Erbbaurecht oder Verkauf? Für das neue Gewerbegebiet auf der Neanderhöhe geht es am 15. September 2024 genau um diese Frage. Bleibt die Stadt Eigentümer und behält damit langfristig Einfluss über die Entwicklung der Fläche oder verkauft sie und verliert diesen Einfluss?
Im Vergleich zu einigen anderen Ländern ist die Zahl von Gewerbeflächen, die in Deutschland im Rahmen von Erbaurecht vergeben werden, noch recht überschaubar. In Hong Kong etwa sind es 100 Prozent der Flächen, in den Niederlanden (insbesondere in Amsterdam) 80 bis 85 Prozent, in Singapur 80 Prozent, in UK (insbesondere in London) 40 Prozent und in Belgien 20 Prozent. Deutschland kommt bisher gerade einmal auf 5 Prozent. (Quelle: Erbbaurechte in deutschen Metropolen, Analyse Jones Lang Lasalle SE, 2019)
Metropolen, wie Franktfurt am Main, haben schon in den 1960er-/1970er-Jahren erkannt, dass es bei knappen Flächen sinnvoll ist, den Einfluss nicht zu verlieren. Die Stadt wendet Erbbaurecht schon seit vielen Jahrzehnten bei der Vergabe von Gewerbegrundstücken an. Auch München ist in dem Vorbild in den letzten Jahren gefolgt. Ganz soweit muss man aber gar nicht schauen und es muss auch nicht immer eine Metropole sein. Ganz in der Nähe hat sich auch die Stadt Dormagen entschieden ihre Gewerbegrundstücke in Erbbaurecht zu vergeben.
Abstimmheft ohne Empfehlung der der Bürgerinitiative?
Die Wahlunterlagen und Informationen zum Bürgerentscheid sind längst versandt. Am Sonntag wird entschieden. In der Erkrather Kommunalpolitik gehen die Meinungen zu Erbbaurecht auseinander und auch der Bürgermeister spricht sich nicht für die generelle Vergabe über Erbbaurecht aus. In einem offenen Brief hatte sich die Bürgerinitiative Erbbaurecht Neanderhöhe am 25. August 2024 an den Bürgermeister und die Fraktionen gewandt. Darin bedauerte die Initiative, dass man ihr – auch auf Nachfrage hin – nicht die Möglichkeit gegeben hat, im Rahmen des Abstimmungsheftes ihre Gründe zu erläutern bzw. eine Empfehlung auszusprechen. Bürgermeister Christoph Schultz antwortete am Tag darauf und führte ausführlich aus, was gegen Erbbaurecht spricht. Die Frage, warum die Initiave keine Gelegenheit erhalten hat, im Abstimmungsheft ihre Gründe zu erläutern blieb jedoch unbeantwortet. Detlef Ehlert (SPD) und Wolfgang Jöbges (CDU) schlossen sich in ihren kurzen Antworten auf den offenen Brief der Initiative lediglich den Worten des Bürgermeisters an.
Die Neufassung der Satzung für die Durchführung von Bürgerentscheiden, die am 1. März 2023 in Kraft getreten ist besagt unter §8 Abstimmungsheft / Informationsblatt: „Die Abstimmungsberechtigten werden mittels eines Abstimmungsheftes oder Informationsblattes über die Auffassung der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens und über die innerhalb der Gemeindeorgane vertretenen Auffassungen unterrichtet.“ Dort heißt es also, dass sowohl die Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens als auch Bürgermeister und Fraktionen zu Wort kommen sollen. Warum das nicht geschehen ist, ist unklar.*
* Bürgermeister Christoph Schultz hat sich bei unserer Redaktion gemeldet und erklärt, dass der Rat entschieden hatte, das Bürgerbegehren als Ratsbürgerentscheid durchzuführen und es dadurch keinen Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens mehr gäbe. Wir haben natürlich zugesagt, dass hier an dieser Stelle zu ergänzen, was wir hiermit tun.
Im Nachhinein sind für uns Fragen aufgetreten, die wir noch einmal an die Verwaltung geschickt haben und deren Antworten wir hier später auch noch ergänzen.
Es stimmt, dass eine Mehrheit entschieden hat, den Bürgerentscheid als Ratsbürgerentscheid durchzuführen, um – wie der Bürgermeister der Initiative damals zugesagt hatte – das erneute Sammeln von Unterschriften für die Durchführung zu ersparen. Dass dann aber jegliche Möglichkeit der Begründung wegfallen würde hat dabei niemand erwähnt. Ob das rechtlich so sein muss, haben wir als Frage noch einmal übermittelt. Der Rat hat hier ja kein Ratsbegehren (eigene Fragestellung des Rats) als Ratsbürgerentscheid zur Abstimmung gebracht, sondern entschieden das Bürgerbegehren als Ratsbürgerentscheid zu übernehmen. Die an die Bürger gestellte Frage, die mit JA (für Erbbaurecht) oder mit NEIN (gegen Erbbaurecht und für den Verkauf) beantwortet werden kann, ist 1:1 die Frage der Bürgerinitiative.
Die oben genannte Satzung bezieht sich ausschließlich auf die Durchführung von Bürgerentscheiden. Eine gesonderte Satzung für Ratsbürgerentscheide gibt es in Erkrath nicht, zumindest konnten wir eine solche nicht finden. Städte wie Solingen waren sich möglicher Unklarheiten wohl bewusst, denn dort bezieht sich die Satzung von vornherein auf die Durchführung von Einwohneranträgen, Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden und Ratsbürgerentscheiden gemäß §§ 25 und 26 Gemeindeordnung NRW.
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So wirklich beantwortet ist unsere Fragestellung nicht, aber wir fügen, wie zugesagt, die von der Verwaltung erhaltene Antwort hier ein:
eine Beteiligung am Abstimmungsheft steht den Vertretungsberechtigten eines Bürgerbegehrens nach § 8 Abs. 1 c. der Satzung über die Durchführung von Bürgerentscheiden zu. Hauptaufgabe der Vertretungsberechtigten ist es dabei, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner eines Bürgerbegehrens zu vertreten (gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 Gemeindeordnung).
Da es hier jedoch nie zu einer Unterschriftensammlung kam, gibt es auch keine Vertretungsberechtigten. Der nun stattfindende Ratsbürgerentscheid ist daher von der ursprünglichen Initiative unabhängig zu betrachten. Die Vorgehensweise entspricht somit der Gemeindeordnung und der Satzung.
Bürgermeister Christoph Schultz schreibt in seiner Antwort auch: „Die unbebauten Flächen an der Neanderhöhe sind die letzten Gewerbeflächen der Stadt Erkrath.“ Flächenknappheit hat andere Städte dazu bewogen Grundstücke nur noch in Erbbaurecht zu vergeben (siehe oben). Dort ist man vermutlich zu der Überzeugung gekommen, dass die Vorteile der Vergabe mittels Erbbaurecht die Nachteilen überwiegen.
In einer kleinen Recherche zum Thema sind wir auf die Ausführungen zum Erbbaurecht von Rechtsanwalt Christoph Wamsler gestoßen, der sich mit der Vertragsgestaltung befasst.
Das Werben um die JA und NEIN Stimmen
Dem Abstimmungsheft, in dem die Vertretungsberechtigten der Bürgerinitiative nicht zu Wort kamen, ist zu entnehmen, wie die einzelnen Fraktionen und Einzelmitglieder des Rats und der Bürgermeister sich zur Fragestellung positionieren. Gegen Erbbaurecht sprechen sich Bürgermeister, CDU, SPD und FDP aus. In einer Facebookgruppe werben die genannten Fraktionen dafür am Sonntag mit Nein zu stimmen. In einem gemeinsamen ‚Faktencheck‘ führen sie unter anderem an, dass es sich hier um das Schließen einer Lücke im Gewerbegebiet handelt. Das sieht in Erkrath nicht jeder so, denn im hinteren Teil der Fläche grenzt Ackerland daran und dahinter beginnt das Neandertal.
Alle anderen Fraktionen und Uli Schimschock als Einzelratsmitglied empfehlen den Erkrather Bürgern mit JA für Erbbaurecht zu stimmen. Auch die anderen Fraktionen werben für ihre Position in der Entscheidung, die am Sonntag durch die Bürger getroffen werden soll. Für heute Abend 18 Uhr lädt die Fraktion die Linke zu einer Infoveranstaltung im Hand in Hand am Europaplatz ein. Die BmU wirbt auf Ihrer Homepage für JA-Stimmen. Ebenso Bündnis 90/Die Grünen. Und natürlich wirbt auch die Bürgerinitiative, die den Bürgerentscheid er gerichtlich erkämpfen musste, um die JA-Stimmen der Bürger. Im Abstimmungsheft sind sie nicht zu Wort gekommen, auf der Homepage der Bürgerinitiative können Interessierte sich aber ausführlich informieren.
Werden genügend Erkrather von ihrem Recht zu entscheiden Gebrauch machen?
Ob sich am kommenden Sonntag mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten auf den Weg zur Wahlurne machen (oder bereits per Briefwahl abgestimmt haben) und mit Ja stimmen, wird man erst am Sonntagabend wissen. Soviele müssen es jedenfalls sein, damit der Bürgerentscheid erfolgreich ist. Bei der Hasenwiese ist das nicht gelungen. Allerdings konnte man das sicher auch damit erklären, dass das Interesse aus anderen Stadtteilen zu gering war. Bei der Neanderhöhe geht es um ein Gewerbegebiet und damit um die Zukunft der Stadt und das liegt vielleicht eher im Interesse aller Wahlberechtigten in der Stadt. Klarheit bringt erst der Sonntagabend.