak. Ihr Wunsch nach einem neuen Herz: Für Mayumi, eine imaginäre Figur aus dem Internet. Im Gegensatz zu allen anderen Kandidaten war sie sehr durchgeknallt. Eine junge Frau, die hier für ‚ihren Seelenverwandten‘ kämpfen wollte. Dem Zuschauer vermittelt sich der Eindruck sie sei ‚auf Droge‘.
Moderatorin Fiona übertrug die Geschichten dann mit außergewöhnlicher Dynamik glaubhaft auf das Publikum. Untermalt wurden die Aktivitäten von Dr. Rahel Steinhausen, die es sehr schwer hatte gegen die Dominanz von Fiona anzukommen. Immer wieder versuchte Dr. Steinhausen dem Publikum den Status des Herzenspenders mitzuteilen, wurde aber nach wenigen Sätzen von der Moderatorin ‚abgewürgt‘. In einer Show zählen halt nur die ‚Highlights‘, den den Kandidaten ‚vorführen‘.

Big Spender – die Show mit Herz
Drehbuch: Corina Rues-Benz
Regie & Eddie: Michael Kastner
Fiona Norden: Bianca Koschel
Dr. Rahel Steinhausen: Daria Tigges
Regina (Ani P. o. M.): Julia Paul
Justine Mertens: Claudia Seibt
Martha Braun: Karola Fritzsch
Victor Laiss: Stephan Kroker
Technik: Tim Fritzsch
Souffleuse: Gina Drevers
Die Publikumswertung und die zu absolvierenden Spielrunden
Nun war das Publikum gefragt: Welchem Kandidaten geben sie Ihre Punkte? Spotlight hatte sich dafür etwas besonderes einfallen lassen und forderte das wirkliche Publikum auf abzustimmen. Dazu hatte man einen QR-Code auf das Programm gedruckt. Den sollten die Besucher einscannen, um abstimmen zu können, was dieses dann auch fleißig tat und nach der Abstimmung die Nachricht erhielt: „Wir danken Ihnen für Ihre abgegebene Stimme.“ Das sich dahinter eine ‚Fake-Abstimmung‘ verbargt, wurde erst später offenbart. Per Anzeige wurde das Publikum auch immer wieder aufgefordert zu klatschen. Eine perfekte Inszenierung, die das Theater-Publikum zum Publikum der Show machte.
Die Bewertung der einzelnen Geschichten war natürlich erst der Anfang. Den Kandidaten standen noch so einige Spielrunden bevor. In einer mussten sie mit verbundenen Augen eine Strecke laufen, ohne vom Weg abzukommen, während sie Handschuhe trugen, die von einem anderen Kandidaten unter Strom gesetzt werden konnten, wenn sie dabei den Weg verließen. Je weiter die Show fortschritt, desto perfider wurden die zu absolvierenden Runden und desto stärker manifestierte sich das Gefühl, dass sich die Kandidaten sich seelisch entblößten.
In der Spielrunde„Wahr oder unwahr“ bekamen die Kontrahenten eine Haube aufgesetzt und mussten Fragen beantworten, die dann elektronisch nach dem Wahrheitsgehalt bewertet wurden. Rotes Licht für unwahr, grünes Licht für wahr. Dramatisch, wie in einem Studio, ging es schon sehr an das Eingemachte bezüglich der Reputation der Kandidaten. Show-Dramatik wurde damit erzeugt, dass – wenn jemand nicht die Wahrheit sagte – für den Herzspender kurzfristig die Sauerstoffzufuhr verändert wurde, sobald das rote Licht aufleuchtete. Das erhöhte natürlich noch einmal den Druck auf die Kandidaten.
Der Höhepunkt der Perversität war das Ausspielen und Outen der Kandidaten untereinander. Jeder sollte die Geheimnisse des anderen herausbekommen und vor dem Publikum ausbreiten. Für den Geouteten peinlich und teilweise entwürdigend. Halt wie in einer der Spielshows oder Realty Shows, die überwiegend im Privatfernsehen angeboten werden.

Dann kam, eigentlich unbemerkt, auch für die Zuschauer ein Effekt, der ihnen erst hinterher bewusst wurde. Victor bekam einen Anruf aufs Handy, den er wie er behauptete, unbedingt annehmen müsse. Der Anrufer teilte ihm mit, dass man für seinen Lebenspartner ein Spenderherz gefunden hätte. Victor verließ dann ohne Umschweife die Spielshow und ließ die restlichen Kandidaten ratlos zurück. Unter den verbliebenen Kandidaten entbrannte dann ein heftiger Streit bis hin zu Handgreiflichkeiten.


Foto: Theater Spotlight
Im Laufe des Streits verdunkelte sich dann langsam die Bühne und man hörte die Stimme von Victor. Diesmal nicht mit sächsischem Dialekt, sondern hochdeutsch aus dem Zuschauerraum, der nach der Intensivstation fragte. Auf der Bühne, die langsam wieder beleuchtet wurde, sah man einen Raum auf einer Intensivstation. Die Person augenscheinlich nach einer Operation wurde umringt von seiner Tochter (Regina – Ani Princess of Mayumi), seiner Frau (Justine), seinem Bruder (Victor) und seiner Schwester (Martha), die alle Krankenhausschutzkleidung trugen. Auch die mehrfach gestellte Frage des Patienten „Wer das Herz gewonnen hätte?“ ließ den Zuschauer zu der Erkenntnis kommen. Der dargestellte Übergang von der Fiktion zur Realität, die mit seinem Aufwachen auf der Intensivstation begann, zeigte dem Publikum, dass es den Traum des Patienten miterlebt hatte.
Spotlight über das Stück:
„Als ob es heute noch irgendwen kümmert, wenn Menschen öffentlich zur Schau gestellt werden und ihre ethnischen Prinzipien aufgeben – alles freiwillig, für einen kurzen Moment der Bedeutsamkeit!“ Mit diesen Worten bringt Fiona Norden, Moderatorin der Fernsehshow „Big Spender“, den voyeuristischen Zeitgeist auf den Punkt.
Formate wie „Das Dschungelcamp, Germanys next Topmodel“ oder „Der Bachelor“ haben Hochkonjunktur und bestätigen die unersättliche Lust der Zuschauer an immer ausgefalleneren und extremeren Fremdschäm-Momenten.
In der äußerst unterhaltsamen und (wir gestehen es) makabren Komödie „Big Spender – die Show mit Herz“ von Corina Rues-Benz spitzt sich die Frage zu, wohin es führt, wenn alle Grenzen fallen und Einschaltquoten wichtiger sind als menschliche Würde.
Neben der Persiflage auf grenzverletzende Fernsehformate möchten wir mit unserem diesjährigen Stück auch auf das wichtige Thema Organspende aufmerksam machen. Sie können direkt hier vor Ort einen Organspendeausweis ausfüllen und damit helfen Leben zu retten.
Quelle: spotlight-theater.de
Kommentar des Autors: Ein anspruchsvolles Stück von Autorin Corina Rues-Benz, aufgeführt von einer engagierten Theatergruppe, die sich zwar Laientheater nennt, aber sehr professionell und mit vollem Einsatz spielen. Es war eine nachdenklich machende, unterhaltsame Vorstellung mit engagierten Schauspielern, die leider nur zwei Mal im Jahr auftreten. Verständlich, denn alle gehen einem Fulltime Beruf nach.
Wie top aktuell dieses Stück ist, konnte niemand ahnen, als die Proben im September 2023 begannen. Fehlende Organspender und die fehlende Bereitschaft einen Organspendeausweis auszufüllen sind seit Jahren ein trauriges Thema. Seit Montag, dem 18.3.2024 ist das digitale Organspende-Register gestartet. Durch die sofortige Möglichkeit des Onlineeintrages ( https://www.bfarm.de/DE/organspende-register.html ) ist die Bereitschaft der Organspende anzuzeigen noch einmal erleichtert.
Es ist mutig von Spotlight das Thema auf fast schon makabre Weise in eine ‚Spieleshow‘ zu verpacken. Dennoch wurde damit verdeutlicht, wie groß die Not aufgrund fehlender Spenderorgane ist. Fast schon vorstellbar, dass Privatsender auf Kosten ihrer Kandidaten und der Menschenwürde eine Reality Show daraus machen. Glücklicher Weise ist das nicht so. Für wirklich laufende Realty Shows werden hingegen häufig Kandidaten ausgesucht, die geltungssüchtig sind, sich in einer Notlage befinden oder naiv und intellektuell nicht in der Lage sind, die Folgen ihrer Teilnahme abzuschätzen. Oder alles auf einmal. Auf der anderen Seite ein Publikum, dass schon eine perverse Freude daran haben muss, wenn jegliche Würde über den Tisch gezogen wird.
Wie aber sieht es mit den Fernsehzuschauern aus, die sich an der entwürdigenden Darstellung der Kandidaten ergötzt? Denn gäbe es keine hohen Zuschauerzahlen, gäbe es keine solchen Reality Shows und Produzenten würden nicht mehr ermutigt Shows mit noch schlimmeren Auswüchsen zu produzieren.
Eine Denksportaufgabe für alle, denen noch etwas an der Menschenwürde liegt.
Danke für diesen tollen Artikel über uns. Auch ein Dankeschön an das Publikum, die super mitgefeiert haben. Es hat riesen Spaß gemacht, für euch zu spielen!
Kleiner Nachtrag: Die Autorin erzählte uns auf der Aftershow-Party, kurz nach Erscheinen ihres Stücks, habe es diese Show tatsächlich so in den Niederlanden gegeben. Erst hinterher stellte sie sich als Fake heraus und sollte als Werbung für die Organspende verstanden werden.